Sind Bürgergeld-Bezieher faul? Das wird häufig behauptet, und den echten Menschen, die auf diese Sozialleistung angewiesen sind, macht diese Unterstellung zu schaffen.
Zum einen fühlen Sie sich gedemütigt, und zum anderen erleben Sie in ihren alltäglichen Kämpfen, dass dieser Vorwurf falscher nicht sein könnte.
Tag für Tag überwinden Sie Hürden, die sich viele derjenigen, die über “faule Bürgergeld-Bezieher” herziehen, nicht einmal vorstellen können.
Der Sozialverband VdK räumt auf mit den falschen Gerüchten. Stattdessen, so erklärt VdK-Präsidentin Verena Bentele, seien die allermeisten Leistungsberechtigten beim Bürgergeld “Menschen in einer schwierigen Lebenslage, die sich trotzdem nicht unterkriegen lassen.”
Inhaltsverzeichnis
Bürgergeld bis zur Erwerbsminderungsrente?
So berichtet der Sozialverband über einen Vater, der seit Jahren um die Anerkennung einer Erwerbsminderungsrente kämpft. Bis dieses Verfahren beendet ist, hat er keine andere Möglichkeit, als Bürgergeld für sich und seine Tochter zu beziehen.
Bürokratische Mühlen
So wie dieser Vater sind viele Menschen sind notgedrungen auf Bürgergeld angewiesen, weil bürokratische Prozesse zu lange dauern. Zum Beispiel warten Arbeitssuchende mit ausländischen Abschlüssen häufig ein Jahr oder noch länger auf die Bestätigung, dass ihre Qualifikation in Deutschland anerkannt ist.
Oft genug handelt es sich um genau die gesuchten Fachkräfte, die in ihrem gelernten und gefragten Beruf arbeiten wollen, aber dazu genötigt werden, über Monate hinweg Sozialleistungen zu beziehen.
In der Zeit des Wartens nehmen die meisten dieser Menschen jeden Job an, der sich ihnen bietet, doch sind sie weiterhin auf ergänzendes Bürgergeld angewiesen.
Lesen Sie auch:
Arbeiten, wo es nur geht
Wir bei Gegen Hartz kennen manche solcher Biografien, zum Beispiel die von Hussein (Name geändert). Hussein ist studierter Bauingenieur und arbeitete im Iran sieben Jahre als solcher.
Wegen seiner Mitarbeit in einer demokratischen Gruppe wurde er in ein Gefängnis gesteckt und wartete auf seine Hinrichtung. Ihm gelang die Flucht, und letztlich erhielt er in Deutschland politisches Asyl.
Nach dem beendeten Asylverfahren hatte er eine Arbeitserlaubnis. Darüber war er froh und glücklich, denn die erzwungene Erwerbslosigkeit während des Asylverfahrens bedrückte ihn sehr.
Nicht arbeiten zu dürfen war für ihn ein Fluch!
Er musste enorme Strapazen auf sich nehmen, um zu überleben, und zur Passivität verdammt zu sein, entspricht diesem engagierten Menschen ganz und gar nicht. Noch war sein Ingenieursdiplom nicht anerkannt.
Er arbeitete unter anderem als Hilfskraft auf dem Bau, in der Altenpflege und in einem Burger-Imbiss. Zwischenzeitlich musste er immer wieder ergänzend Bürgergeld beantragen.
Es dauerte nach seiner Arbeitserlaubnis noch zweieinhalb Jahre, bis sein Ingenieursdiplom offiziell in Deutschland anerkannt wurde. Danach ging es dann Schlag auf Schlag, bis er eine feste Stelle als Ingenieur bekam, in der er bis heute beschäftigt ist.
Alleinerziehende Mütter
Viele alleinerziehende Mütter sind, laut VdK, ebenfalls von Bürgergeld abhängig, da sie keinen Unterhalt von den Kindsvätern bekämen und wegen der Kindererziehung nicht voll arbeiten könnten.
