Die Hartz IV Klageflut
13.01.2011
In den Fokus der Medien rückt zurzeit wieder einmal die Hartz IV Klageflut bei den Sozialgerichten. In Berlin, dem größten, deutschen Sozialgericht, sind im vergangenen Jahr 32 000 neue Klagen eingegangen. Das sind 5 000 Klagen mehr als im Jahr 2009, was einem Anstieg von ca. 20 % entspricht, teilte die Gerichtspräsidentin Sabine Schudoma mit.
Weiterhin stellte sie fest, dass fast die Hälfte aller Klagen von den Betroffenen gewonnen werden, oder zu mindestens ein Teilerfolg erzielt wird. Dabei würde nur jede achte Klage mit einem Urteil enden, so Schudoma, da die Jobcenter meist im Vorfeld die Ansprüche der Hilfebezieher anerkennen würden.
Danach folgten die üblichen Feststellungen der Ursachen für diesen Zustand. Schuld sind nicht etwa die perfiden Gesetze oder die Jobcenter, die die unzureichenden Gesetze ständig zum Nachteil der Betroffenen auslegen und manchmal darüber hinaus, oder etwa die unzureichend ausgebildeten Mitarbeiter, nein, schuld ist die Software, die Arbeitsüberlastung, die Bürokratie.
Da diese Meldung flächendeckend von allen neoliberalen Printmedien und dem Deutschen Lobby-TV mit seinen Aussagen fast Wortgleich übernommen wurde, ist es mal wieder als Kampanie zu verstehen. Eine Kampanie, die der Bevölkerung zeigen soll, dass im Grunde alles in Ordnung ist und die Gesetze doch gut sind. Lediglich eine Verbesserung der Software und mehr Mitarbeiter würden hier schon Abhilfe schaffen. Die wahren Ursachen bleiben dabei im Dunkeln.
Wenn es nur Fehler wegen Arbeitsüberlastung oder Bürokratie wären, wie Frau Schudoma behauptet, kämen diese Fälle erst gar nicht vor ein Sozialgericht. Vor dem Gang zum Sozialgericht hat der Gesetzgeber nämlich noch das Rechtsmittel des Widerspruches geschalten. Diese Widersprüche landen beim zuständigen Jobcenter und werden auch von diesem bearbeitet. Wären bei den meisten Fällen lediglich Fehler die Ursache, müsste das bei den Widerspruchstellen erkannt werden und es käme gar nicht zu einer Klage.
Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Falsche Rechtsauffassung und Sparzwang, Zielvorgaben und die Angst um den eigenen Arbeitsplatz lassen die ausgestellten Bescheide vor dem Sozialgericht nicht bestehen. Hinzu kommen bei den Unterkunftskosten die Verwaltungsvorschriften der kommunalen Träger, die in den allermeisten Fällen keiner gerichtlichen Prüfung standhalten, die aber von den Jobcentern dennoch umgesetzt werden.
Das Sozialgericht Chemnitz z.B. gesteht keiner einzigen Verwaltungsvorschrift in ihrem Einzugsgebiet zu, den Anforderungen zu genügen. Es wird daher bei Fragen die die KDU betreffen immer die Wohngeldtabelle + 10% heranziehen. Dem stimmen auch die Vertreter der Jobcenter bei einer Verhandlung zu. Dennoch werden Bescheide immer weiter, wissentlich rechtswidrig nach den Vorschriften der Verwaltungsvorschriften ausgestellt. Das hat nichts mit Überlastung und Fehler machen zu tun.
Die Richterschaft hingegen plädiert für eindeutigere Gesetze mit weniger Auslegungsmöglichkeiten. So wird zum z. B. der Gesetzesentwurf zur Pauschalierung der KDU-Kosten begrüßt. Es würden viele Klagen damit überflüssig werden. Dies würde aber nur eines bedeuten, eine weitere Verknappung der finanziellen Mittel der Betroffenen und damit eine weitere Verelendung der Hartz-IV-Bezieher. Dies geht immer weiter weg von einer individuellen Existenzsicherung, hin zu einem Almosen. (A. Pianski)
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