Bürgergeld unter Beschuss – ist die Neue Grundsicherung verfassungswidrig?

Lesedauer 2 Minuten

Das Bürgergeld wird abgeschafft und durch eine „Neue Grundsicherung“ ersetzt. Diese soll deutlich härtere Sanktionen und eine striktere Mitwirkungspflicht als bisher beinhalten. So steht im entsprechenden Papier:

„Wer sich weigert, eine zumutbare Beschäftigung aufzunehmen oder unzureichend mitwirkt, soll künftig „schneller, einfacher und unbürokratischer“ sanktioniert werden – bis zum vollständigen Leistungsentzug. Diese Maximalstrafe soll Personen treffen, die wiederholt eine zumutbare Tätigkeit ablehnen.“

Erwerbslosenberater sieht Rückkehr zu Hartz-IV

Der Erwerbslosenberater Harald Thomé sieht hier eine Rolle rückwärts: „Mit dieser Positionierung dreht die neue Regierung das Rad zurück – zurück zu Hartz IV, zurück zu Repression statt Förderung. Statt Perspektiven zu eröffnen, setzt man erneut auf Kontrolle, Druck und Strafe.“

Zwischen Schärfe und Mäßigung

Bisher ist das Gesetz noch nicht ausformuliert, und Scharfmacher stehen gemäßigteren Stimmen gegenüber. Thomé erläutert: „Noch sind die Pläne nicht in Gesetzesform gegossen. Während CDU-Politiker wie Linnemann und Merz lautstark von einem vollständigen Leistungsentzug fantasieren, gibt sich Arbeitsministerin Bas zurückhaltender und verweist auf die Einhaltung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.“

Treten gegen die Schwächsten

Auch, wenn die konkreten Verschärfungen noch nicht unter Dach und Fach sind, hält Thomé den Tenor für bedenklich: „Doch der Geist, der durch diese Debatte weht, ist eindeutig: Misstrauen gegenüber den Schwächsten der Gesellschaft.“

Wir erinnern uns: Politiker aus der Union wie Linnemann griffen in den letzten beiden Jahren im Dauerfeuer die Bürgergeld-Gesetzgebung an und behaupteten wahrheitswidrig, es gebe Mengen an „Totalverweigeren“, die arbeiten könnten, aber nicht wollten und stattdessen von Sozialleistungen lebten.

Scharfmacher und Gemäßigte

Die neue Arbeitsministerin Bas kommt aus der SPD, der Partei, die das Bürgergeld ins Leben rief. Bereits die Ampelregierung reagierte auf den kontinuierlichen Druck der CDU/CSU, indem sie gerade gemilderte Sanktionen wieder verschärfte.

Vermutlich möchte Bas schlicht, dass die „Neue Grundsicherung“ im Großen und Ganzen dem „alten“ Bürgergeld entspricht. Ob sich die Scharfmacher durchsetzen oder die Gemäßigten, bleibt offen.

Sanktionen erschweren die Arbeitssuche

Klar ist aber, dass wissenschaftliche Studien der letzten Jahre keine Rolle bei der „Neuen Grundsicherung“ spielen. Diese konzentrierten sich auf die komplexe Vermittlung von zwar grundsätzlich Erwerbsfähigen, die aber praktisch wegen zahlreicher Probleme kaum Chancen haben, dauerhaft in Arbeit zu kommen.

Während das Bürgergeld sich deshalb ursprünglich auf Qualifikation setzte, heißt es heute wieder „Vermittlungsvorrang“ und „Sanktionen“.

Thomé erläutert: „Dabei ist längst belegt: Sanktionen führen nicht zu nachhaltiger Integration in den Arbeitsmarkt. Zudem ist der Anteil derjenigen, die sich tatsächlich verweigern, verschwindend gering.“

Arme werden bekämpft, nicht die Armut

Die Diskussion um schärfere Sanktionen ist, ihm zufolge, kein Missgeschick, das aus Unwissenheit entsteht, sondern eine gezielte Attacke gegen finanziell an den Rand Gedrängte: „Offensichtlich geht es der neuen Regierung nicht darum, Armut zu bekämpfen, sondern Arme. Statt sozialer Gerechtigkeit betreibt sie Klassenkampf von oben.“

Pressen in Ausbeutung

Thomé zufolge bleibt von der Kooperation auf Augenhöhe zwischen Arbeitssuchenden und den Jobcentern nichts mehr über. Diese hatte das Konzept des Bürgergeldes versprochen. Er schreibt:
„Wer Arme unter Generalverdacht stellt und mit populistischem Getöse gegen sie Stimmung macht, spaltet die Gesellschaft bewusst. Das langfristige Ziel scheint klar: möglichst viel Druck, um jede, und sei sie noch so schlecht bezahlte oder prekäre, Arbeit anzunehmen.“

Linnemann und Merz wollen die Verfassung brechen

Falls die von Merz und Linnemann geforderten Totalsanktionen in Kraft treten sollten, wären diese verfassungswidrig, so Thomé und bezieht sich dabei auf das entsprechende Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2019 (Az.: 1 BvL 7/16).

Aufruf zur sozialen Demokratie

Thomé schließt: „Die SPD täte gut daran, sich auf ihre sozialdemokratischen Wurzeln zu besinnen. Das Mittragen offen verfassungswidriger Sanktionen hat mit sozialer Gerechtigkeit nichts zu tun. Im Gegenteil: Eine Partei, die solche Politik mitträgt, macht sich überflüssig – und wird zum Steigbügelhalter für die AfD.“