Bürgergeld: Sozialwidriges Verhalten – Das müssen Jobcenter beweisen

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Leistungen nach dem SGB II (Bürgergeld) erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet haben, die Altersgrenze des § 7a noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben; diese Voraussetzungen werden getrennt geprüft, wirken aber zusammen, sodass bereits das Fehlen eines einzelnen Kriteriums den Anspruch entfallen lässt, wohingegen das Vorliegen aller Punkte die Grundlage für eine Bewilligung bildet.

Wer seine Hilfebedürftigkeit durch eigenes Verhalten mitverursacht, verliert den Leistungsanspruch nicht automatisch, denn das Gesetz kennt für solche Konstellationen keinen pauschalen Anspruchsausschluss, sondern mit § 34 SGB II einen eng auszulegenden Ausnahmetatbestand: den Kostenersatz für rechtmäßig erbrachte Leistungen, wenn die Hilfebedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt, erhöht, aufrechterhalten oder eine Verringerung verhindert wurde und kein wichtiger Grund vorliegt.

Trennung der Rechtsfolgen: Bewilligung, Kostenersatz, Sanktion

In der Praxis ist zuerst zu unterscheiden, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für Bürgergeld vorliegen; ist das der Fall, wird grundsätzlich bewilligt, und zwar unabhängig davon, ob später ein Kostenersatz nach § 34 in Betracht kommt, denn dieser wird gesondert geprüft und mit eigenständigem Bescheid geltend gemacht.

Parallel dazu gibt es das Sanktionsrecht der §§ 31 ff. SGB II, das an Pflichtverletzungen anknüpft (etwa die Lösung eines Beschäftigungsverhältnisses ohne wichtigen Grund oder die Weigerung, zumutbare Arbeit aufzunehmen), jedoch einem anderen Zweck dient und andere Voraussetzungen hat.

Sanktionen mindern laufende Leistungen befristet, während der Kostenersatz nach § 34 auf eine nachträgliche Erstattung bereits gezahlter Leistungen zielt; beides darf nicht vermengt werden, weil die rechtlichen Hürden und die Begründungslast deutlich auseinanderliegen.

§ 34 SGB II ist die Ausnahme – nicht die Regel

Der Kostenersatz greift nur, wenn das Verhalten sozialwidrig war; dafür genügt es nicht, dass eine Pflichtverletzung vorliegt oder jemand „leichtfertig“ gehandelt hat. Erforderlich ist vielmehr eine besondere Handlungstendenz: Die Person muss die spätere Hilfebedürftigkeit – in ihren Grundzügen erkennbar – gewollt, billigend in Kauf genommen oder aufrechterhalten haben.

Grobe Fahrlässigkeit bedeutet in diesem Kontext, dass die benötigte Sorgfalt in einem besonders schwerwiegenden Maß verletzt wurde, also das außer Acht lassen dessen, was jedem einleuchten musste; einfache Unbedachtsamkeit oder ein einmaliges Fehlverhalten reichen regelmäßig nicht.

Ein wichtiger Grund – etwa gesundheitliche Belastungen, Zwangslagen, familiäre Notfälle oder Therapie- und Rehabilitationssituationen – schließt den Kostenersatz aus; es kommt insoweit auf eine Gesamtwürdigung aller Umstände an, die nicht schematisch erfolgen darf, sondern das individuelle Lebensbild ernst nimmt.

Jobverlust nach Drogenkonsum – grob fahrlässig, sozialwidrig oder keines von beidem?

Bei einem Beschäftigungsende im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln liegt häufig ein verkehrs- oder arbeitsrechtlicher Pflichtverstoß vor (beispielsweise Fahren unter Einfluss von Substanzen im Personenbeförderungsgewerbe); damit ist aber noch nichts über § 34 gesagt.

