Häufig nach Reha: Jetzt musst du die Pflegegrad-Herabstufung verhindern

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Nach einer Reha sind viele Pflegebedürftige kurzfristig beweglicher, belastbarer und scheinbar selbstständiger. Genau so sollen Reha-Maßnahmen wirken. Problematisch wird es, wenn die Pflegekasse diese Momentaufnahme nutzt, um den Pflegegrad zu überprüfen.

Die Kasse darf den Pflegegrad senken, wenn der Hilfebedarf dauerhaft geringer ist. In der Praxis wird eine Reha daher häufig als Anlass für eine neue Begutachtung genommen.

Kurzfristige Verbesserungen dürfen jedoch nicht so behandelt werden, als wären sie dauerhaft – sonst drohen niedrigere Leistungen bei Pflegegeld, Pflegesachleistungen und weiteren Ansprüchen.

Rechtslage: Wann eine Herabstufung überhaupt zulässig ist

Pflegebedürftigkeit nach SGB XI setzt voraus, dass Beeinträchtigungen voraussichtlich mindestens sechs Monate bestehen. Kurzfristige Schwankungen sollen ausdrücklich berücksichtigt werden. Ein Pflegegrad gilt unbefristet, kann aber jederzeit überprüft werden, wenn es Hinweise auf eine wesentliche Änderung gibt.

Grundlage einer Herabstufung ist immer ein neues Gutachten des Medizinischen Dienstes oder von Medicproof bei Privatversicherten. Die Gutachter müssen nicht nur feststellen, ob die Beeinträchtigungen geringer sind, sondern auch, ob diese Verbesserung mit hoher Wahrscheinlichkeit dauerhaft bleibt.

Genau hier entstehen Fehler: Reha-Erfolge werden oft so dargestellt, als seien sie stabil, obwohl der Alltag zu Hause noch gar nicht richtig begonnen hat.

Vor der Reha: Pflegesituation sauber dokumentieren und keine Schnellschüsse

Schon vor Beginn der Reha können Betroffene und Angehörige viel tun, um späteren Ärger zu vermeiden. Hilfreich ist ein Pflegetagebuch, das über zwei bis vier Wochen zeigt, wie viel Unterstützung im Alltag tatsächlich erforderlich ist.

Wichtig ist eine nüchterne Darstellung: Wie lange brauchen Körperpflege, An- und Auskleiden, Toilettengänge, Essen, Treppensteigen und Medikamenteneinnahme? Wo ist vollständige Hilfe nötig, wo nur Anleitung, wo führen Schmerzen oder Erschöpfung dazu, dass Tätigkeiten nicht ohne Unterstützung möglich sind?

Parallel sollte geklärt werden, wie die Versorgung nach der Reha konkret aussehen soll. Steht eine Kurzzeitpflege an, kehrt die Person direkt nach Hause zurück, übernimmt ein Pflegedienst bestimmte Aufgaben? Je klarer der Versorgungsplan ist, desto leichter lässt sich später begründen, dass weiterhin ein erheblicher Pflegebedarf besteht – auch wenn einzelne Funktionen vorübergehend besser sind.

Wer mit der aktuellen Einstufung einigermaßen zurechtkommt, sollte zudem gut überlegen, ob ein Höherstufungsantrag unmittelbar vor oder während einer Reha sinnvoll ist. In dieser Phase nutzt die Pflegekasse jede Veränderung für eine Gesamtüberprüfung, was im ungünstigsten Fall in einer Herabstufung statt in einer Erhöhung endet.

Während der Reha: Realität zeigen – nicht „funktionieren“

In der Reha entsteht schnell der soziale Druck, möglichst fit zu wirken. Für spätere Pflegebegutachtungen ist das gefährlich, wenn dadurch der Eindruck entsteht, die Pflegebedürftigkeit sei „wegtherapiert“ worden. Entscheidend ist, dass Ärztinnen, Ärzte und Therapeutinnen verstehen, was unter Reha-Bedingungen möglich ist und was im häuslichen Alltag dauerhaft realistisch bleibt.

Tätigkeiten, die nur in einer optimal angepassten Umgebung, mit engmaschiger Anleitung und täglicher Therapie gelingen, dürfen im Abschlussbericht nicht so dargestellt werden, als könnten sie ab sofort selbstständig und ohne Probleme zu Hause ausgeführt werden.

Wer beispielsweise in der Reha kurze Strecken mit dem Rollator schafft, im Alltag zu Hause aber wieder überwiegend auf den Rollstuhl angewiesen sein wird, sollte dies unbedingt ansprechen und dokumentiert haben wollen.

Der Entlassungsbericht sollte nicht nur erreichte Fortschritte, sondern ausdrücklich auch verbleibende Einschränkungen, Erschöpfbarkeit, Sturzrisiko, Schmerzproblematik und das Risiko von Rückschritten festhalten. Auch der Hinweis, dass Verbesserungen noch instabil sind und eine erneute Verschlechterung wahrscheinlich ist, kann später eine Herabstufung erschweren.

Nach der Reha: Die kritische Phase für den Pflegegrad

Die erneute Begutachtung erfolgt häufig wenige Wochen nach der Entlassung aus der Reha, oft in einer Phase, in der sich der Alltag gerade erst wieder einpendelt. In dieser Zeit ist eine ehrliche Dokumentation des Alltags entscheidend.

