Rücknahme einer vorläufigen Entscheidung des Jobcenters ist mit Wirkung für die Vergangenheit ausgeschlossen
Vorläufige Bescheide sind in § 41a SGB II geregelt. Wenn Unklarheiten über das Bestehen des Bürgergeld – Anspruchs oder dessen Höhe, etwa wegen unregelmäßigen Einkommen oder sich verändernden Betriebskostenvorschüssen für Ihre Wohnung, bestehen, dann wird das Jobcenter einen vorläufigen Bescheid erlassen. Besteht eine Bedarfsgemeinschaft, gilt die vorläufige Entscheidung für alle Mitglieder.
Mit wegweisendem Beschluss vom 27.05.2025 – der ein Gerichtshammer für alle Jobcenter ist – gibt das Hessische Landessozialgericht bekannt, dass ausgehend von den Regelungen in § 41a Abs. 2 Sätze 4 und 5 SGB II beziehungsweise § 44a Abs. 3 SGB XII und insbesondere den hierzu vorliegenden Gesetzesmaterialien die Rücknahme einer vorläufigen Entscheidung nach § 41a SGB II beziehungsweise § 44a SGB XII nur mit Wirkung für die Zukunft möglich ist.
Eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit dagegen ist ausgeschlossen, denn die Korrektur der auf der Grundlage einer vorläufigen Entscheidung erbrachten Leistungen bleibt insoweit der abschließenden Festsetzung und einem daran anknüpfenden Erstattungsanspruchs vorbehalten ( LSG Hessen, Beschluss v. 15.05.2025 – L 6 AS 188/25 B ER – ).
Begründung des Gerichts: Rücknahme einer vorläufigen Entscheidung ist mit Wirkung für die Vergangenheit ausgeschlossen
Der Bescheid des Jobcenters ist nach Auffassung des Senats rechtswidrig, soweit das Jobcenter mit ihm die durch die vorläufige Entscheidung bewilligten Leistungen mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen hat.
Denn In § 41a Abs. 2 Sätze 4 und5 SGB II hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Rücknahme einer vorläufigen Entscheidung für die Zukunft möglich ist und die Leistungsträger in diesem Zusammenhang von der Beachtung der vertrauensschützenden Regelungen aus § 45 Abs. 2 SGB X freigesellt.
Der Senat ist der Auffassung, dass ausgehend von dieser Regelung die Rücknahme einer vorläufigen Entscheidung mit Wirkung für die Vergangenheit ausgeschlossen und die Korrektur der auf ihrer Grundlage erbrachten Leistungen der abschließenden Festsetzung und eines daran anknüpfenden Erstattungsanspruchs vorbehalten ist.
Auch der Wortlaut von § 41a Abs. 2 Satz 4 SGB II (und ebenso die Formulierung der Parallelregelung in § 44a Abs. 3 Halbs. 1 SGB XII) spricht recht deutlich für dieses Verständnis, wenn er bei einer rechtswidrigen vorläufigen Entscheidung gerade nur eine Rücknahme für Zukunft vorsieht und damit einen Gegenschluss hinsichtlich einer Korrektur für die Vergangenheit nahelegt.
Demgegenüber ist zwar nicht zu übersehen, dass die Regelung in § 41a Abs. 2 Sätze 4 und 5 SGB II (und ebenso § 44a Abs. 3 SGB XII) die Rücknahme anfänglich rechtswidriger Verwaltungsakte für die Zukunft im Vergleich zu § 45 SGB X erleichtern sollen und daher unter systematischen Gesichtspunkten wenig dafür hergeben, dass eine Rücknahme für die Vergangenheit gänzlich ausgeschlossen sein soll.
