Deutschland im Jahre 2021

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Deutschland, 2021
Eine fiktive Geschichte

Aus einem unbeleuchteten Hauseingang tritt eine schemenhafte Gestalt in das zunehmende Dunkel der aufkommenden Nacht – und bleibt abrupt stehen. Ein Mann, nicht klein, nicht groß, von unbestimmbarem Alter und mit wirren Haaren. Er trägt einen schäbigen Mantel, der dringend eine Reinigung bräuchte.

Er trägt – trotz des generellen Waffenverbotes – zwei Jagdmesser an seiner Hüfte, auf jeder Seite eines, deren Klingen er selbst Rasiermesserscharf geschliffen hat und die er schon des Öfteren benutzen musste. Er hat die Hände tief in den Taschen seines Mantels, deren Innenfutter er schon vor Jahren herausgetrennt hatte, und umklammert mit jeder Hand fest ein Messer.
Er weis, wenn er so in eine Personenkontrolle gerät und man die Messer findet, würde ihm das mindestens 5 Jahre Arbeitslager bringen: Besitz tödlicher Waffen. Aber immer noch besser, als wehrlos zu sein, in dieser Zeit, und auf der Straße zu sterben. Schusswaffen wären zwar effektiver, aber auf deren Besitz steht lebenslanges Arbeitslager, auf die Benutzung sogar die Todesstrafe. Und was für ein Tod, vor Millionen von Fernsehzuschauern müsste er mit anderen zum Tode verurteilten in einer Arena um sein Leben kämpfen, bejubelt und angefeuert vom zahlenden Publikum. Zuckerbrot und Peitsche für die Massen, "Sieh was dir passiert, wenn du dich nicht an die Regeln hältst." – ein Konzept, das schon vor 2 1/2tausend Jahren aufging und wieder entdeckt wurde. Er schauerte bei dem Gedanken an diese perverse Unterhaltungsindustrie. Deshalb hatte er schon lange keinen Fernseher und auch kein Radio mehr.

Er blickt sich um, sucht nach verdächtigen Bewegungen, horcht nach ungewöhnlichen Geräuschen – nichts. Langsam geht er los, auf jedes Geräusch in seiner Umgebung achtend. Dreht sich, ohne stehen zu bleiben, in unregelmäßigen Abständen um und kontrolliert, was hinter ihm passiert.

Mit einer Polizeikontrolle ist hier kaum zu rechnen, die trauen sich hier nur selten her. Und wenn, dann fuhren sie in solche Gegenden nur mit ihren schwer gepanzerten Fahrzeugen, die man schon lange hörte, bevor man sie sah. Dafür musste man mit Überfällen durch eine der zahllosen Banden rechnen. Doch mit seinem Aussehen, dass er bewusst so gewählt hat – nicht, dass er noch einen zweiten Mantel gehabt hätte – erscheint er hoffentlich niemandem als lohnendes Ziel.

Er unterdrückte das heftige Verlangen, seine Schritte zu beschleunigen, um schneller nach Hause zu kommen, denn dann würde er genau die Aufmerksamkeit auf sich lenken, die er unbedingt vermeiden will.

Vor 10 Jahren war er hierher zurück gezogen, um näher bei seinen Eltern zu sein, die gerade, nach langer Arbeitslosigkeit, Rentner wurden. Sie gehören zur letzten Generation, die noch einen staatlichen Rentenanspruch hat, der aber heute nur noch in Form von Gutscheinen ausgezahlt wird. Bargeld haben seine Eltern schon seit Jahren nicht mehr gesehen, geschweige denn, in der Hand gehabt. Damals war es noch eine schöne Stadt, heute ist sie, wie jede andere im Land, heruntergekommen und wird durch Korruption regiert.

Von seinen Eltern kommt er gerade. Diese leben in einer winzigen Wohnung mit 3 Räumen: in einem ist ein kleines Bad, einer wird als Küche, Ess- und Wohnzimmer genutzt und einer als Schlafraum. Raus gingen sie nur noch selten und wenn dann nur um die Mittagszeit, da war es am sichersten. So freuten sie sich über jeden Besuch ihres Sohnes.

