Bürgergeld: Das lösen 100-Prozent-Sanktionen aus

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Eine Vollsanktion trifft den Regelbedarf für zwei Monate und setzt beim Nötigsten an: Essen, Stromabschläge, Fahrkarten, Hygiene, Mobilfunk, Medikamente mit Zuzahlung. Wer eine zumutbare, konkret verfügbare Arbeit willentlich nicht annimmt und in den letzten zwölf Monaten bereits gemindert wurde, kann den Regelbedarf vollständig verlieren.

Unterkunft und Heizung bleiben ungekürzt. Genau hier entscheidet sich, ob die Existenz gesichert bleibt: Betroffene brauchen rasch Eilrechtsschutz, damit Geld- oder ersatzweise Sachleistungen fließen.

100 Prozent heißt: Null beim Regelbedarf, nicht bei Miete und Heizung

Die Vollsanktion setzt ausschließlich beim Regelbedarf an. Das Jobcenter zahlt die Kosten der Unterkunft und Heizung weiter. In der Lebensrealität bleibt dennoch ein Loch: Ohne Regelbedarf fehlen Lebensmittel, Stromabschläge, Monatskarten, Datenvolumen, Praxisgebühren sowie kleine, aber tägliche Ausgaben.

Wer bereits am Limit wirtschaftet, rutscht binnen weniger Tage in Zahlungsrückstände. Mahnungen und Kontosperren sind die Folge. Diese Dynamik ist der Kern des Problems – nicht die Miete, sondern die Alltagskosten.

Enge Voraussetzungen – in der Praxis oft strittig

Die Verwaltung muss ein individuelles Angebot vorlegen, das sofort angetreten werden kann. Es reicht kein allgemeiner Vermittlungsvorschlag. Die Ablehnung muss willentlich sein. Besteht ein wichtiger Grund, entfällt die Grundlage der Vollsanktion. Gesundheitliche Einschränkungen, Kinderbetreuung, unzumutbare Arbeitsbedingungen oder fehlende Erreichbarkeit kommen in Betracht.

Fehlerhafte oder pauschale Rechtsfolgenbelehrungen kippen die Minderung regelmäßig. Darüber hinaus wirkt die Vollsanktion nur, wenn zuvor bereits innerhalb von zwölf Monaten eine Minderung festgestellt wurde. Jede dieser Hürden ist im Eilverfahren angreifbar.

Befristete Ausnahme – und sofortiges Ende bei neuer Lage

Die Vollsanktion gilt als befristete Ausnahmeregel. Sie greift maximal zwei Monate. Fällt das Jobangebot weg oder wird die Arbeit aufgenommen, endet die Minderung sofort. In der Praxis bedeutet das:

Wer sich zur Aufnahme bereiterklärt oder wer nachweisen kann, dass die Stelle nicht länger verfügbar ist, erzwingt eine Aufhebung. Diese Dynamik ist zentral, weil sie eine schnelle Rückkehr zu Geldleistungen erlaubt.

Mehrbedarfe und Bildung-und-Teilhabe: Was weiterläuft – und wo Lücken klaffen

Mehrbedarfe können prinzipiell betroffen sein, die Härtefallklausel fängt jedoch besonders belastende Konstellationen ab. Leistungen für Bildung und Teilhabe laufen weiter. Dennoch bleibt die Liquiditätskrise spürbar.

Familien geraten in Zielkonflikte: Geld für Schulmaterial ist da, der Kühlschrank bleibt trotzdem leer. Genau hier helfen gerichtliche Anordnungen, die vorläufige Geldleistungen oder ersatzweise Sachleistungen zusprechen.

Versicherungen und Nebeneffekte: Nicht alles bricht weg

Die Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung bleibt grundsätzlich bestehen, auch wenn der Regelbedarf vorübergehend auf null gesetzt wird und nur KdU fließen. Dennoch müssen Zuzahlungen und Praxisfahrten aus dem Regelbedarf finanziert werden – der bei Vollsanktion fehlt.

