Kommunalisierung und Pauschalierung von Kosten der Unterkunft nach SGB II
11.03.2011
Die Kommunen können Leistungen für die Hartz IV Kosten der Unterkunft (KdU) künftig niedriger als bisher und unterhalb der Vorgaben der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts festlegen. Denn den Kommunen soll es über landesgesetzliche Regelungen ermöglicht werden, die Angemessenheit der Wohnkosten in einer kommunalen Satzung selbst neu und abweichend von der bisherigen Rechtslage zu definieren. Dabei sollen erstmals auch abgeltende Pauschalen für Wohn- und Heizkosten möglich sein.
Im Ergebnis der Neuregelung werden die Leistungen für die Wohnkosten sinken, zunehmend nicht mehr die tatsächlichen Kosten abdecken und zu einer weiteren Unterschreitung des Existenzminimums führen: Ein Teil der Wohnkosten muss aus den – ohnehin nicht bedarfsdeckenden – ALG II Regelleistungen finanziert werden.
Inhalt der Neuregelung
Die Bundesländer können die Kreise und kreisfreien Städte per Landesgesetz ermächtigen oder verpflichten, durch Satzung zu bestimmen, in welcher Höhe Kosten für Unterkunft und Heizung angemessen sind (§ 22a SGB II). Die Länder können die Kommunen zudem ermächtigen – nicht jedoch verpflichten – die Bedarfe für Unterkunft und Heizung durch eine monatliche Pauschale abzugelten. Zur Einführung von Pauschalen müssen zwei Bedingungen erfüllt werden:
– Auf dem örtlichen Wohnungsmarkt muss „ausreichend freier Wohnraum verfügbar“ sein.
– Die Pauschalierung muss dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit entsprechen (§ 22a Abs. 2 SGB II).
Die angemessenen Heizkosten können in Form einer Obergrenze für den Verbrauchswert (Energiemenge) oder einer Obergrenze für die Kosten festgesetzt werden. Es kann sowohl eine Quadratmeterhöchstmiete bezogen auf die Warmmiete als auch eine
Gesamtangemessenheitsgrenze bezogen auf Wohn- und Heizkosten gebildet werden. (§ 22b Abs. 1) Alternativ können auch die Heizkosten unter den oben genannten Bedingungen über eine Pauschale abgegolten werden (§ 22a Abs. 2).
Das Gesetz enthält nur einige wenige, vage formulierte Vorgaben zum Zustandekommen und zum Inhalt der kommunalen Satzungen (§§ 22a – c SGB II). Insbesondere fehlt es an qualitativen Vorgaben und Kriterien im Sinne von Mindeststandards, die bei der Bestimmung der Angemessenheit der Kosten zu erfüllen sind. Es wird lediglich vorgegeben, dass in den Satzungen Sonderregelungen getroffen werden müssen für Personen mit einem besonderen Bedarf. Dies betrifft beispielsweise Behinderte oder Elternteile, die ihr Umgangsrecht mit ihrem Kind ausüben (§ 22 b Abs. 3 SGB II). Zwar soll bei der Bestimmung der Angemessenheit auch die „Schaffung und Erhaltung sozial ausgeglichener Bewohnerstrukturen“2 berücksichtigt werden. Diese Vorgabe ist aber laut Gesetzesbegründung keine „objektive Rechtmäßigkeitsvoraussetzung“ für den Erlass einer Satzung.
Unterschied zur bisherigen Rechtslage
Bei der Bewertung des Gesetzentwurfs wurden zu Recht die negativen Folgen einer Pauschalierung für die Leistungsberechtigten kritisiert und auf die Gefahr einer zunehmenden sozialräumlichen Konzentration prekärer Wohn- und Lebensverhältnisse („Ghettobildung“) hingewiesen.
Wenig beachtet wurden hingegen bisher die Auswirkungen jenseits der Pauschalierung, die sich ganz allgemein aus der Bestimmung der Angemessenheit der Wohn- und Heizkosten über kommunale Satzungen ergeben. Ein Grund dafür ist, dass die Änderung auf den ersten Blick marginal zu sein scheint, da die Kommunen bereits bisher für die Wohn- und Heizkosten zuständig sind und in Verwaltungsvorschriften die Angemessenheit der Kosten geregelt haben. Tatsächlich bringt die Satzungsermächtigung jedoch nicht weniger als eine Neudefinition dessen, was angemessene Kosten sind.
Nach bisheriger Rechtslage galt: Angemessen sind die Kosten, die das Bundessozialgericht (BSG) für angemessen hält. Zukünftig gilt – sofern von der Satzungsermächtigung Gebrauch gemacht wird: Angemessen sind nur noch die Kosten, die die jeweilige Kommune als angemessen definiert hat.
In zahlreichen Verfahren hat das BSG abschließend geklärt, was unter angemessenen Kosten zu verstehen ist und wie die Kommunen die Obergrenzen für angemessene Kosten zu ermitteln haben. So entstanden eine Vielzahl höchstrichterlicher Vorgaben, die die Kommunen zu beachten hatten und in der Tendenz eine für die Leistungsberechtigten relativ günstige Rechtslage.
