Zugewiesene Maßnahmen durch das Jobcenter sollen die Jobchancen erhöhen. Um die durch das Jobcenter zugewiesenen Maßnahmen hat sich eine regelrechte “Industrie” von Maßnahmenträgern entwickelt.
Das Geschäft mit Maßnahmen ist sehr einträglich und werden von den Jobcentern gut bezahlt. Oftmals müssen die Betroffenen einfach nur rumitzen, Filme schauen oder einfachste Grundschulaufgaben erledigen.
Die “Sinnlosmaßnahmen” werden seit Jahren von Sozialverbänden und Beratungsstellen immer wieder kritisiert.
Der Vorwurf, dass es den Jobcentern eher um die Erfüllung von Quoten als um wirkliche Eingliederungshilfe geht, wird auch aus den Jobcentern selbst immer wieder von Sachbearbeitern bestätigt.
Tobias H. war selbst mehrere Jahre arbeitslos und auf das Jobcenter angewiesen.
Er berichtet aus der Sicht eines Betroffenen, der immer wieder in so genannte sinnlose Maßnahmen geschickt wurde. Im Gespräch mit uns erläutert er seine Erfahrungen.
An wie vielen Maßnahmen mussten Sie teilnehmen?
Es waren einige. In meinen gut 18 Jahren hatte ich fast jedes Jahr mindestens eine größere Maßnahme. Außerdem gab es immer mal wieder eine Intensivbetreuung, bei der ich wöchentlich über meine Fortschritte berichten musste. Insgesamt habe ich an mehr als 18 verschiedenen Maßnahmen bei unterschiedlichen Trägern teilgenommen.
Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Nun, ich bin jetzt 38 Jahre alt und habe bis Januar 2020 Hartz IV bezogen, also gut 18 Jahre lang, obwohl es mit einer ehrenamtlichen Tätigkeit als Digitalisierungshelfer an meiner alten Schule eigentlich gut angefangen hatte.
Damals wurde ich vom Amt mit einem “1-Euro-Job” über den Träger GBH unterstützt. Dadurch hatte ich Freiräume und konnte mich der Arbeit an der Schule widmen. Schlimm wurde es, als die Stelle an der Schule gestrichen wurde. Ich hatte vorher eine Ausbildung zum Kinderpfleger gemacht, das war vielleicht hilfreich.
Bei den folgenden Maßnahmen wusste ich noch nicht genau, was ich machen sollte. Ich hatte eine der ersten großen Maßnahmen in der FAA, das heißt wahrscheinlich “Fit am Arbeitsmarkt”.
Ich wurde direkt vom Jobcenter dorthin geschickt, also direkt nach dem Termin mit meinem Sachbearbeiter.
Dadurch kam ich zu spät, und man wusste nicht so recht, was man mit mir machen sollte. Zunächst landete ich in der Ausbildung zum Gabelstaplerfahrer, wurde aber wieder herausgenommen, als man den Fehler bemerkte.
Die eigentliche Maßnahme war nämlich eine Art Gruppentherapie mit sieben anderen Teilnehmern und einem Betreuer.
Ursprünglich sollten wir hier sechs Wochen lang sechs Stunden am Tag lernen, wie man dem Jobcenter vorgaukelt, dass man sich bewirbt. Tatsächlich gab es aber hauptsächlich Vorträge darüber, wie man so tut, als würde man sich bewerben.
Das machte mich skeptisch, aber ich war noch nicht bereit, den Mund aufzumachen. Da ich von den anderen Teilnehmern gemobbt wurde und die Betreuer nur sagten: “Wenn du gehst, bekommst du 30 Prozent Sanktion”, habe ich damals aus Angst nichts dem Jobcenter gesagt.
Weitere Maßnahmen waren dann z.B. bei “Fit im Job”, an denen ich damals aufgrund des psychischen Drucks nur bedingt teilgenommen habe.
An den Präsenztagen war es aber so, dass wir am PC saßen und machen durften, was wir wollten, solange wir am Ende mindestens eine Bewerbung vorweisen konnten. Das dauerte acht Stunden am Tag.
Zu meinem Erstaunen wurden mir aber am Ende der Maßnahme angeblich keine Krankheitstage oder Fehlzeiten angerechnet. Ich weiß nicht, warum der Träger das so angegeben hat.
Andere Maßnahmen sahen im Prinzip genauso aus. Acht Stunden am Computer, meist ohne ständige Betreuung.
Immer wieder wurden wir unter Druck gesetzt mit Sätzen wie “Geh, sonst wirst du gesperrt” oder “Geh zum Amt, dann bekommst du gleich 30% Sanktion”.