Wer chronisch krank ist oder regelmäßig Medikamente braucht, spürt die Sanktion daher besonders hart. Auch digitale Teilhabe leidet: Ohne Datenvolumen bricht die Kommunikation mit Arbeitgebern, Ärzten und Behörden ab.

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Meldeversäumnisse, Kappungsgrenze und Überschneidungen

Meldeversäumnisse mindern den Regelbedarf jeweils um zehn Prozent für einen Monat. Treffen mehrere Minderungen zusammen, greift eine Deckelung bei 30 Prozent – sie schützt aber nicht vor der Vollsanktion, die als Sonderfall neben dem gestuften System steht.

Entscheidend ist die korrekte zeitliche Abfolge und Begründung jeder einzelnen Minderung. Unsaubere Bescheide mit addierten Pauschalkürzungen sind angreifbar.

Eilverfahren: So sichern Sie in der Not den Lebensunterhalt

Betroffene müssen zweigleisig vorgehen. Der Widerspruch stoppt die Vollsanktion nicht automatisch. Deshalb ist der Eilantrag beim Sozialgericht nötig. Das Gericht prüft zwei Punkte: Besteht ein Anspruch auf Leistungen und liegt eine besondere Eilbedürftigkeit vor.

Beides lässt sich belegen. Aktuelle Kontoauszüge, Mahnungen, Kündigungsandrohungen, Nachweise zu gesundheitlichen Belastungen und eine eidesstattliche Versicherung zur Mittellosigkeit reichen in der Regel aus. Gerichte ordnen dann vorläufige Geldleistungen oder ersatzweise Sachleistungen an.

Bleiben Unterkunftskosten ausnahmsweise faktisch stehen, lässt sich die Weiterzahlung im Eilverfahren regelmäßig schnell durchsetzen. Wer die Arbeit kurzfristig antritt oder eine konkrete Bereitschaftserklärung abgibt, kann zusätzlich die sofortige Verkürzung der Vollsanktion erreichen.

Typische Fehler der Behörden – Ihre Ansatzpunkte im Verfahren

Häufig fehlt es an einem ausreichend konkreten Jobangebot. Tätigkeitsbeschreibung, Arbeitsort, Beginn und Entgelt müssen klar benannt sein. Unklare oder veraltete Vorschläge genügen nicht. Auch fehlerhafte Rechtsfolgenbelehrungen sind verbreitet.

Die Anhörung fällt zu pauschal oder unterbleibt. Schließlich werden Minderungen zu oft schematisch addiert, ohne die Kappungsgrenze oder die zeitliche Reihenfolge einzuhalten. All das sind Einfallstore, die im Eilverfahren greifen.

Härtefall prüfen – existenzielle Lücken schließen

Die Härtefallregel schützt besonders verletzliche Gruppen. Schwangerschaft, Alleinerziehung, chronische Erkrankung, psychische Krisen oder drohende Wohnungslosigkeit rechtfertigen eine Reduktion oder das Unterlassen der Kürzung.

In der Praxis lohnt es sich, konkrete Folgen darzustellen: ausfallende Stromabschläge, wegbrechende Kinderbetreuung, absehbare Therapieabbrüche. Je dichter die Darstellung, desto größer die Chance auf vorläufige Leistungen.

Kritischer Befund

Die Vollsanktion trifft nicht die „Kosten der Unterkunft“, sondern die tägliche Lebensführung. Sie zwingt Betroffene in eine Liquiditätsfalle und verschärft gesundheitliche Risiken. Die formalen Hürden sind hoch und sollen Missbrauch verhindern.

In der Praxis führen sie jedoch oft zu Streit um Details, während die Betroffenen bereits ohne Geld sind. Effektiver Grundrechtsschutz entsteht erst im Eilverfahren. Wer seine Lage belegt und die rechtlichen Hürden angreift, kann die existenzielle Lücke schließen – doch ohne schnelle, informierte Gegenwehr wirkt die Vollsanktion sofort.