Die Gesetzesgebung ist nach Auffassung des Senats eindeutig
Die Begründung zu § 41a SGB II (und ähnlich die zu § 44a SGB XII, vgl. BT-Drucks. 18/9984, S. 98) bestätigt jedoch nachdrücklich das durch den Wortlaut nahegelegte Verständnis, wenn es dort heißt:
„Eine Anwendung der §§ 45, 48 SGB X zu Ungunsten der leistungsberechtigten Person ist mit Wirkung für die Vergangenheit systematisch nicht angezeigt, da die vorläufige Entscheidung sich nicht im Wege der Aufhebung, sondern der abschließenden Entscheidung erledigt“ (BT-Drucks. 18/8041, S. 53).
Auch wenn diese Argumentation nicht zwingend erscheint, ist der im Gesetzestext auch erkennbare Wille des Gesetzgebers damit doch eindeutig.
So dass die Rücknahme einer vorläufigen Entscheidung mit Wirkung für die Vergangenheit nach Auffassung des Senats ausscheidet. Eine Korrektur mit Wirkung für die Vergangenheit bleibt der abschließenden Festsetzung überlassen, die allerdings im konkreten Fall bislang nicht erfolgt ist.
Fazit
Die Auszahlung der zurückgehaltenen Leistung vom Jobcenter für diesen Zeitraum war anzuordnen.
Anmerkung vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock
Diese Entscheidung des Landessozialgerichts Hessen ist zu begrüßen und stärkt die Rechte aller Bürgergeld und Sozialhilfe – Empfänger.
Es bleibt ab zuwarten, was die Mitarbeiter der Jobcenter und Sozialhilfebehörden dazu meinen. Ein Hinweis der Bundesagentur für Arbeit zu dieser Problematik ist anzuraten.
Anzumerken bleibt, dass das Ganze in der Literatur zum Bürgergeld sehr umstritten ist. So gibt es auch die Meinung, dass § 41a SGB II schließe eine Anpassung zu Ungunsten des Leistungsberechtigten mit Wirkung für die Vergangenheit nicht grundsätzlich aus (Verweis auf: Grote-Seifert, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 41a – Stand: 21. August 2024 – Rn. 43).
Hier bleibt es abzuwarten, wie die Gerichte weiter entscheiden werden und wann endlich vielleicht das Bundessozialgericht dazu ein Urteil fällt.
Mein Rat für alle Bürgergeld/Sozialhilfeempfänger zur Rücknahme von vorläufigen Bescheiden:
Beruft Euch auf diese aktuelle Entscheidung des LSG Hessen beziehungsweise lasst das Verfahren ruhend stellen, denn eine ähnliche Rechtsfrage ist auch beim Bundessozialgericht anhängig.
In § 41a Abs. 2 Sätze 4 und5 SGB II hat der Gesetzgeber eindeutig klargestellt, dass die Rücknahme einer vorläufigen Entscheidung nur – für die Zukunft möglich ist und die Leistungsträger in diesem Zusammenhang von der Beachtung der vertrauensschützenden Regelungen aus § 45 Abs. 2 SGB X freigesellt.
Ausgehend von dieser Regelung ist die Rücknahme einer vorläufigen Entscheidung mit Wirkung für die Vergangenheit ausgeschlossen und die Korrektur der auf ihrer Grundlage erbrachten Leistungen der abschließenden Festsetzung und eines daran anknüpfenden Erstattungsanspruchs vorbehalten (vgl. diesem Sinne – zum Teil zur Parallelproblematik bei § 44a Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) auch Greiser/Luis, SGb 2023, 161, 162 f.).
Beim BSG ist folgende Rechtsfrage anhängig: B 4 AS 22/24 R
Vorinstanz: Landessozialgericht Baden-Württemberg, L 12 AS 2018/23, 17.07.2024
Jobcenter dürfen bei – vorläufigen Bescheiden – keine Aufhebung bzw. Rückerstattung für die Vergangenheit fordern nach §§ 45,48SGBX.
Bürgergeld: Erstattungsbescheide des Jobcenters rechtswidrig
Zum Verhältnis (gegebenenfalls antragsabhängiger) abschließender Entscheidungen nach vorläufiger Bewilligung von Leistungen gemäß § 41a SGB II zur Rücknahme von Bescheiden nach den §§ 45, 48 SGB X.