Der Verlust der Fahrerlaubnis infolge einer Polizeikontrolle kann zwar als grob fahrlässig bewertet werden, doch die Schwelle zur Sozialwidrigkeit ist höher: Maßgeblich ist, ob der Betroffene es gerade auf den Leistungsbezug „ankommen ließ“ oder ob der Substanzgebrauch – rechtlich weiterhin ein Fehlverhalten – subjektiv dem Versuch diente, die Arbeitsfähigkeit trotz psychischer Belastungen zu stabilisieren.

Fehlt die Zielrichtung, Hilfebedürftigkeit herbeizuführen oder aufrechtzuerhalten, und sprechen Therapie- oder Belastungsfaktoren für einen wichtigen Grund, scheidet Kostenersatz in der Regel aus. Sozialgerichte stellen deshalb regelmäßig auf die Kausalität und die innere Zielrichtung ab, nicht allein auf den arbeitsrechtlichen Vorwurf.

Beweislast, Kausalität und Zurechnung: Woran Jobcenter scheitern

Jobcenter tragen die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein sozialwidriges Verhalten vorlag und gerade dieses Verhalten ursächlich für die Hilfebedürftigkeit war; die bloße Möglichkeit genügt nicht, ebenso wenig eine pauschale Berufung auf „schlechtes Verhalten“.

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Bescheid prüfen

Es muss nachvollziehbar dargelegt werden, dass ohne das in Rede stehende Verhalten die Hilfebedürftigkeit nicht eingetreten oder schneller entfallen wäre; fehlt es an dieser Kausalität oder bestehen ernsthafte Zweifel, darf kein Kostenersatz festgesetzt werden.

Ferner ist die Zurechnung zu prüfen: Wer volljährig ist, handelt grundsätzlich eigenverantwortlich, doch auch dann können psychische Erkrankungen, Suchterkrankungen, Krisenlagen oder Überforderungskonstellationen die Bewertung verändern und als wichtiger Grund gegen die Sozialwidrigkeit sprechen. Entscheidend ist die Einzelfallprüfung, die dokumentierte Befunde, Therapienachweise, ärztliche Stellungnahmen und Rehabilitationspläne einbezieht.

Aufrechnung und Grenzen: Wie weit dürfen Jobcenter greifen?

Wird Kostenersatz festgesetzt, kann die Behörde die Forderung mit laufenden Geldleistungen aufrechnen; die Aufrechnung ist gesetzlich begrenzt, damit der notwendige Lebensunterhalt gewahrt bleibt. In der Regel liegt die Obergrenze bei 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs; laufen bereits Minderungen (etwa wegen einer Sanktion), ist die Summe aus Minderung und Aufrechnung begrenzt, und eine zusätzliche Aufrechnung scheidet aus, wenn bereits eine Minderung von 30 Prozent besteht.

Bei mehreren Forderungen – beispielsweise Kostenersatz, Erstattungen und Darlehenstilgung – sind die Einzelentscheidungen so zu koordinieren, dass die Gesamtbelastung die zulässige Grenze nicht überschreitet; geschieht das doch, ist die Aufrechnung rechtswidrig und anfechtbar. Wichtig ist außerdem: Eine Aufrechnung setzt einen wirksamen, begründeten und zugestellten Bescheid voraus; es genügt nicht, Beträge „stillschweigend“ einzubehalten oder in Bescheide ohne tragfähige Begründung „hineinzuschreiben“.

Typische Fehler der Jobcenter – und wie man sie erkennt

Fehler in § 34-Bescheiden treten erfahrungsgemäß gehäuft auf, wenn die Abgrenzung zu Sanktionen unscharf bleibt, wenn die Begründung die Handlungstendenz zur Herbeiführung des Leistungsbezugs nicht überzeugend darlegt oder wenn die Kausalität mit Floskeln ersetzt wird.

