Was VerBIS über dich weiß – und warum eine DSGVO-Auskunft dein wichtigstes Werkzeug im Umgang mit dem Jobcenter ist
Dass was die Jobcenter über Dich wissen oder zu wissen meinen, bleibt Bürgergeld-Beziehern oft im Verborgenem. Es gibt aber eine Möglichkeit mehr über die Notizen des Jobcenters im sog. VerBIS-System zu erfahren und das mit einem legalem Trick.
Im VerBIS-System protokollieren Jobcenter-Sachbearbeiter Gespräche, Termine, Einschätzungen und Arbeitsschritte – Informationen, die im Zweifel über Mitwirkungspflichten, Sanktionen oder Leistungseinstellungen mitentscheiden.
Die Idee ist so einfach wie simpel: Wer seine Daten kennt, ist weniger ausgeliefert. Und der Weg zur Einsicht ist rechtlich klar geregelt – über den Auskunftsanspruch nach der DSGVO.
Was VerBIS ist – und warum es so relevant ist
VerBIS steht für Vermittlungs-, Beratungs- und Informationssystem der Bundesagentur für Arbeit. Es bündelt alles, was die Vermittlung betrifft: Terminvermerke, Gesprächsnotizen, Hinweise zur Erreichbarkeit, Veranlassungen von Schreiben und in vielen Fällen auch standardisierte Kürzel der internen Kommunikation.
Für Betroffene sind diese Einträge deshalb relevant, weil sie spätere Entscheidungen vorbereiten oder begründen können. Mit anderen Worten: VerBIS ist die Schattenchronik deines Falls – und genau deshalb lohnt es sich, sie zu kennen.
DSGVO-Auskunft: Rechtsgrundlage, Ablauf, Hürden
Die Datenschutz-Grundverordnung gibt dir ein starkes Instrument an die Hand: die Auskunft nach Art. 15 DSGVO. Sie verpflichtet die Stelle, die deine Daten verarbeitet – also das Jobcenter beziehungsweise die Bundesagentur für Arbeit –, dir mitzuteilen, welche personenbezogenen Daten über dich gespeichert sind, zu welchen Zwecken dies geschieht und aus welchen Quellen die Informationen stammen.
In der Praxis genügt eine formlose, aber klare Anfrage. Wichtig sind Identifizierbarkeit, Umfang der verlangten Daten (vollumfänglich) und eine Fristsetzung.
Die DSGVO sieht eine Antwort „unverzüglich“, spätestens innerhalb von 30 Tagen vor. Bleibt die Auskunft aus oder ist sie offenkundig unvollständig, kannst du dich beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) beschweren.
Erfahrungsgemäß ist der erste Anlauf nicht immer reibungslos; viele Jobcenter brauchen eine zweite Erinnerung. Rechtlich ist das unerheblich, praktisch lohnt es sich, höflich nachzufassen und die Frist zu dokumentieren.
Der Fall: Eine Chronik in Vermerken
In der Praxis kam folgendes vor: Eine Leistungsbezieherin wollte auswandern, doch das Vorhaben scheiterte. Nach der gescheiterten Auswanderung kam es wie es kommen musste.
Es gab unklare Zuständigkeit zwischen Jobcenter Hamburg-Mitte und dem Bereich für Selbständige, weil geringe Einnahmen aus einem Online-Buchverkauf und eine ausgefüllte Anlage EKS vorlagen. Später folgt eine weitere EKS für einen YouTube-Kanal, zunächst ohne Einnahmenprognose.
Diese Konstellation führt häufig dazu, dass Fälle automatisch dem Team „Selbständige“ zugeordnet werden – selbst wenn die Umsätze marginal sind.
Formal ist das folgerichtig, praktisch aber nicht immer sachgerecht, weil die Betreuungslogik auf echte Selbständigkeit zielt und nicht auf Nebenerträge im einstelligen Eurobereich.