Schon vor 25 Jahren hat ihm sein Vater immer wieder prophezeit, dass es mal so kommen würde, in diesem Land. Damals hatte er ihn als Spinner belächelt, sich nicht vorstellen können, das Menschenrechte einmal nicht mehr gelten, doch nach und nach traf alles ein, was sein Vater damals so düster vorausgesagt hatte. Dabei war dieser keineswegs übernatürlich begabt, wie man denken könnte, es war nur die weiter gedachte logische Konsequenz einer Politik, die allein von der Macht des Geldes bestimmt ist. Doch damals konnte er diese Wahrheit noch nicht sehen.

Jeder Besuch bei seinen Eltern war für ihn und sie gefährlich, was sie aber nicht wussten. Er gehörte zum Untergrund, einer Gruppe von Regierungsgegnern, die versuchten, das Leben von aSos erträglicher zu gestalten, und die dazu Diebstähle bei denen begangen, die im Überfluss lebten. Den aussichtslosen offenen Kampf gegen die von Polizei und Militär abgeschirmte Regierung und Wirtschaftsbosse hatten sie längst aufgegeben. Aber auch Diebstahl wurde schwer bestraft. Wenn er ein Brot klaute und dabei erwischt wurde, drohten ihm mindestens 2 Jahre Arbeitslager – und das überlebten nur wenige. Die Kriminalitätsrate bei aSos hatte rasend zugenommen, je mehr der Staat diesen ihre Existenzgrundlage nahm. Heute hat Deutschland die höchste Kriminalitätsrate der Welt – aber das wissen nur wenige, denn Verbrechen durch aSos werden nicht in die offizielle Statistik aufgenommen. Verbrechen, die aus Hunger und Not für das Überleben begangen werden.

Seine Gedanken schweiften ab, weg von der potentiellen Gefahr, in der er sich gerade befand, aber ohne, dass seine Aufmerksamkeit nachließ, darin war er geübt. Bilder seiner Kindheit, seiner Jugend tauchten auf. Denn damals hatte alles begonnen, sein Vater hatte ihm oft genug davon erzählt, auch heute wieder.

Aufgehetzt durch die Presse und durch verlogene Wahlversprechen verblendet, kam 2009 eine Regierung aus CDU, CSU und FDP an die Macht. Diese wurde, durch geschickte Meinungsmanipulation der Massen, in Folge immer wieder gewählt. Hinter vorgehaltener Hand sprach man damals auch von Manipulation der Wahlcomputer, welche diese Regierung in ihrer ersten Amtszeit eingeführt hatte. Heute traut sich das keiner mehr, denn man würde sofort wegen Volksverhetzung als Politischer weggesperrt. Und was mit politischen Gefangenen passiert, weis jeder, auch wenn es keiner sagt: Verlust aller Bürgerrechte, sie verschwinden für immer.

Nachdem diese Koalition 2013 erstmals wieder gewählt wurde, vereinigten sich SPD und LINKE zur Sozialdemokratischen Linkspartei, kurz SDLP. Daraufhin schlossen sich CDU, CSU und FDP zum Neu-Christlich-Liberalen Block, kurz NCLB, zusammen und verboten die SDLP als verfassungsfeindlich. Seither wird dieses Land vom NCLB regiert. Offiziell – denn hinter den Kulissen zieht die Macht des Geldes an den Fäden der Politiker, die nur Marionetten der global agierenden deutschen Wirtschaft sind.
Damals, in der ersten Amtsperiode, heute vom NCLB als "Jahr Eins der neuen Zeit" bezeichnet, wurde die Gesellschaft endgültig aufgespaltet, dreigeteilt. Die Reichen, welche die wirtschaftliche und damit die politische Macht haben, bilden die Oberschicht, welche von privaten Milizen vollkommen abgeschirmt wird. Kein Gesetz, keine Verordnung wird erlassen oder geändert, wenn nicht vorher deren oberster Wirtschaftsrat zugestimmt hat.

Die Arbeiter, die oft für einen Hungerlohn schuften, bilden die Mittelschicht, und die aSos, die "arbeitlosen Sozialschmarotzer", wie sie nun offiziell heißen, also diejenigen Arbeitnehmer, die von der Wirtschaft nicht mehr benötigt werden, bilden die Unterschicht.

