Sozialamt muss Sozialhilfe für Deutschen im Ausland zahlen – Urteil

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Im Einzelfall muss das Sozialamt Minderjährigen Deutschen Sozialhilfe im Ausland gewähren

Minderjährigen Deutschen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, kann im Einzelfall Sozialhilfe zur Sicherstellung einer nach den dortigen Verhältnissen angemessenen Schulbildung gewährt werden, so die Entscheidung des Bundessozialgerichts zum Az. B 8 SO 11/16 R.

Nach dem Wortlaut des § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB XII stünden Leistungen der Sozialhilfe für Deutsche im Ausland zwar im Ermessen des Sozialhilfeträgers, doch seien bei Vorliegen der sehr restriktiven Tatbestandsvoraussetzungen keine Erwägungen denkbar, die gleichwohl einen Leistungsausschluss rechtfertigen könnten. Insofern bestünde ein Ermessen lediglich hinsichtlich des „Wie“ der Leistungserbringung, nicht aber hinsichtlich des „Ob“.

Die Voraussetzungen des Hinderungsgrundes nach § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XII lägen vor

Dieser Tatbestand sei dahin auszulegen, dass einem im Ausland mit den Eltern oder dem sorgeberechtigten Elternteil lebenden deutschen Kind bei Vorliegen einer außergewöhnlichen Notlage Sozialhilfe zu gewähren sei, wenn es wegen des gewöhnlichen Aufenthalts seiner sorgeberechtigten Eltern und damit wegen seiner eigenen Pflege und Erziehung im Ausland (rechtlich) an einer Rückkehr gehindert sei.

Denn es komme nicht darauf an, ob den Eltern die Möglichkeit bestehe, nach Deutschland zurückzukehren. Das Verhalten bzw. der fehlende Rückkehrwille der Eltern könne den Kindern nicht zugerechnet werden ( so auch BSG, Urteil vom 21.9.2017 – B 8 SO 5/16 R – ).

Der unbestimmte Rechtsbegriff der außergewöhnlichen Notlage setzt in der Person desjenigen, der für sich Leistungen der Sozialhilfe beansprucht, besondere Lebensumstände voraus, welche die konkrete und unmittelbare Gefahr einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung existentieller Rechtsgüter begründen

Dazu zählen das Leben (Art 2 Abs 2 Satz 1 Alt 1 GG), die körperliche Unversehrtheit (Art 2 Abs 2 Satz 1 Alt 2 GG), das menschenwürdige Existenzminimum (Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG) oder ein anderes grundrechtlich geschütztes Rechtsgut mit vergleichbar existentieller Bedeutung.

Eine außergewöhnliche Notlage liegt danach auch vor, wenn einem im Aufenthaltsland schulpflichtigen Deutschen die Mittel fehlen, die zur Sicherstellung seiner Teilhabe an einer nach den dortigen Verhältnissen angemessenen Schulbildung unbedingt erforderlich sind

Weil der verfassungsrechtlich garantierte Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich auf die unbedingt erforderlichen Mittel zur Sicherung der physischen Existenz und eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Bei schulpflichtigen Kindern wird dieses Mindestmaß vor allem durch Teilhabe an einer angemessenen Schulbildung gewährleistet, sodass notwendige Aufwendungen zur Erfüllung schulischer Pflichten zum existentiellen Bedarf gehören.

Welche Schulbildung angemessen ist, richtet sich gemäß § 24 Abs 3 SGB XII nach den besonderen Verhältnissen im Aufenthaltsland.

Wann sind Leistungen der Sozialhilfe im Ausland unabweisbar

Das Kriterium der Unabweisbarkeit stellt als eigenständige Tatbestandsvoraussetzung eine unauflösbare Beziehung zwischen einer außergewöhnlichen Notlage und der begehrten Leistung her. Die Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe im Ausland ist unabweisbar, wenn die Leistung nach Art und Umfang das einzige geeignete Mittel ist, um die unmittelbare und konkrete Gefahr für ein grundrechtlich geschütztes Rechtsgut mit existentieller Bedeutung abzuwenden.

Der Unabweisbarkeit von Sozialhilfeleistungen steht nicht entgegen, dass die Mutter des Klägers angefallenen Kosten zur Deckung existenzieller Bedarfe gegebenenfalls erst durch die Aufnahme von Darlehen begleichen konnte.

Nach der Rechtsprechung des Senats setzen Sozialhilfeleistungen zwar vom Grundgedanken her einen aktuellen Bedarf voraus; dies gilt allerdings aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) nicht bei einer Ablehnung der Hilfegewährung und zwischenzeitlicher Bedarfsdeckung im Wege der Selbsthilfe oder Hilfe Dritter, wenn der Hilfesuchende innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Rechtsbehelf eingelegt hat und im Rechtsbehelfsverfahren die Hilfegewährung erst erstreiten muss.

Anmerkung vom Experten für Bürgergeld/ Sozialrecht Detlef Brock

Voraussetzungen des Anspruchs eines Deutschen auf Sozialhilfe im Ausland

Nach § 24 Abs 1 S 1 SGB 12 erhalten Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, grundsätzlich keine Leistungen. Hiervon kann bei Vorliegen einer außergewöhnlichen Notlage abgewichen werden, wenn nachgewiesen wird, dass eine Rückkehr in das Inland aus einem der in S. 2 benannten Gründe nicht möglich ist.

Eine außergewöhnliche Notlage setzt die konkrete und unmittelbare Gefahr einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung existenzieller Rechtsgüter voraus.

Die Notlage muss so außergewöhnlich sein, dass sie nur durch die Gewährung von Sozialhilfeleistungen zu beseitigen ist.

Eine außergewöhnliche Notlage ist – nicht – anzunehmen, wenn der Betroffene lediglich bedürftig ist, also überhaupt eine Notlage besteht. Vielmehr muss das physische Existenzminimum nach den örtlichen Verhältnissen konkret und unmittelbar gefährdet sein ( LSG Niedersachsen Az. L 8 SO 77/20 ).

Praxistipp vom Experten

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gilt Folgendes:

Das Merkmal der Unmöglichkeit der Rückkehr kann auch dann erfüllt sein, wenn eine Rückkehr einen Schaden hervorruft, der bei wertender Abwägung unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des § 24 SGB XII ein Rückkehrverlangen der Behörde schlechthin ausschließt, etwa wenn im Falle einer Rückkehr schwere gesundheitliche Schäden zu erwarten sind (vgl. BSG Urteil vom 21.09.2017 – B 8 SO 5/16 R).

Sozialhilfe für Deutsche die im Ausland leben, wenn das Kind eine schwere Pflegebedürftigkeit hat
1. Die Schwere der Pflegebedürftigkeit der Kindes kann einen nach § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB XII Grund darstellen, warum die Antragsteller daran gehindert waren, nach Deutschland zurück zu kehren.
2. Das Gleiche gilt für die Mutter und den Vater die aufgrund von Art. 6 GG ebenfalls an der Rückkehr gehindert würden ( LSG NRW Az. L 9 SO 108/22 ).

Sozialhilfe-Anspruch für Deutsche im Ausland wenn das Kind pflegebedürftig ist