Bürgergeld trotz Rente: Die überraschende Ausnahme, die kaum jemand kennt

„Wer Rente bekommt, hat kein Bürgergeld mehr“ – dieser Satz geistert hartnäckig durch Ämterflure und Facebook-Kommentare. Er ist halb richtig und führt im Alltag oft zu falschen Erwartungen. Entscheidend ist nicht der Rentenbezug an sich, sondern ob Sie erwerbsfähig sind und ob Hilfebedarf besteht.

Grundprinzip: Bürgergeld = Erwerbsfähigkeit + Hilfebedarf

Bürgergeld erhalten Menschen, die grundsätzlich arbeiten könnten (mindestens drei Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen) und deren Einkommen/Vermögen den Bedarf nicht deckt. Wer Bürgergeld bezieht, verpflichtet sich, jede zumutbare Arbeit anzunehmen und an Vermittlungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen mitzuwirken.

Es geht um Schutz des Existenzminimums – aber immer mit dem Ziel, Erwerbstätigkeit (wieder) möglich zu machen.

Wann Rente das Bürgergeld ausschließt

Scharf zu trennen ist zwischen Altersrente und Rente wegen voller Erwerbsminderung:

Altersrente: Bereits mit dem Bezug einer Altersrente – auch vorzeitig – scheidet Bürgergeld aus. Ob die Regelaltersgrenze erreicht ist, spielt dafür keine Rolle. Wer Altersrente bezieht, gilt im System des SGB II nicht mehr als erwerbsfähig.

Volle Erwerbsminderungsrente: Wer auf Dauer unter drei Stunden täglich leistungsfähig ist, ist nicht erwerbsfähig und fällt damit nicht unter das Bürgergeld. Zuständig ist die Sozialhilfe.

Für beide Gruppen gilt: Wenn der eigene Lebensunterhalt nicht gesichert ist, greifen Leistungen des SGB XII – je nach Fall Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder Hilfe zum Lebensunterhalt (Aufteilung siehe Tabelle unten).

Die oft vergessene Ausnahme: Sozialgeld in der Bedarfsgemeinschaft

Ganz ohne Bezug zum „Bürgergeld-System“ sind Altersrentner:innen oder dauerhaft voll Erwerbsgeminderte nicht immer. Leben sie in Bedarfsgemeinschaft mit einer erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person (z. B. Partner:in), können sie Sozialgeld im Rechtskreis des SGB II bekommen – sofern keine (oder nicht ausreichende) Leistungen nach dem SGB XII bezogen werden.

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Praktisch heißt das: Die Unterkunfts- und Heizkosten, Mehrbedarfe usw. werden gemeinsam betrachtet; die nicht erwerbsfähige Person erhält im selben Verfahren ihren Anteil als Sozialgeld.

Teilweise Erwerbsminderung: Aufstockung durch Bürgergeld möglich

Anders liegt der Fall bei der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Hier besteht die Leistungsfähigkeit zwischen drei und unter sechs Stunden täglich – damit gelten Betroffene als erwerbsfähig. Die (Teil-)Rente ist häufig zu niedrig, um Miete und Lebensunterhalt zu decken. Bürgergeld als Aufstockung ist dann möglich.

Wichtig: Die Rente wird als Einkommen angerechnet (siehe Infokasten). Parallel zulässig ist eine Teilzeittätigkeit, deren Einkommen ebenfalls in die Berechnung einfließt – mit den bekannten Freibeträgen für Erwerbseinkommen.

So wird die Rente beim Bürgergeld angerechnet

Rentenarten als Einkommen: Altersrenten und Renten wegen teilweiser Erwerbsminderung zählen beim Bürgergeld als zu berücksichtigendes Einkommen.
Absetzungen: Von der Rente werden Versicherungspauschalen und nachgewiesene Beiträge (z. B. private Haftpflicht) abgezogen.
Erwerbseinkommens-Freibeträge: Nur auf Erwerbseinkommen (z. B. Lohn aus Teilzeitjob) gibt es die prozentualen Freibeträge. Auf Renten selbst finden diese keine Anwendung.
Kosten der Unterkunft (KdU): Angemessene Miete und Heizung werden zusätzlich zum Regelbedarf berücksichtigt. Decken Rente und ggf. Erwerbseinkommen den Gesamtbedarf nicht, gleicht das Bürgergeld die Deckungslücke aus.
Vermögen: Neben Einkommen wird auch Vermögen geprüft (mit Schonvermögensregeln). Übergangs- und Karenzzeiten können die Prüfung der KdU beeinflussen.

Welche Leistung ist in welchem Fall zuständig?

Situation Zuständiger Rechtskreis / Leistung
Altersrente (auch vorzeitig) Kein Bürgergeld. Sozialhilfe nach SGB XII. Vor Erreichen der Regelaltersgrenze meist Hilfe zum Lebensunterhalt, ab Regelaltersgrenze Grundsicherung im Alter.
Volle Erwerbsminderung (dauerhaft) Kein Bürgergeld. Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach SGB XII.
Volle Erwerbsminderung (befristet) Kein Bürgergeld. In der Regel Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB XII, solange die volle EM nicht als dauerhaft festgestellt ist.
Teilweise Erwerbsminderung (3–<6 Std.) Bürgergeld möglich (Aufstockung). Rente wird als Einkommen angerechnet; Erwerbseinkommen mit Freibeträgen.
Nicht erwerbsfähig, aber in BG mit Erwerbsfähigen Sozialgeld im SGB II (Anteil im BG-Bescheid), wenn keine ausreichende Leistungnach SGB XII erfolgt.

Warum diese Unterscheidungen wichtig sind

Für Betroffene bedeuten falsche Auskünfte oft Monate ohne ausreichende Leistungen. Wer mit vorgezogener Altersrente abgewiesen wird, sollte nicht vorschnell aufgeben, sondern die zuständige Leistung im SGB XII beantragen.

Umgekehrt sollte, wer nur teilweise erwerbsgemindert ist, prüfen, ob sich Bürgergeld-Aufstockung lohnt – besonders, wenn die Miete hoch ist oder der (Teilzeit-)Job schwankt. In Bedarfsgemeinschaften entscheidet die gesamte Haushaltslage: Das kann den Unterschied machen, ob Sozialgeld (SGB II) oder Leistungen nach dem SGB XII fließen.

Fazit

Rente und Bürgergeld schließen sich nicht per se aus. Altersrente und volle Erwerbsminderung führen in der Regel aus dem Bürgergeld heraus – dann ist das SGB XII zuständig. Teilweise Erwerbsminderung hält den Zugang zum Bürgergeld offen; die Rente wird angerechnet, fehlende Beträge werden aufgestockt.

In Bedarfsgemeinschaften kann trotz fehlender Erwerbsfähigkeit Sozialgeld im SGB-II-System zustehen. Wer seine Situation klar einordnet, vermeidet Ablehnungen – und sichert schneller das, worauf es ankommt: ein existenzsicherndes Einkommen.