Nachdem 2010 das Bundesverfassungsgericht geurteilt hatte, dass der Staat den Regelsatz der sozialen Grundsicherungssysteme viel zu niedrig und falsch berechnet hatte, wurde von CDU, CSU und FDP kurzerhand das Grundgesetz geändert und die sog. Grundsicherungspflicht des Staates daraus entfernt, nebst anderen Pflichten des Staates gegenüber den Bürgern und verschiedener Rechte der Bürger. Danach wurden sämtliche sozialen Sicherungssysteme stufenweise abgeschafft.
Langzeitarbeitslose, Personen, die aufgrund Krankheit nicht arbeiten konnten, Rentner die mit ihrer Rente nicht reichten und Azubis bekamen nur noch Pauschalbeträge, mit denen sie gerade noch so überleben konnten. Nach und nach wurden diese, dann als aSos bezeichneten Personen, in die Außenbezirke ihrer Wohnorte umgesiedelt, in Wohnungen, die dem Staat gehörten und die dieser extra dafür gekauft hatte, so dass er für die aSos keine Mieten mehr zahlen musste. Die Tafel, einst eine gemeinnützige Organisation, wurde vom Staat gekauft und zum ständigen Nahrungsmittellieferanten für aSos umgebaut, die ab dann nur noch Lebensmittelgutscheine bekamen, so dass der Staat den aSos letztlich gar nichts mehr zahlte und diese so größtenteils aus der Öffentlichkeit verbannt hatte – aSos waren nun "für sich" und "störten" den Rest der Bevölkerung nicht mehr.

Anfangs gab es noch eine gesetzliche Zwangsarbeitspflicht für aSos, doch diese wurde abgeschafft, als es dabei 2013 zu massiven Aufständen kamen, die vom Militär blutig niedergeschlagen worden waren und infolge dessen es international zu Protesten über diese, dem Ansehen der Wirtschaft schadende Handlungsweise, kam. Danach wurde konsequent alles, was dem Ansehen des NCLB und der Wirtschaft schaden könnte, aus der Öffentlichkeit verbannt und vermieden. "Deckel drauf", lautet die Parole. Das Militär wurde danach größtenteils privatisiert und das Wahlrecht für aSos abgeschafft.

Die damals noch existierende gesetzliche Krankenversicherung wurde auch bereits im "Jahr Eins der neuen Zeit" abgebaut. Ärzte bekamen für die Behandlung ihrer Patienten von den Krankenversicherungen nur noch Pauschalen, die bewusst nicht kostendeckend waren, so dass Patienten die Behandlung teilweise selbst bezahlen mussten. Viele Ärzte arbeiteten daraufhin oft umsonst, da sie es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten, Kranke, die nicht bezahlen konnten, abzuweisen. Sie verzichteten auf die Zuzahlungen. Daraufhin wurde die biometrische Gesundheitskarte eingeführt. Behandlungen waren nur noch mit gültiger Gesundheitskarte zulässig. Ärzten, welche Patienten ohne gültige Gesundheitskarte behandelten, wurde die Zulassung entzogen, und die, je nach Behandlung fällige Zuzahlung, wurden dem Patienten durch die Krankenkasse automatisch berechnet und gleich vom Konto abgebucht.

Schließlich wurden die gesetzlichen Krankenversicherungen ganz abgeschafft, indem man sie privatisierte. Wer sich die horrenden Prämien der privaten Krankenversicherungen nicht leisten konnte, hatte Pech. Daraufhin kam es zu mehreren Grippeepidemien, welche insbesondere die Zahl der aSos stark verringerte.