Das BSG konnte in der Vergangenheit die Angemessenheit der Wohn- und Heizkosten selbst im Wege der Rechtsauslegung definieren, weil der Gesetzgeber bei der Einführung des SGB II mit der Formulierung „…Kosten, soweit sie angemessen sind“ einen unbestimmten – und somit interpretationswürdigen Rechtsbegriff – wählte und weil der Gesetzgeber von seiner Möglichkeit keinen Gebrauch machte, Näheres zur Angemessenheit in einer Rechtsverordnung zu bestimmen.
Die Unbestimmtheit des Angemessenheitsbegriffs im Gesetz war die Grundlage für die Rechtssetzung durch das BSG. Dies ändert sich nun, da der Gesetzgeber eindeutig bestimmt, dass angemessene Kosten die Kosten sind, die die Kommunen in ihren Satzungen festlegen. Damit verlieren die vom BSG gesetzten Standards ihre Gültigkeit.
Konkret ergeben sich insbesondere folgende Änderungen:
– Pauschalen
Bisher sind Pauschalen zur Deckung von Unterkunfts- und Heizkosten verboten. Das BSG begründete die Unzulässigkeit von Pauschalen sowohl inhaltlich (die Kosten sind ihrem Wesen nach für eine Pauschalierung ungeeignet) als auch damit, dass bisher eine gesetzliche Grundlage für Pauschalen fehlte. Zukünftig werden Pauschalen ausdrücklich zugelassen.
– Gesamtangemessenheitsgrenze
Bisher musste die Angemessenheit der Unterkunftskosten (Kaltmiete) und die Angemessenheit der Heizkosten jeweils getrennt voneinander und eigenständig geprüft werden. Das hatte den Vorteil, dass im Einzelfall in der Summe relativ hohe Kosten als angemessen akzeptiert werden mussten, beispielsweise bei schlecht isolierten Wohnungen mit veralteter Heizungstechnik. Zukünftig sind auch Gesamtangemessenheitsgrenzen zulässig, also eine Deckelung der Summe aus Wohn- und Heizkosten.
– Wohnfläche
Bisher mussten in die Berechnung der Angemessenheitsgrenzen als ein Faktor die nach Haushaltsgröße gestaffelten Wohnflächen einfließen, die auch in den Landesgesetzen zur Wohnungsbauförderung gelten (z.B. in der Regel 45 qm für einen Single-Haushalt). Künftig können die Kommunen auch kleinere Wohnflächen ansetzten.
– Örtlicher Wohnungsmarkt
Bisher mussten die Kommunen die Preise für die maßgebenden Wohnungen mit einfachem Wohnstandard nach vergleichsweise anspruchsvollen Vorgaben am örtlichen Wohnungsmarkt ermitteln (so genanntes „schlüssiges Konzept“). Die Werte nach dem Wohngeldgesetz durften nur als letztes Mittel herangezogen werden, wenn alle vorrangigen Methoden erfolglos blieben – und auch nur mit einem Aufschlag. Diese Spielregeln werden nun stark verwässert und die Orientierung am Wohngeldgesetz (ohne Aufschläge!) ausdrücklich als „hilfsweise Methode“ zugelassen.
– Heizkosten
Bisher mussten die Kommunen Heizkosten ohne nähere Prüfung als angemessen akzeptieren, solange die Werte der rechten, roten Spalte der Heizspiegel (= Kosten- Kategorie „zu hoch“) unterschritten wurden. Künftig können die Kommunen auch niedrigere Grenzwerte bzw. niedrigere Pauschalen vorsehen.
Sinkende Leistungen
Mit der Kommunalisierung und Pauschalierung besteht die Gefahr, dass die Leistungen für Wohn- und Heizkosten unter das bisherige Niveau abgesenkt werden. Diese Sorge basiert einerseits auf den dargestellten, größeren Gestaltungsspielräume der Kommunen (bisherige Mindeststandards können unterlaufen werden) und andererseits auf der desolaten Haushaltslage vieler Kommunen. Angesichts der kommunalen Finanzmisere ist es unverantwortlich, den Kommunen ohne ausreichende Vorgaben die Definition von angemessenen Wohn- und Heizkosten zu übertragen. Wenn hoch verschuldete Kostenträger die Preise weitgehend frei selbst bestimmen können, wird eine Dynamik zur systematischen Verfehlung der Bedarfsdeckung in Gang gesetzt.
Bei abgesenkten Leistungen müssten Leistungsberechtigte den ungedeckten Anteil der Wohn- und Heizkosten zunehmend aus den ohnehin zu niedrigen Regelleistungen finanzieren. Oder es werden Wohnungswechsel erzwungen, die für das erklärte Ziel der Integration in den Arbeitsmarkt kontraproduktiv sind und die Konzentration von Hartz-IV Beziehern in bestimmten Stadtvierteln bzw. Ortsteilen weiter anheizt. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass benachbarte Kommunen ihre Gestaltungsspielräume für einen Unterbietungswettbewerb bei den Unterkunftskosten nutzen, um Leistungsberechtigte aus ihrem Gebiet zu vertreiben. Vollständigen Bericht lesen. (pm)
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