Durch die Einsicht in VerBIS. kam folgendes heraus: Am 20.03. um 12:27 Uhr findet sich in VerBIS ein „Allgemeiner Vermerk“ mit dem Hinweis „Kundenkontakt: keiner“, der sich auf eine angebliche Einladung vom 08.03. bezieht.
Die Betroffene hat diese nach eigener Darstellung nie erhalten. Tags darauf, am 21.03. um 08:41 Uhr, dokumentiert die mutmaßlich zuständige Fachkraft einen Versandprozess für einen Termin am 23.03. – wiederum mit internen Kürzeln und einem Hinweis auf einen „Ausdruck“.
Tatsächlich liegt dem Betroffenen später jedoch eine Einladung für den 28.03. vor; am 23.03. kommt stattdessen an anderer Stelle eine Mitteilung zur Leistungseinstellung an, angeblich wegen zu prüfenden Aufenthalts.
Dieser Vorgang taucht nicht in VerBIS auf, sondern im System „Allegro“, dem Fachverfahren der Leistungsabteilung.
Am 28.03. um 12:06 Uhr notiert VerBIS, der Betroffene sei „zum heutigen Meldetermin ohne Angaben von Gründen nicht erschienen“, zugleich wird eine Folgeeinladung vermerkt.
Bereits am folgenden Morgen, 29.03. um 06:32 Uhr, ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) in der Akte registriert; plausibel ist, dass sie am Vortag einging, aber erst am nächsten Arbeitstag verbucht wurde. Den Abschluss bildet ein Telefonvermerk („SC“) vom 30.03. um 08:59 Uhr:
Das Servicecenter legt ein Ticket an, nachdem der Betroffene die verlangte Meldebescheinigung doppelt übersandt hat. Kurz darauf werden die Leistungen wieder aufgenommen.
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Bescheid prüfenDie Erfahrung dahinter ist ambivalent: Ja, das System reagiert, sobald Nachweise vorliegen und jemand die Priorisierung übernimmt. Aber bis dahin steht faktisch eine existenzielle Zahlung auf „Pause“ – und genau hier entscheidet Transparenz über Tempo und Fehlerkorrektur.
Abkürzungen, die Akten prägen – und was man realistisch daraus machen kann
Interne Kürzel wirken für Außenstehende kryptisch. „AUB“ ist eindeutig. Andere Kürzel wie „EMA“, „OMA“, „PRL“ oder „SC“ sind kontextabhängig und können je nach Standort variieren. Plausibel ist, dass „EMA“ eine Melderegister-Abfrage bzw. einen Ausdruck aus dem Einwohnermeldewesen meint. „SC“ liegt als Vermerk des Servicecenters nahe. „
OMA“ erinnert an Output-Management beziehungsweise den Ausdruck eines generierten Schreibens. „PRL“ könnte ein interner Versand- oder Prozessschlüssel sein, etwa zur Dokumentation eines postalischen Regelablaufs.
Wichtig ist weniger die exakte Entschlüsselung als das Ergebnis: Welche Maßnahme wurde tatsächlich ergriffen, welcher Termin sollte wozu dienen, und welche Rechtsfolgen knüpft die Verwaltung daran?
Für diese Lesart kann und sollte man im Nachgang eine verständliche Erläuterung verlangen. Die Behörde ist nämlich verpflichtet, Entscheidungen nachvollziehbar zu machen; kryptische Codes ersetzen keine Begründung.
EKS und die Tücke kleinster Selbständigkeit
Die Anlage EKS dient der vorläufigen Prognose und späteren Abrechnung selbständiger Einkünfte. Wer sie abgibt, signalisiert dem System „Selbständigkeit“ – unabhängig von der Höhe. Damit verschiebt sich oft der Ansprechpartner vom allgemeinen Fallmanagement hin zu spezialisierten Teams, während die materiellen Auswirkungen auf die Leistung wegen minimaler Umsätze gering bleiben.