Später kam ich mehrmals zum IB (Internationaler Bund) für schulähnlichen Unterricht, Kurse und handwerkliche Bastelarbeiten. Manches machte Spaß, aber war es sinnvoll?
Drohungen waren auch hier allgegenwärtig. Manchmal grundlos, manchmal begründet, bei anderen Teilnehmern.
Eine Prämie oder Vergütung erhielt ich nie. Lediglich die Fahrtkosten wurden bezahlt oder Fahrkarten ausgegeben.
Im Jahr 2017-2018 war es gut, als ich eine §16-Stelle bekam. Es handelte sich um eine eineinhalbjährige Stelle an einer Schule, aber ich durfte keine reguläre Stelle besetzen.
Es war also ein erfundener Job ohne wirklichen Sinn. In meinem Fall war ich Bibliothekar an einer Schule ohne Bibliothek. Es war langweilig, aber ich bekam 900 € für 8 Stunden Arbeit am Tag (aber kein Hartz IV mehr).
Danach ging es richtig schlimm weiter. Ich musste wieder zum IB und dort 4-6 Stunden verbringen.
Wir mussten Fragebögen ausfüllen, die auf Grundschulniveau waren. Zwei Wochen lang, jeden Tag. Ohne Fahrgeld oder Bezahlung. Uns wurde ein §16i-Job versprochen, der 5 Jahre Arbeit bedeutet.
Davon wurde aber der §16e Job abgezogen, so dass nur noch 3,5 Jahre übrig blieben. Aber es ist nichts passiert. Denn danach musste ich an einer großen Maßnahme teilnehmen, mit gefühlt allen Teilnehmern aus meiner Stadt.
Das war die Tertia oder “3 Monate in der Hölle”, wie ich es gerne nenne. 2019 wurden die Krankheitstage hinten angehängt. Es war heiß, 32-34°C ohne Ventilator und auch hier gab es nur das Fahrgeld.
Unsere Aufgabe bestand darin, 8 Stunden (Vollzeit) in einem von 10 Klassenzimmern zu sitzen und YouTube-Videos auf einer Leinwand mit Beamer anzuschauen.
Es ging z.B. um Industrie 4.0, was bedeutet, dass Arbeitsplätze bald überflüssig sein werden. Ab und zu gab es auch andere Themen. Zwischendurch wurde uns an der Tafel erklärt, wie man sich bewirbt, aber wir durften es nicht selber machen oder uns wirklich bewerben.
Jeden Tag wurde jemand angeschrien und manchmal wurde uns mit 30 % Strafe gedroht, nur weil wir nicht “Guten Morgen” gesagt haben. Wenn wir uns beschweren wollten, hieß es nur: “Dann gehen Sie zum Amt, dann bekommen Sie sofort 30 % Sanktion”.
Neben den deutschen Klassenräumen gab es auch einen Klassenraum für Flüchtlinge, die nicht so gut Deutsch konnten und hier Deutsch gelernt haben, wahrscheinlich durch Zeitungen. Ich war aber nicht dabei und kann dazu nicht viel sagen.
Es gab einen Computerraum mit ungefähr 15 PCs für über 300 Leute. An diesen Computern durfte man höchstens einen Lebenslauf während der Maßnahme schreiben und hatte auch maximal einen Tag Zeit. Es wurden immer wieder Drohungen ausgesprochen, die hier stärker waren als je zuvor.
Niemand konnte sich hier bewerben, aber jeder, der auffiel, wurde mitten in der Maßnahme abgezogen und musste fortan ein Praktikum bei Tertia machen.
Eine gute Kollegin, die ich hier erst kennengelernt hatte, wurde zum Beispiel nach der Hälfte der Zeit plötzlich Praktikantin in der Verwaltung.
Sie hatte Zugang zu allen privaten Akten und Unterlagen der Teilnehmer. Mitarbeiter verschwanden plötzlich.
Wenn etwas schmutzig war, wie zum Beispiel Erbrochenes auf dem Flur oder Spinnweben und Müll im Klassenzimmer, habe ich das aus Angst per E-Mail an die Verwaltung gemeldet.
Das habe ich dreimal gemacht, und jedes Mal wurde ich am nächsten Tag zum Chef zitiert und abgewatscht.
Beim ersten Mal war das noch normal, beim zweiten Mal war der Ton aggressiv und beleidigend.
Beim dritten Mal habe ich das Büro gebeten, wegen der Drohungen zu schweigen, aber trotzdem hatte der Chef am nächsten Tag meinen Bericht mit Klarnamen auf dem Tisch.
