Bürgergeld: Jobcenter muss Umzugsfirma für alleinerziehende Mutter übernehmen

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Die 1977 geborene Klägerin bezieht mit ihrem 2018 geborenen Sohn, für den sie das alleinige Sorgerecht hat, Grundsicherung nach dem SGB II (Bürgergeld). Der Sohn musste 2020 an der Herzklappe operiert werden. Die Klägerin leidet an einer Dysthymie und einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung und wird deswegen vom gemeindepsychiatrischen Dienst betreut.

Ende 2020 sicherte das beklagte Jobcenter der Mutter die Kostenübernahme für einen auf Anraten des gemeindepsychiatrischen Dienstes geplanten Umzug in eine größere Mietwohnung zu.

Die beiden von der Klägerin vorgelegten Kostenvorschläge von zwei Umzugsunternehmen in Höhe von 670,00 € und 1.076,00 € lehnte das Jobcenter jedoch ab und gewährte stattdessen lediglich eine Umzugspauschale in Höhe von 205,00 € (Umzugskostenpauschale i.H.v. 75,00 und Transportkostenpauschale i.H.v. 130,00 € zzgl. Benzinkosten).

Die Leistungsbeziehende nach dem SGB II hilfebedürftige Mutter ließ den Umzug von einer Firma durchführen. Die Kosten betrugen 663,50 €. Mit der zum Sozialgericht Reutlingen erhobenen Klage hat sie die Zahlung der Differenz von 458,50 € zwischen den tatsächlich entstandenen Kosten und der bewilligten Pauschale geltend gemacht.

Sozialgericht Reutlingen hat das Jobcenter Reutlingen zur Zahlung des Differenzbetrags verurteilt

Denn die Rechtsgrundlage für die Übernahme von Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten ist § 22 Abs. 6 SGB II.

Zwar sind Leistungsberechtige nach dem SGB II grundsätzlich gehalten, die Kosten eines Umzugs im Wege der Selbsthilfe zu minimieren, das heißt, sie müssten einen Umzug grundsätzlich selbst organisieren und durchführen.

Dies gelte jedoch nicht, wenn wichtige Gründe (z.B. Alter, Betreuung von Kleinkindern, Behinderungen oder medizinische Gründe) entgegenstehen würden.

Im Gegensatz zum Jobcenter hat das Sozialgericht Reutlingen bei der Klägerin diese Ausnahmegründe für gegeben erachtet.

Ihr beim Umzug erst zwei Jahre alter Sohn habe während des Umzugs eine durchgehende Aufsicht und Betreuung benötigt. Zudem sei die psychisch angeschlagene und in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkte Mutter nicht in der Lage gewesen, den Umzug selbst zu organisieren und durchzuführen.

Entgegen der Auffassung des Jobcenters könne von der Erwerbsfähigkeit der Klägerin nicht auf die Fähigkeit, einen Umzug zu organisieren und selbständig durchzuführen, geschlossen werden. SG Reutlingen, Urt. v. 17.02.2022 – S 7 AS 716/21 ( n. Veröffentlicht – )

Hinweis Redakteur Detlef Brock

Jedenfalls dann, wenn der Leistungsberechtigte den Umzug selbst, sei es aus Altersgründen oder krankheitsbedingt, sowie Betreuung von Kleinkindern, Behinderungen oder medizinische Gründe oder das zumutbare und mögliche Maß an Selbsthilfe ausgeschöpft ist (siehe SG Stralsund Az..S 9 AS 107/20), nicht vornehmen kann, kann auch die Übernahme der Kosten für einen gewerblichen Anbieter in Betracht kommen.

Rechtstipp Redakteur Detlef Brock

SG Stralsund, Gerichtsbescheid vom 5. Juni 2020 – S 9 AS 107/20 –

1. Bestätigt der Leistungsträger die Erforderlichkeit eine Umzuges im Hinblick auf eine weite Entfernung zum Umzugsort und unterläßt dieser eine Aufklärung, dass der Umzug vollständig in “Selbsthilfe” durchzuführen ist, liegt betreffend der Übernahme des günstigsten Umzuskostenangebotes eines gewerblichen Umzugsunternehmens eine Ermessensreduzierung auf “0” vor.

2. Bestand danach für die Leistungsberechtigten unter dem Gesichtspunkt der zumutbar abzuverlangenden Selbsthilfe keine andere Möglichkeit der Durchführung des Umzugs, ist das Ermessen des Jobcenters zur Höhe der als Bedarf anzuerkennen Umzugskosten auf “0” reduziert und die Entscheidung hinsichtlich des günstigsten Kostenvoranschlags gebunden.

Wissenswertes zu Umzugskosten, Wohnungsbeschaffungskosten nach § 22 Abs. 6 SGB II

Der Leistungsberechtigte muss bei Vorbereitung und Durchführung eines Umzugs auf möglichst geringe Kosten achten (BSG vom 6.5.2010 – B 14 AS 7/09 R: »Die in § 2 SGB II zum Ausdruck gekommene Obliegenheit zur Eigenaktivität kann als Auslegungshilfe bei der Allwendung und Interpretation aller Regelungen, die Rechte und Pflichten der Leistungsberechtigten normieren, herangezogen werden.«).

Welche Ausnahmen lässt das Jobcenter gelten bei der Übernahme der Kosten für eine Umzugsfirma?

Als Ausnahmen werden Alter, Krankheit oder Behinderung und das Vorhandensein von Kleinkindern aufgeführt.

Aber auch sonstige in der Person liegenden Gründe: Wenn man nicht im Besitz eines entsprechenden Führerscheins ist und weder Verwandte, Freunde oder Bekannte zur Verfügung stehen, ist ein Umzug in Eigenregie nicht möglich und die Kosten für einen gewerblichen Umzug sind vom Jobcenter zu übernehmen (vgl. BSG, Urt. v. 15.11.2012 – B 8 SO 25/11 R, Rn 21; SG Lüneburg, Beschl. v. 11.02.2013 – S 45 AS 50/13 ER -).

Soweit möglich und zumutbar, kann das Jobcenter daher auf Selbsthilfeleistungen verweisen (eigener Abbau, Einpacken und Aufstellen der Möbel in der neuen Wohnung). Der Leistungsberechtigte ist auch gehalten, Familienmitglieder, Angehörige oder Freunde ernsthaft um Hilfe zu bitten (LSG Sachsen-Anhalt vom 27.11.2012 – L 5 AS 902/12).

Sind Angehörige oder Freunde verpflichtet, für einen Leistungsberechtigten einen Umzug durchzuführen?

Allerdings sind Angehörige oder Freunde nicht verpflichtet, für einen Leistungsberechtigten einen Umzug durchzuführen. Familienmitglieder sind nur als BG-Mitglieder zur Umzugshilfe verpflichtet.

Die Notwendigkeit professioneller Hilfe kann deshalb nicht allein mit Verweis auf Freunde und Angehörige abgelehnt werden (BSG vom 15.11.2012 – B 8 SO 25/11 R; SG Lüneburg vom 11.2.2013 – S 45 AS 50/13 ER). (Vgl.Geiger in Unterkunfts- und Heizkosten nach dem SGB II – Das Handbuch, §. Aufl., Stand: 01.05.2015, S. 308 f.)