Erwerbsminderungsrente wegen Wegeunfähigkeit – Gericht fällt dieses Urteil

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Die Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) ist ein komplexes Thema, das zahlreiche Hürden birgt, da ein Anspruch nicht für jeden Erwerbsgeminderten besteht. Oft fehlen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Es gibt jedoch Fälle, in denen eine EM-Rente gewährt wird, obwohl ein vollschichtiges Leistungsvermögen besteht.

Dies ist der Fall, wenn der Versicherte aufgrund von Wegeunfähigkeit die Arbeitsstelle nicht erreichen kann. Ein richtungsweisendes Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 08. Oktober 2021 (Aktenzeichen: L 4 R 1015/20) verdeutlicht dies. Es baut auf der seit 2011 bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf.

Klägerin kann notwendige Wege nicht zurücklegen

Im vorliegenden Fall klagte eine 1964 geborene, ausgebildete Wirtschafterin, die seit 2006 als Großküchenkraft in einer Jugendherberge tätig war. Aufgrund schwerwiegender gesundheitlicher Einschränkungen beantragte sie eine volle Erwerbsminderungsrente. Der Rentenversicherungsträger lehnte ihren Antrag ab.

Die Klägerin konnte wegen ihrer Gehprobleme und der Unfähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, notwendige Wege nicht zurücklegen. Um ihre eingeschränkte Mobilität zu verdeutlichen, meldete sie am 11.09.2019 ihr Fahrzeug ab.

Das Sozialgericht sprach ihr die EM-Rente wegen Wegeunfähigkeit zu, befristet auf drei Jahre ab April 2020. Die beklagte Rentenversicherung legte Berufung ein.

Argumentation der Klägerin

Die Klägerin betonte, dass ihre gesundheitlichen Einschränkungen es ihr unmöglich machten, tägliche Strecken von mehr als 500 Metern zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewältigen. Die Abmeldung ihres Fahrzeugs sollte ihre stark eingeschränkte Mobilität verdeutlichen.

Urteilsbegründung des Landessozialgerichts

Das Landessozialgericht bestätigte die Entscheidung des Sozialgerichts und wies die Berufung zurück. Es stellte fest, dass der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente nicht davon abhängt, ob die Klägerin ein Fahrzeug behält. Das Gericht entschied, dass die Gründe für die Fahrzeugabmeldung irrelevant sind, seien es subjektive Fahrunsicherheit, technische Probleme oder wirtschaftliche Gründe.

Abmeldung des Fahrzeugs nicht relevant

Eine gesetzliche oder praktische Verpflichtung zur Beibehaltung eines Fahrzeugs bestehe nicht. Die eingeschränkte Mobilität der Klägerin seit September 2019 war auf die Nutzung durch Familienangehörige zurückzuführen. § 103 SGB VI, der vorsätzlich herbeigeführte Einschränkungen von der Rente ausschließt, sei nicht relevant, da die Klägerin ihre Einschränkungen nicht absichtlich verursacht habe.

Zusammenfassung des Urteils

Das Landessozialgericht stellte klar, dass die Klägerin den Versicherungsfall nicht absichtlich herbeigeführt hatte. Ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen waren nicht selbst verschuldet, und die Abschaffung des Fahrzeugs war keine absichtliche Herbeiführung des Versicherungsfalls.

Der Anspruch auf Erwerbsminderungsrente wird durch die Abschaffung eines Fahrzeugs nicht beeinflusst. Rentner müssen nicht gezwungen werden, ein Fahrzeug zu behalten, wenn dies aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen unzumutbar ist. Das Urteil ist eine Einzelfallentscheidung und muss stets im Lichte der BSG-Entscheidung von 2011 betrachtet werden.

Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen zeigt, dass Wegeunfähigkeit ein legitimer Grund für den Bezug einer Erwerbsminderungsrente sein kann. Es unterstreicht, dass gesundheitliche Einschränkungen und die damit einhergehende Mobilitätseinschränkung ernst genommen werden müssen.