Menschen mit Behinderungen
Was in vielen öffentlichen Debatten ebenfalls unter den Tisch gekehrt wird, sind die vielen Menschen mit Beeinträchtigungen und einem anerkannten Grad der Behinderung, die Bürgergeld beziehen.
Diese hätten, so der Sozialverband, wegen ihrer Behinderung große Probleme, auf dem Arbeitsmarkt angenommen zu werden.
Kinder und Rentner
Sehr viele Menschen, die Sozialleistungen bezögen, könnten überhaupt nicht arbeiten. Das gelte ebenso für 1,5 Millionen Kinder im Bürgergeldbezug wie für 680.000 Rentnerinnen und Rentner, die Grundsicherung im Alter benötigten.
“Existenzminimum ist ein Menschenrecht”
Der VdK rückt zudem die Falschbehauptung gerade, das Bürgergeld und andere Sozialleistungen seien nach Gutdünken verteilte Wohltätigkeiten: “Die Sicherung des Existenzminimums für alle in diesem Land ist kein Akt der Barmherzigkeit, sondern ein Menschenrecht.”
Aufstocker und Knochenarbeiter
Das aufklärende Video des VdK ist kurz und kann nicht alle Gruppen unter den Bürgergeld-Beziehern aufführen, die das exakte Gegenteil von faul sind.
Ende 2023 waren 810.436 von 5,5 Millionen Bürgergeld-Empfängern sogenannte “erwerbstätige erwerbsfähige Leistungsempfänger”.
Das sind Menschen, die einer Erwerbsarbeit nachgehen, aber mit dieser ihr Existenzminimum nicht sichern können. Manche von ihnen können nur Teilzeit arbeiten, zum Beispiel wegen einer teilweisen Erwerbsminderung.
In einigen Branchen werden indessen kaum noch Vollzeitkräfte eingestellt, da sich Teilzeitarbeiter flexibler einsetzen lassen.
Es ist zudem ein offenes Geheimnis, dass nicht wenige Teilzeitstellen getarnte Fulltimejobs sind, bei denen die Arbeitgeber Geld sparen.
Nicht faul, sondern krank
Faulheit ist auch nicht das Problem der vielen Menschen, die Bürgergeld beziehen müssen, weil sie unter psychischen Erkrankungen und / oder Suchtkrankheiten leiden.
Leider gilt hier die Faustregel: Wegen einer psychischen Erkrankung oder eine Suchtkrankheit eine reguläre Erwerbsarbeit zu verlieren, ist sehr einfach.
Mit einer Sucht oder einer psychischen Störung einen Job zu finden, ist hingegen sehr schwer.
Bei diesen Menschen kommt zur Arbeitssuche der ständige Kampf gegen die Krankheit hinzu – und das ist bisweilen ein Kampf ums nackte Überleben. Sie entsprechen also haargenau dem, was Verena Bentele aussagt über Menschen, die sich von schwierigen Lebenssituationen nicht unterkriegen lassen.
Was sagt die Statistik?
Lediglich vier Millionen der circa 5,5 Millionen Bürgergeld-Bezieher sind erwerbsfähig, denn 1,5 Millionen sind Kinder unter 15 Jahren.
20 Prozent der Bürgergeld-Bezieher über 15 Jahren sind erwerbstätig und bekommen Bürgergeld als Aufstockung.
40 Prozent sind zwar grundsätzlich erwerbsfähig, stehen dem Arbeitsmarkt aber praktisch nicht zur Verfügung. Sie gehen zur Schule, nehmen an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teil, pflegen Angehörige oder erziehen Kinder.
Letztlich stehen nur rund 40 Prozent der grundsätzlich erwerbsfähigen Bürgergeld-Bezieher dem Arbeitsmarkt tatsächlich zur Verfügung.
Auch bei diesen ist Arbeitsverweigerung fast nie der Grund für fehlende Vermittlung. Die Kernprobleme sind vielmehr fehlende Ausbildungen und Abschlüsse, mangelnde Sprachkenntnisse, Lese- und Schreibschwächen, Unter- und sogar Überqualifizierung, bisweilen sogar der Wohnort.