Ab dem Jahr 2026 droht eine radikale Wende im System der Grundsicherung: Wer arbeitsfähig ist und keine Kinder hat, soll künftig zur Vollzeitarbeit verpflichtet werden.
Was sich zunächst wie eine Randnotiz im Reformpaket liest, dürfte für viele Bürgergeld-Beziehende zum massiven Einschnitt werden. Besonders im Fokus: kinderlose Leistungsbeziehende. Sie gelten künftig als erste Zielgruppe der Jobcenter, wenn es um Arbeitsverpflichtung und Sanktionen geht.
Grundsicherung unter Druck – was sich ab 2026 ändert
Die Bundesregierung plant, das derzeitige Bürgergeld durch ein reformiertes “Grundsicherungsgeld” zu ersetzen. Bereits der Gesetzesentwurf signalisiert eine deutliche Kehrtwende: Wer Leistungen erhält, soll schneller in Arbeit gebracht werden – und zwar nach Möglichkeit in Vollzeit. Künftig gilt das Prinzip: Erwerbsfähigkeit verpflichtet.
Im Entwurf heißt es, Leistungsbeziehende müssten “ihre Arbeitskraft in dem Umfang einsetzen, der zur vollständigen Überwindung ihrer Hilfebedürftigkeit erforderlich und zumutbar ist.”
Das bedeutet im Klartext: Wer theoretisch Vollzeit arbeiten kann, soll dazu auch verpflichtet werden. Eine halbe Stelle oder stundenweise Tätigkeit reichen dann nicht mehr aus, um Sanktionen zu vermeiden.
Kinderlose als Hauptzielgruppe: Wer 2026 Post vom Jobcenter bekommt
Besonders betroffen von dieser Neuausrichtung sind kinderlose Menschen im Bürgergeldbezug. Sie verfügen – so die Annahme – über keine familiären Betreuungspflichten und können dem Arbeitsmarkt uneingeschränkt zur Verfügung stehen.
Inoffiziell gelten sie bereits jetzt als “vermittlungsnah”. Ab 2026 werden sie voraussichtlich als erste Gruppe mit neuen Auflagen und Pflichten konfrontiert.
Eine aktuelle Einschätzung zeigt, welche Gruppen das Jobcenter künftig gezielt anschreiben könnte:
| Gruppe | Einschätzung & Besonderheiten |
| Kinderlose Leistungsbeziehende | Sehr hohe Priorität – keine Betreuungspflichten, volle Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt |
| Langzeit-Leistungsbeziehende | Hohe Priorität – Ziel: Vermeidung von Dauerbezug, Aktivierung durch Druck |
| Alleinerziehende und Eltern | Mittlere bis geringe Priorität – neue Regeln ab dem 1. Lebensjahr des Kindes, Betreuung vorausgesetzt |
| Junge Erwachsene unter 30 | Differenziert – Fokus auf Qualifizierung statt unmittelbarer Arbeitsaufnahme |
Zwar bleibt die individuelle Zumutbarkeit entscheidend – gesundheitliche Einschränkungen oder fehlende Qualifikation können Ausnahmen rechtfertigen. Doch der Grundsatz lautet: Wer nichts oder nur wenig arbeitet, obwohl Vollzeit möglich wäre, soll künftig mit Leistungskürzungen rechnen.
Zwischen Pflicht und Stigma: Die neue Härte trifft nicht alle gleich
Die Reform formuliert eine klare Erwartungshaltung: Arbeiten – und zwar möglichst viel. Kinderlose geraten dabei schnell unter Generalverdacht, sich dem Arbeitsmarkt entziehen zu wollen.
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Bescheid prüfenDass viele von ihnen gesundheitliche Probleme, psychische Belastungen oder schlicht schlechte Arbeitsmarktchancen haben, bleibt im Diskurs oft außen vor.
Die geplante Pflicht zur Vollzeitarbeit könnte sich damit nicht nur als arbeitsmarktpolitisches Instrument entpuppen, sondern auch als soziales Stigma.
Denn während Eltern, Pflegeleistende oder chronisch Kranke unter bestimmte Schutzregelungen fallen, werden kinderlose Menschen pauschal als “verfügbar” eingestuft – unabhängig von ihrer Lebenssituation.
Kritik und offene Fragen
Noch ist der Gesetzesentwurf nicht verabschiedet. Doch schon jetzt regt sich Kritik: Wer entscheidet, was “zumutbar” ist? Wird die Betreuungssituation ausreichend berücksichtigt? Was ist mit Menschen, die in Teilzeit arbeiten, weil sie schlicht keine Vollzeitstelle finden?
Und wie definiert sich “kinderlos” überhaupt – zählt nur das Fehlen von Kindern im Haushalt, oder auch erwachsene Kinder, die nicht mehr betreut werden?
Auch verfassungsrechtlich könnten die neuen Pflichten heikel sein. Leistungskürzungen bis zur Existenzgefährdung gelten laut Bundesverfassungsgericht als unzulässig – selbst bei Pflichtverweigerung. Sollte die neue Grundsicherung hier über das Ziel hinausschießen, wären Klagen wahrscheinlich.
Eine Reform mit Sprengkraft
Was als arbeitsmarktpolitisches Signal geplant ist, birgt sozialen Zündstoff. Die Pflicht zur Vollzeitarbeit könnte viele Betroffene überfordern – besonders jene, die ohnehin schon am Rand stehen.
Die Jobcenter werden ihre Strategie ändern. Die ersten, die Post mit neuen Auflagen bekommen, werden aller Voraussicht nach kinderlose Leistungsbeziehende sein.
Statt allein auf Druck zu setzen, braucht es jedoch mehr: individuelle Beratung, realistische Angebote und ein Sozialsystem, das nicht pauschalisiert. Nur so kann aus Pflicht auch Perspektive werden.




