Bürgergeld-Studie zeigt: Vermittlungsdruck mit Sanktionen führen nicht zu regulärer Beschäftigung

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Die Bundesregierung plant die Sanktionen für Bürgergeld-Bezieher deutlich zu verschärfen. Auch soll der Vermittlungsvorrang wieder eingeführt werden. Dieser besagt, dass in jede Arbeit, also auch Leiharbeit, Minijobs und prekäre Beschäftigung durch das Jobcenter vermittelt werden soll.  Wer sich weigert, dem sollen die Bezüge als Strafe gekürzt werden.

Doch nun hat das Wissenschaftliche Institut der Bundesagentur für Arbeit eine Studie veröffentlicht, dass eben ein solcher Vermittlungsdruck gepaart mit Sanktionen eben keine Reduzierung der Leistungsbeziehenden führt, sondern allenfalls zu einem Drehtüreffekt zwischen prekärer Beschäftigung und Bürgergeld-Bezug.

IAB-Studie

Mit ihrer am 7. Mai 2025 veröffentlichten Untersuchung „Arbeitslos – und dann?“ legt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) eine Analyse darüber vor, was nach einem Eintritt in die Arbeitslosigkeit tatsächlich geschieht.

Die Autoren folgen Menschen, die zwischen 2012 und 2015 arbeitslos geworden sind, über vier Jahre hinweg.

Ihr Ergebnis ist ebenso ernüchternd wie aufschlussreich: Für die deutliche Mehrheit endet Arbeitslosigkeit zwar in einer neuen Stelle – doch diese ist in zwei von drei Fällen „atypisch“, also befristet, in Teilzeit, als Leiharbeit oder als Minijob organisiert.

Nur jede oder jeder Fünfte schafft innerhalb von vier Jahren den Sprung in eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung.

Datenbasis und Methode: Sequenzen statt Momentaufnahmen

Die Studie stützt sich auf eine zwei Prozent umfassende Zufallsstichprobe der administrativen IAB-Datenbank „Integrierte Erwerbsbiografien“.

Daraus wurde ein Zwanzigstel aller Personen ausgewählt, die 2012-2015 erstmals als arbeitslos registriert waren. Mit Hilfe einer Sequenzmusteranalyse identifizierten die Forschenden zehn typische Erwerbsverläufe.

Auf diese Weise lassen sich nicht nur Übergänge, sondern auch Rückfälle und Instabilitäten sichtbar machen – ein entscheidender Vorteil gegenüber punktuellen Querschnittsbetrachtungen.

Zehn Erwerbsverläufe und atypischer Jobs

Unter den zehn Mustern findet sich lediglich eines, das von Beginn an in eine stabile reguläre Vollzeitstelle führt, und selbst dieses kommt nur bei elf Prozent der Betroffenen vor.

Dagegen dominieren vier Trajektorien, in denen Teilzeit-, befristete, Leih- oder geringfügige Beschäftigung jeweils mehr als die Hälfte des Beobachtungszeitraums prägen.

Weitere drei Muster kombinieren instabile Vollzeit- oder befristete Beschäftigungen mit wiederkehrender Arbeitslosigkeit. Besonders problematisch sind die Verlaufstypen „wiederkehrende Arbeitslosigkeit“, „Langzeitarbeitslosigkeit“ und „keine Information“, in denen die Integration in den Arbeitsmarkt kaum gelingt.

Insgesamt nehmen zwar 80 Prozent der ehemaligen Arbeitslosen irgendwann wieder eine Erwerbstätigkeit auf, doch sie wechseln im Schnitt fast viermal den Status, und mehr als jeder Zweite erlebt mindestens eine erneute Arbeitslosigkeit.

Wer profitiert – und wer bleibt zurück?

Die Chancen, eine stabile Vollzeitstelle zu erreichen, hängen stark davon ab, ob die Arbeitslosigkeit im System der Arbeitslosenversicherung (SGB III) oder der Grundsicherung (SGB II) beginnt.

