Bürgergeld: Jobcenter-Mitarbeiter ist zu freundlich und muss gehen

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Ein einst fröhlicher Sachbearbeiter, der seine Kundinnen und Kunden mit Bonbons empfängt, wird nach nur einem Jahr zum Schatten seiner selbst – ausgebrannt, gemobbt, krankgeschrieben. Danach musste er gehen. Was wie ein Einzelfall wirkt, zeigt wie es auf der anderen Seite des Schreibtisches im Jobcenter aussieht.

“Ich war zu freundlich zu Bürgergeld-Beziehern”

Ein Bürgergeld-Betroffener schrieb uns von der Begegnung mit einem freundlichen Jobcenter-Mitarbeiter. Anfangs ging der Mann offen auf Ratsuchende zu, versüßte Termine mit Süßigkeiten, suchte das Gespräch auf Augenhöhe.

Doch Lächeln und Bonbons reichen in einem Apparat, der auf Rechtsdurchsetzung, Statistik und Deadlines getrimmt ist, offenbar nicht weit.

Nach eigenen Angaben wird der Sachbearbeiter im Jobcenter von Gleichrangigen ausgegrenzt, bis seine Gesundheit kollabiert. Am Ende lädt er nur noch zur Abschiedssprechstunde, bevor er die Behörde verlassen muss. Er war zu freundlich zu Bürgergeld-Beziehern, sagt er.

Doppelrolle der Jobcenter

Sachbearbeiter in Jobcentern sollen einerseits existenzsichernde Leistungen auszahlen, andererseits Leistungsberechtigte in Beschäftigung bringen.

Die Sachbearbeiter jonglieren gesetzliche Fristen, komplexe Sozial- und Verwaltungsnormen und ambitionierte Vermittlungsquoten. Dieses Spannungsfeld ist kein reines Gefühl, sondern messbar: Eine Auswertung der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass Jobcenter-Beschäftigte signifikant häufiger unter arbeitsbedingtem Stress leiden als andere Angestellte im öffentlichen Dienst.

Wenn Zielvorgaben zur Dauerbelastung werden

Der Arbeitsalltag ist von Kennzahlen geprägt, die jede Sachbearbeiterin und jeder Vermittler Monat für Monat erfüllen muss. Gewerkschaftsvertreter warnen seit Jahren, dass unbesetzte Planstellen und befristete Verträge den Druck zusätzlich erhöhen. In einer aktuellen Pressemitteilung mahnt ver.di-Vize Elke Behle, die Budgetkürzungen für 2025 gefährdeten nicht nur die Qualität der Beratung, sondern auch die Gesundheit der Beschäftigten.

„Viele kündigen wieder“ – Stimmen aus dem Inneren

Wie sich hoher Druck konkret auswirkt, beschreibt die Jobcenter-Sachbearbeiterin Katharina Gerking im ver.di-Magazin „Wir sind ver.di“. Überstunden seien an der Tagesordnung, manche Sachbearbeiter verdienten so wenig, dass sie selbst Bürgergeld beantragen müssten.

Wer neu beginne, habe oft kaum Einarbeitung und werde sofort mit existenziellen Krisen der Klientel konfrontiert. Kein Wunder, dass viele „nach kurzer Zeit wieder kündigen“.

Mit dem Bürgergeld sollte ab 2023 vieles menschlicher werden: mehr Weiterbildungs-Prämien, höhere Freibeträge, weniger Sanktionen. Eine bundesweite Online-Jobcenter-Befragung (OnJoB) des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erfasst jedoch gemischte Reaktionen aus 3 100 befragten Jobcentern. Viele begrüßten das neue Coaching-Instrument, sehen aber in milderen Sanktionen eine geringere Steuerungswirkung.

Wenn der Druck nach innen schlägt

Hohe Fallzahlen, widersprüchliche Rollenerwartungen und permanente Reformen begünstigen interne Spannungen. Psychologische Forschung zum öffentlichen Dienst belegt, dass Burn-out-Gefährdung besonders dort steigt, wo Verantwortung für existenzielle Entscheidungen mit geringen Handlungsspielräumen zusammentrifft.

Ein aktueller  Pronova-BKK-Report bestätigt: Die Burn-out-Rate erreicht mit 18 Prozent ihren Höhepunkt in mittleren Altersgruppen – eine Alterskohorte, die in Jobcentern stark vertreten ist.

Wenn Teams in der Daueranspannung verharren, wächst das Risiko, dass Abweichler – wie der „Bonbon-Kollege“ – zum Mobbingziel werden.

Folgen für Bürgergeld-Bezieher

Für Ratsuchende bedeutet das Klima der Überlastung häufig knappe Gespräche, hektische Nachforderungen von Unterlagen und bisweilen ruppige Kommunikation.

Ist der Ton scharf, eskaliert rasch der gesamte Termin – häufig zulasten derer, die ohnehin in schweren Krisen stecken. Die Rechtslage räumt Leistungsberechtigten immerhin ein wichtiges Schutzinstrument ein: Nach § 13 Abs. 4 SGB X dürfen sie zu jedem Gespräch einen Beistand mitbringen. Die Behörde muss diesen zulassen, solange er sich korrekt verhält.

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Was sich ändern müsste

Wissenschaft und Gewerkschaften nennen drei Hebel: deutlich mehr Personal, damit Beratungs- und Vermittlungsgespräche Zeit für individuelle Lösungen lassen; stabile, unbefristete Arbeitsverträge, um Know-how im Haus zu halten; sowie eine Zielsystematik, die Qualität stärker honoriert als bloße Kennzahlen.

Nun soll sich unter der neuen Bundesregierung wieder alles ändern. Das was positiv began, wenn auch noch unzureichend, wird jetzt auf Druck der Politik wieder einkassiert. Mehr Sanktionen, Druck auf Leistungsbeziehende, Vermittlung in jede noch so schlecht bezahlte Arbeit und Wiedereinsetzen des Drehtür-Effekts.

Was das bedeutet, liegt auf der Hand. Nicht nur der Druck der Leistungsbeziehende wird wieder höher, sondern auch bei den Sachbearbeitern. Und dieser Druck wird dann wiederrum auf die Leistungsberechtigten ausgeübt. “Ein regelrechter Bumerang-Effekt”, wie auch der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt sagt.