Häufig fehlen eine nachvollziehbare Würdigung der gesundheitlichen Lage, eine Auseinandersetzung mit Therapie- und Rehabilitationsbemühungen oder eine erkennbare Ermessensausübung beim Absehen von der Geltendmachung, obwohl eine Geltendmachung „eine Härte“ darstellen würde. Ebenso problematisch sind pauschale Aufrechnungen ohne Prüfung bestehender Minderungen oder ohne Beachtung der Gesamtgrenzen; in solchen Fällen lohnt sich ein präziser Blick in die Berechnungsanlagen und die Rechtsfolgenbelehrung.

Was Betroffene konkret tun können

Wer einen Kostenersatz- oder Aufrechnungsbescheid erhält, sollte die Widerspruchsfrist notieren, die Begründung sorgfältig prüfen und gezielt die Punkte ansprechen, an denen die Behörde darlegungs- oder beweispflichtig ist.

Es hilft, die eigene Situation strukturiert darzustellen: Welche Belastungen lagen vor, welche ärztlichen Diagnosen bestehen, welche Therapie- oder Rehamaßnahmen wurden ergriffen, welche Bemühungen zur Arbeitsstabilisierung gab es? Je klarer erkennbar wird, dass das Verhalten – bei allen Fehlern – nicht darauf zielte, Hilfebedürftigkeit zu erzeugen oder zu verlängern, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass § 34 trägt.

Sinnvoll ist außerdem, Aufrechnungen auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen: Stimmt die Höhe, sind parallele Minderungen berücksichtigt, und sind Darlehenstilgungen sauber getrennt? Wer unsicher ist, sollte fachkundigen Rat suchen und, falls nötig, Eilrechtsschutz erwägen, wenn die Existenzsicherung gefährdet ist.

Praxisbeispiel: Fahrerlaubnisverlust im Personenverkehr

Ein Taxifahrer verliert nach einer Polizeikontrolle die Fahrerlaubnis, der Arbeitgeber kündigt, und der Betroffene beantragt Bürgergeld. Das Jobcenter bewilligt zunächst, erlässt später aber einen Kostenersatzbescheid, weil es meint, der Substanzgebrauch habe die Hilfebedürftigkeit grob fahrlässig herbeigeführt.

Im Widerspruchsverfahren wird vorgetragen, dass der Betroffene an ausgeprägten psychischen Belastungen litt, unter Schlafstörungen stand und die Substanzen – objektiv falsch, aber subjektiv mit dem Ziel der Stabilisierung – nutzte, um arbeitsfähig zu bleiben; außerdem liegen Bescheinigungen über eine eingeleitete Therapie vor. Die entscheidende Frage lautet nun, ob die Handlungstendenz auf die Herbeiführung des Leistungsbezugs gerichtet war oder ob – bei allen Pflichtverstößen – gerade der Arbeitsplatz erhalten werden sollte.

Bestätigt sich Letzteres und fehlen Anhaltspunkte für eine „in Kauf genommene“ Hilfebedürftigkeit, ist Kostenersatz regelmäßig nicht gerechtfertigt; verbleibende Pflichtverstöße wären im Sanktionsrecht gesondert zu prüfen und dürfen nicht über § 34 „kompensiert“ werden.

Checkliste: Angriffspunkte gegen § 34-Bescheide

  1. Ist die Kausalität schlüssig begründet, oder stützt sich die Begründung auf Vermutungen?
  2. Liegt tatsächlich grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz in Bezug auf die spätere Hilfebedürftigkeit vor, nicht nur in Bezug auf eine arbeitsrechtliche Pflicht?
  3. Wurde ein wichtiger Grund geprüft (gesundheitliche Lage, Therapie, Krise, familiäre Umstände)?
  4. Wurde das Ermessen erkennbar ausgeübt, insbesondere im Hinblick auf unzumutbare Härten?
  5. Sind Aufrechnungen korrekt begründet, fristgerecht bekannt gegeben und der Höhe nach rechtmäßig, insbesondere unter Beachtung bestehender Minderungen und der Gesamtobergrenzen?