Erst nachdem die Nachbarstaaten ihre Grenzen geschlossen und protestiert hatten, weil sie grenzübergreifende Epidemien fürchteten, wurden medizinische Anlaufstellen für nicht Versicherte und aSos geschaffen, wo diese nun eine kostenlose Behandlung erhalten können. Trotzdem beträgt die Sterberate bei aSos durch schwerwiegende Erkrankungen 100%, da die Grundversorgung keine teuren Behandlungen oder Operationen, sog. lebensverlängernde Maßnahmen, umfasst.
Auch das Arbeitslosengeld wurde pö a pö zurückgefahren. Heute bekommen Arbeitnehmer, die arbeitslos werden, für 6 Monate eine kleine staatliche Unterstützung. Danach sind sie auf sich gestellt. Entweder sie wandern aus, oder sie werden aSos, denn wer einmal entlassen wurde, hat kaum Chancen, einen der von der Wirtschaft streng limitierten Job’s, für die man sich zuvor umfassenden medizinischen und psychologischen Tests unterziehen muss, zu bekommen.

Aber auch Auswandern ist heute nur noch möglich, wenn man dem Land, in das man einwandern möchte, besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten bieten kann, ansonsten bekommt man als Deutscher dort keine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung. Und wenn man dort arbeitslos wird, muss man damit rechnen, umgehend zurück nach Deutschland abgeschoben zu werden.
Bei der Altersrente war es komplizierter, denn hätte man diese 2012 einfach abgeschafft, wäre aufgrund der dann einsetzenden Protestwelle der Mittelschicht ein weiterer Wahlsieg von CDU, CSU und FDP kaum noch glaubhaft gewesen. So waren erst erhebliche psychologische Beeinflussungen der Betroffenen nötig, damit diese die Abschaffung der staatlichen Rente widerspruchslos akzeptierten.

Schließlich wurde eine Lösung gefunden. Ein Stichtag wurde festgesetzt, alle davor Geborenen bekamen weiter die staatliche Altersrente, alle ab dem Stichtag Geborenen mussten eine private Altersvorsorge abschließen, die bisher von den davon Betroffenen in die staatliche Altersrente eingezahlten Beiträge wurden an den jeweiligen privaten Rentenversicherer, oder den Betroffenen selbst, ausgezahlt.

Auch das Bildungssystem wurde schon frühzeitig manipuliert. In den Lehrbüchern jeder Klasse tauchten ab 2010 nach und nach Parolen auf wie: "Nur wer arbeitet soll auch essen.", "Arbeitslose sind nur zu faul zum arbeiten.", "Sozial ist, was Arbeit schafft.", "Arbeite, denn nur dann bist du ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft.", "Alles was deinem Arbeitgeber Profit bringt, ist gut für dich.", "Lebe bescheiden". Und später dann noch: "Der NCLB sorgt für dich.", "ASos sind eine Bedrohung unserer Gesellschaft.".

Die Real- und Gesamtschulen wurden in Hauptschulen umgewandelt. Für Gymnasien wurde ein Schulgeld eingeführt und so nur Kindern reicher Eltern der Zugang zu höherer Bildung gewährt, den Kindern einfacher Bürger war er ab sofort verschlossen. So konnte man letztere einfacher kontrollieren und manipulieren.

Seit 2015 gilt für aSos eine Geburtenkontrolle. ASos, die ein Kind haben möchten, werden vorher umfassend medizinisch und psychologisch untersucht. Nur wer danach geeignet ist, darf ein Kind bekommen – nur eines – und die Kindersterblichkeit bei aSos beträgt aufgrund der stark eingeschränkten medizinischen Versorgung 50%.

Eigene Kinder haben, eine Familie gründen – in dieser Zeit: Nein! Das war für ihn ausgeschlossen. Mit diesen letzten Gedanken war er, auch ein aSos, so wie 15 Millionen andere in Deutschland, schließlich vor seinem heruntergekommenen staatlichen Wohnblock angekommen. Er sah sich erneut um, betrat das Treppenhaus und lauschte – Stille um ihn herum. Langsam stieg er die Treppe zum 4. Stock hinauf und schloss seine Wohnungstür auf.

Er horchte in das Dunkel seiner Wohnung, trat schließlich, als er nichts hörte, hinein, schloss die Tür hinter sich und legte den schweren Sicherungsriegel vor. Er sieht auf die Uhr, in 5 Minuten ist Ausgangssperre. Er legte seinen Mantel ab, setzte sich auf sein 20jahre altes Sofa und starrte mit leerem Blick in die Dunkelheit. (Frei zur Veröffentlichung unter Quellenangabe, Ottokar, 27.10.2009)