Aus Sicht der Verwaltung ist das logisch, aus Sicht der Betroffenen mitunter überdimensioniert. Gleichwohl gilt: Einnahmen müssen vollständig und sorgfältig erklärt werden; Unterlassungen rächen sich, wenn später Plausibilitätsprüfungen zu Zahlungseinstellungen führen.
Leistungspause, Sanktion, Mitwirkung: eine rechtliche Einordnung
Die im Fall geschilderte „Leistungseinstellung“ mit Verweis auf einen zu prüfenden Aufenthaltsort ist typischerweise eine vorläufige Zahlungspause, wenn Zweifel an Anspruchsvoraussetzungen bestehen oder geforderte Mitwirkung ausbleibt.
Daneben existieren Meldepflichten, deren Verletzung zu Minderungen führen kann. Für Betroffene ist die Unterscheidung zentral: Eine Meldeversäumnis hat andere Rechtsfolgen als eine Versagung wegen fehlender Mitwirkung.
Die Akte zeigt, wie schnell beides ineinandergreifen kann, wenn Einladungen nicht ankommen, interne Kürzel unklar bleiben und Nachweise erst zeitversetzt verbucht werden.
Die Lehre daraus ist schlicht, aber wirkungsvoll: Nachweise so einreichen, dass der Zugang belegt ist; Reaktionsfristen aktiv monitorn; und bei unklaren Vermerken schriftlich um Klarstellung bitten. Wer seine VerBIS-Chronik kennt, erkennt Widersprüche, bevor sie zu Entscheidungen gerinnen.
Kommunikation als Risiko – und als Rettungsanker
Das Telefonat der Betroffenen mit dem Jobcenter am 30.03. zeigt, wie wichtig eine eindeutige Kontaktspur ist.
Ein Servicecenter-Ticket erzeugte Verantwortlichkeit, interne Sichtbarkeit und Geschwindigkeit. Ebenso wichtig ist die Meldebescheinigung, die im Fall offenbar wiederholt angefordert und schließlich doppelt geliefert wurde.
Wer Unterlagen einreicht, sollte den Versandweg wählen, der den Zugang dokumentiert, und die Unterlagen so kennzeichnen, dass sie eindeutig zugeordnet werden können. Das klingt banal, entscheidet aber oft darüber, ob ein Beleg am selben Tag in der Akte landet – oder erst nach der nächsten Mahnung.
Warum die DSGVO-Auskunft mehr ist als Neugier
Die Praxis, die Auskunft frühzeitig und „vollumfänglich“ zu beantragen, ist sachgerecht. Sie verschafft einen Überblick über Einträge, von denen Betroffene häufig erst erfahren, wenn Entscheidungen negativ ausfallen. Sie deckt auch Diskrepanzen auf, etwa zwischen Einladungsdaten und dokumentierten Reaktionen.
Und sie bildet die Grundlage, um Fehler belegen, falsche Annahmen berichtigen und Widersprüche begründet einlegen zu können. Wer einmal erlebt hat, dass die erste Anfrage „schwerfällig“ läuft und die zweite deutlich besser, versteht, wie stark Verfahren von Routinen abhängen – und wie sehr Beständigkeit wirkt.
Fazit: Wissen schützt
Die geschilderte Aktenreise ist kein Einzelfall. Sie zeigt, wie zwanglos interne Routinen existenzielle Folgen haben können, und wie wertvoll es ist, die eigene Datenspur zu kennen.
VerBIS ist keine Blackbox, solange du dein Recht auf Auskunft nutzt. Die DSGVO gibt dir Fristen und Beschwerdemöglichkeiten. Die Praxis liefert dir die Strategie: alles belegen, alles dokumentieren, alles lesen. Wer seine Chronik kennt, kann reagieren, bevor falsche Schlüsse zu echten Problemen werden.
Das ist keine Komfortfrage, sondern ein Schutzschirm in einem System, das ohne Transparenz schwer kontrollierbar bleibt.