Ein weitergeführtes Pflegetagebuch sollte festhalten, wie der Tag typischerweise abläuft, welche Tätigkeiten nur mit Hilfsmitteln oder Unterstützung gelingen und welche Rückschläge es gibt – etwa Stürze, besonders schlechte Tage oder Situationen, in denen die Pflegeperson nachts mehrfach aufstehen muss.

Am Tag der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst sollte die Pflegesituation so gezeigt werden, wie sie normalerweise ist. Wer am Begutachtungstag aus Stolz oder Gewohnheit alles allein machen will, um „nicht zur Last zu fallen“, riskiert eine Einstufung, die den realen Bedarf unterschätzt.

Sinnvoll ist es, wenn eine Person anwesend ist, die den Alltag gut kennt – etwa ein Angehöriger oder eine Pflegekraft. Diese Person kann konkrete Beispiele einbringen, die im Stress des Termins leicht vergessen werden, etwa wie oft beim Transfer aus dem Bett geholfen werden muss oder wie viel Anleitung bei der Medikamenteneinnahme nötig ist.

Typische Fehler bei der Begutachtung nach einer Reha

In vielen Fällen orientieren sich Gutachterinnen und Gutachter stark am Reha-Entlassungsbericht, in dem die erreichten Fortschritte im Vordergrund stehen. Einschränkungen, Überlastung und die Realität des häuslichen Umfelds kommen dagegen häufig zu kurz.

Klare Hinweise darauf, dass eine Person Tätigkeiten nur unter Schmerzen, unter hohem Kraftaufwand oder nur mit engmaschiger Anleitung erledigen kann, fehlen nicht selten. Dazu kommt, dass Reha-Einrichtungen barrierearm sind, während zu Hause enge Bäder, Stufen oder fehlende Hilfsmittel den Alltag wieder deutlich erschweren können.

Wenn diese Diskrepanz im Gutachten unerwähnt bleibt, wirkt die Pflegesituation auf dem Papier deutlich besser, als sie es tatsächlich ist.

Pflegegrad wurde nach Reha gesenkt – was jetzt konkret zu tun ist

Kommt es trotzdem zu einer Herabstufung, erhalten Betroffene einen schriftlichen Bescheid der Pflegekasse. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden.

Es reicht zunächst ein kurzer, formloser Satz, mit dem der Widerspruch eingelegt und das vollständige Gutachten angefordert wird. Die ausführliche Begründung kann nachgereicht werden, wenn Gutachten und Unterlagen vorliegen.

Sobald das Gutachten da ist, sollte es sorgfältig mit der tatsächlichen Alltagssituation verglichen werden. Besonders wichtig ist zu prüfen, ob das Gutachten im Wesentlichen Reha-Situationen beschreibt, ob Sturzgefahren, Inkontinenz, nächtlicher Hilfebedarf, psychische Probleme oder kognitive Einschränkungen nur am Rande erwähnt werden oder ganz fehlen und ob Tätigkeiten als „selbstständig“ gewertet wurden, die in Wirklichkeit nur mit Hilfe oder unter großer Anstrengung gelingen.

Die Widerspruchsbegründung sollte sich dann gezielt auf diese Punkte beziehen und konkrete Gegendarstellungen enthalten, unterstützt durch Pflegetagebuch, ärztliche Stellungnahmen und, wenn möglich, Berichte von Angehörigen oder Pflegekräften.

Bleibt die Pflegekasse trotz Widerspruch bei der Herabstufung, folgt in der Regel ein Zweitgutachten. Führt auch dieses nicht zu einer Korrektur, besteht die Möglichkeit, Klage vor dem Sozialgericht zu erheben. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Gerade bei deutlich spürbaren Leistungseinbußen und einer offensichtlichen Diskrepanz zwischen Papierlage und Alltag kann es sich lohnen, diesen Schritt mit Unterstützung eines Sozialverbands oder eines Fachanwalts für Sozialrecht zu gehen.

Wann sich der Widerstand gegen die Herabstufung besonders lohnt

Ein Widerspruch hat erfahrungsgemäß gute Chancen, wenn die Herabstufung unmittelbar im Anschluss an eine Reha erfolgt ist und der Gesundheitszustand im Alltag noch stark schwankt, wenn im Gutachten die Belastbarkeit im häuslichen Umfeld kaum beschrieben ist oder wenn wesentliche Diagnosen zwar genannt, aber bei der Bewertung der Selbstständigkeit offensichtlich nicht ernsthaft berücksichtigt wurden.

Auffällig ist oft, dass das Gutachten eine deutlich „bessere“ Realität zeichnet als Pflegetagebuch und Arztberichte. Je klarer diese Unterschiede belegbar sind, desto eher ist eine Korrektur möglich.

Unterstützung nutzen: Niemand muss das allein stemmen

Viele Pflegebedürftige und Angehörige fühlen sich den Formularen, Fristen und Gutachten allein nicht gewachsen – zumal nach einer anstrengenden Reha. In diesem Fall ist es sinnvoll, frühzeitig Unterstützung zu suchen.

Hilfsangebote bieten die Pflegeberatungsstellen der Kommunen und Pflegekassen, unabhängige Beratungsstellen und Patientenorganisationen sowie Sozialverbände wie VdK oder SoVD. Sie helfen beim Sortieren der Unterlagen, der Formulierung des Widerspruchs und bei der Einschätzung, ob eine Klage vor dem Sozialgericht aussichtsreich ist.

Auch Fachanwältinnen und Fachanwälte für Sozialrecht können eingeschaltet werden, insbesondere wenn hohe monatliche Beträge auf dem Spiel stehen oder die Familie stark belastet ist.