Da war ich gebrochen. Von da an hatte ich immer Angst, denn eine Sanktion von 30 % bedeutet gut und gerne 150 € weniger.
Am letzten Tag der Maßnahme wurde ich zum Chef gerufen, wo auch ein Mitarbeiter des Jobcenters saß.
Dieser Mitarbeiter lächelte, während der Chef mich ein letztes Mal bedrohte und niedermachte. Ich glaube aber, dass der Mitarbeiter des Jobcenters einfach mit der Situation überfordert war.
Haben Sie auch positive Erfahrungen gemacht?
Während meiner Zeit mit dem §16e habe ich gleichzeitig an einer Fortbildung zum Inklusionshelfer teilgenommen.
Ein Inklusionshelfer unterstützt Menschen mit Behinderung an einer Regelschule. Das hat mir zwar nicht viel gebracht, aber ich habe wenigstens ein Zertifikat dafür bekommen, was ja auch nicht schaden kann. Außerdem habe ich während meiner Zeit mit §16i etwa 2000 Euro im Monat bekommen. Das war eine Art richtige Arbeit, die vom Jobcenter gefördert wurde.
Haben Sie Ihren Sachbearbeiter im Jobcenter über die Sinnlos Maßnahmen informiert? Wie war die Reaktion?
Mehrmals sogar. Mehrmals wurde das abgetan, meistens hieß es dann, das sei nur meine Erfahrung und niemand sonst würde sich beschweren.
Bei der letzten Maßnahme wurde mir dann gesagt, ich hätte das in der Maßnahme und schriftlich mitteilen müssen, was ich eigentlich schon getan habe. Das habe ich, wie oben schon erwähnt, dreimal gemacht.
Inzwischen haben Sie wieder einen Job. Haben Sie diese Stelle damals mit Hilfe des Jobcenters gefunden?
Ja und nein. Ich hatte einen §16i-Job, bei dem mir das Jobcenter bis zu 5 Jahre lang einen Arbeitsplatz komplett bezahlt hat, abzüglich der 1,5 Jahre aus dem §16e.
Nach 6 Monaten wurde der §16i-Job mein neuer Job. Ich musste hart darum kämpfen, da ich nicht mehr beim Jobcenter gemeldet war. Mein Gehalt wurde aber vom Staat bezahlt.
Eigentlich hätte ich noch 2 Monate und dann die Übernahme gehabt, aber leider wurde die Firma im Juni 2023 aufgelöst und ich habe meinen Job wieder verloren, genau wie ca. 100 andere Mitarbeiter.
Momentan bin ich leider wieder auf Arbeitssuche, aber ich bin zuversichtlich, dass ich aufgrund meiner letzten Tätigkeit einen Aufschwung erleben werde.
Was müsste sich ihrer Meinung nach im Bürgergeld ändern?
Zunächst muss die Drohung verschwinden. Man kann sich nicht bewerben, wenn man ständig überlegen muss, wie man es dem Betreuer recht machen kann, um keine Sanktionen zu bekommen.
Natürlich kann man bei den schwarzen Schafen anfangen zu drohen und zu sanktionieren, aber nicht bei jedem und schon gar nicht von Anfang an ohne Verstoß.
Es beginnt mit der Androhung von Sanktionen schon bei der ersten Anfrage. Da werden einem 10% angedroht, obwohl man noch gar kein Geld vom Amt bekommt (wenn man zum ersten Termin geladen wird oder Kontoauszüge nachreichen muss). Warum muss das schon bei einem neuen Antrag oder Termin passieren?
Andererseits nimmt man gerne Maßnahmen an, bei denen man z.B. nur 4 Stunden am Computer Bewerbungen schreibt. Das wäre gut. Aber 8 Stunden nur Sitzen (ist auch nicht gut für die Gesundheit) und teilweise gar keine Möglichkeit, sich zu bewerben, kein Computer.
Ich glaube, den meisten Arbeitslosen wäre mehr geholfen, wenn sie nicht unter diesem Druck stünden und einen Computer nach Hause bekämen und sich dann jeden Tag selbst bewerben könnten. Aber versuchen Sie mal, sich von 1,60 € im Monat einen PC zu kaufen.
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Carolin-Jana Klose ist seit 2023 Autorin bei Gegen-Hartz.de. Carolin hat Pädagogik und Sportmedizin studiert und ist hauptberuflich in der Gesundheitsprävention und im Reha-Sport für Menschen mit Schwerbehinderungen tätig. Ihre Expertise liegt im Sozialrecht und Gesundheitsprävention. Sie ist aktiv in der Erwerbslosenberatung und Behindertenberatung.