Erwerbslosenverbände: Hartz IV-Ämter betreiben Rechtsbruch auf Kosten von Kindern
Die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS) und der Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles e.V. werfen den für Hartz IV zuständigen Behörden Rechtsbruch vor und Familien mit Kindern in existenzielle Not zu treiben. Seit September würden im Rahmen einer „Sonderaktion“ der Bundesagentur für Arbeit bundesweit Anträge auf Arbeitslosengeld II (ALG II) abgelehnt und bereits bewilligte Leistungen mit dem Hinweis eingestellt, es könnten Wohngeld und der Kinderzuschlag beantragt werden.
Wenn Hartz IV-Leistungen verweigert werden, stehen bedürftige Familien lange Zeit ganz ohne oder mit erheblich gekürzten Leistungen da, erläutern die beiden Erwerbslosenverbände. Denn bis über einen Antrag auf Wohngeld oder den Kinderzuschlag entschieden ist, vergehen mindestens sechs bis zwölf Wochen. Diese Leistungslücke ist für die KOS und Tacheles „eindeutig rechtswidrig“. Zwar sei Hartz IV nachrangig, das heißt, Wohngeld und Kinderzuschlag müssten in der Regel vorrangig beantragt werden.
Solange das Einkommen einer Familie aber nicht zum Leben reiche, bestehe ein Anspruch auf ALG II. Erst wenn die Familie tatsächlich Wohngeld oder den Kinderzuschlag erhalten und der Lebensunterhalt gesichert sei, entfalle der Anspruch auf Hartz IV-Leistungen. „Was zurzeit praktiziert wird, ist Leistungsmissbrauch von Amts wegen“, kritisiert Martin Künkler von der KOS. Offensichtlich solle noch vor der Bundestagswahl die erschreckend hohe Zahl von Kindern im Hartz IV Bezug gedrückt werden. „Es ist ein Skandal, dass Familien mit Kindern selbst das Existenzminimum vorenthalten wird“, ergänzt Harald Thomé von Tacheles. „In einigen Fällen kann das Streichen des ALG II sogar zum Wegfall des Krankenversicherungsschutzes führen.“
Die rechtliche Einschätzung von KOS und Tacheles e.V. wird von Juristen bestätigt. Es besteht ein eindeutiger Rechtsanspruch auf Hartz IVLeistungen solange das Wohngeld oder der Kinderzuschlag noch nicht zufließen, erklärten übereinstimmend Johannes Münder, Professor für Sozial- und Zivilrecht an TU Berlin und Herausgeber des Lehr- und Praxiskommentars zum Sozialgesetzbuch II sowie Ute Winkler, ehemalige Präsidentin des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt. Das Sozialgericht Dresden hat die neue Kürzungspraxis bereits in einem Eilverfahren vom 07 November 2008 verworfen (Az.: S 5 AS 5410/08 ER).
Betroffene Familien sollten sich daher mit Widersprüchen und Anträgen an die Sozialgerichte wehren, empfehlen die beiden Erwerbslosenverbände. Wenn die Frist für einen Widerspruch bereits abgelaufen ist, kann mit einem so genannten Überprüfungsantrag eine Nachzahlung verlangt werden. Dazu haben KOS und Tacheles Mustertexte im Internet unter
www.erwerbslos.de und www.tacheles-sozialhilfe.de veröffentlicht.
Im Hinblick auf eine Gesetzesänderung zum ersten Januar 2009 beim Wohngeld will die Bundesagentur für Arbeit ihre Sonderaktion künftig nicht weiter fortsetzen. Dies geht aus der neuen Geschäftsanweisung Nr. 41 hervor. Dringend geboten sei aber darüber hinaus eine Lösung für mehrere Tausend Familien, denen in den letzten Wochen ALG II verweigert wurde oder aktuell verweigert wird, kritisieren KOS und Tacheles. Sie fordern die zuständigen Behörden vor Ort auf, die neue Anweisung „sofort und strikt zu beachten und den betroffenen Familien die vorenthaltenen Leistungen von sich aus nachzuzahlen.“ (Tacheles Sozialhilfe e.V., 03.12.2008)
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