Fast ein Fünftel der SGB-III-Beziehenden wechselt rasch in dauerhafte Vollzeitarbeit; unter den Grundsicherungsbeziehenden gelingt das nur drei Prozent.

Umgekehrt entfällt ein Fünftel der SGB-II-Klientel auf den Verlaufstyp „wiederkehrende Arbeitslosigkeit“.

Auffällig ist zudem, dass atypische Jobs zwar nicht ausschließlich von besonders benachteiligten Personen angenommen werden – viele verfügen über Berufserfahrung und mittlere Qualifikationen –, aber im Vergleich zu jenen, die regulär Vollzeit arbeiten, dennoch häufiger weniger Erfahrung, niedrigere Abschlüsse und ein höheres Alter aufweisen.

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Atypische Beschäftigung im deutschen Arbeitsmarkt

Ein Blick auf den Gesamtarbeitsmarkt zeigt, dass atypische Beschäftigung keineswegs ein Randphänomen der hier untersuchten Gruppe ist.

Nach aktuellen Mikrozensus-Daten arbeiteten 2023 gut 5 Millionen abhängig Beschäftigte in Deutschland in einem atypischen Arrangement. Das entspricht rund 14,8 Prozent aller abhängig Beschäftigten und markiert einen leichten Anstieg gegenüber 2020.

Dabei gelten Teilzeit mit höchstens 20 Wochenstunden, Minijobs, befristete Verträge und Zeitarbeit als atypisch.

Langfristig allerdings erweist sich das Normalarbeitsverhältnis – unbefristet, sozialversicherungspflichtig, Vollzeit – als erstaunlich robust.

Wie der IAB-Forschungsbericht „Atypische Beschäftigung im Strukturwandel“ zeigt, verliert vor allem die Befristung an Gewicht, während Zeitarbeit und freie Mitarbeit auf niedrigem Niveau verharren. Lediglich die Teilzeitquote steigt kontinuierlich.

Drehtüreffekt: Kaum Rückkehr in reguläre Beschäftigung

Für die Praxis bedeuten die Befunde zweierlei. Erstens eröffnet atypische Beschäftigung Arbeitslosen oft die erste Tür zurück in Erwerbsarbeit und kann Qualifikationslücken schließen.

Zweitens fehlt dieser Tür jedoch häufig das stabile Scharnier: Brückeneffekte in eine dauerhafte Vollzeitstelle bleiben selten. Arbeitsmarktpolitik sollte daher nicht nur den raschen Job, sondern dessen Nachhaltigkeit fördern – etwa durch Weiterbildungs- und Aufstiegsprogramme, die bereits während einer befristeten oder Teilzeitbeschäftigung greifen.

Die Abschaffung des Vermittlungsvorrangs und die stärkere Betonung von Weiterbildung im Bürgergeld-System sind hier richtige Schritte, die jedoch nun wieder einkassiert werden soll.

Grenzen der Studie und offene Fragen

Die IAB-Analyse ist deskriptiv: Sie zeigt Zusammenhänge, beweist aber keine Kausalitäten. Außerdem bezieht sie sich auf den Zeitraum bis 2019. Seitdem haben Pandemie, Fachkräftemangel und Mindestlohnerhöhungen den Arbeitsmarkt verändert.

Inwiefern sich atypische Beschäftigung als Brücke oder Sackgasse erweist, könnte heute also anders aussehen. Künftige Studien sollten zudem Erwerbsformen wie Solo-Selbständigkeit oder Plattformarbeit stärker einbeziehen, die in administrativen Daten schwerer zu fassen sind, aber an Bedeutung gewinnen.

Fazit: Stabilität bleibt die große Ausnahme

Die IAB-Studie zeigt, der Vermittlungsdruck mit schärferen Sanktionen bringt nur selten in reguläre Beschäftigung.

Will Politik die Lücke zwischen erstem Job und dauerhafter Integration schließen, muss sie atypische Beschäftigung als Ausgangspunkt für Qualifizierung, Beratung und Aufstieg begreifen – nicht als Endstation.

Quelle: IAB Studie