Soziale Not ist nichts abstraktes, und deshalb klären wir bei gegen-hartz.de nicht nur über die Gesetzeslage bei Bürgergeld, Sozialhilfe oder Rente auf, sondern machen auch Einzelschicksale öffentlich.
Stimmen, die nicht gehört werden
Uns erreichte Post von Felix P. aus Berlin, der seine Notlage schildert. Es handelt sich um seine Sicht des Geschehens, und wir bieten ein Forum, das gerade diejenigen zu Wort kommen lässt, deren Stimme sonst nicht gehört wird.
Wir ersparen uns an dieser Stelle Ratschläge, was der Betroffene hätte “anders machen können” und lassen seine Aussagen für sich stehen.
“Seit 5 Jahren wohnungslos geparkt”
Er berichtet: “Ich schreibe euch, weil ich heute als Behinderter mit HWS-Trauma lebe, seit 5 Jahren wohnungslos geparkt im ASOG-Wohnheim (schlimmer als die JVA) in meiner Heimat Berlin.”
Nach Schicksalsschlag auf die Straße gesetzt
Den Schicksalsschlag, mit dem das Geschehen begann, erläutert er folgendermaßen: “Nach dem Suizid meiner Frau und der Insolvenz meiner GmbH war ich 2018 im Leistungsbezug, ich war jedoch sehr traurig und erfüllte nicht alle Mitwirkungspflichten.
Daraufhin setzte mich die (zuständige Mitarbeiterin U.A.) komplett auf die Straße per Sanktionen, meine Wohnung wurde vom Gericht geräumt. Ich verlor alles, 100% Sanktionen und war obdachlos in Berlin.”
Keine Leistungen wegen fehlenden Ausweises
Auf der Straße hätte er seinen Personalausweis verloren, und das Jobcenter hätte ihm die Leistung verweigert, weil er sich nicht hätte ausweisen können.
Er schreibt: “Ich litt Hunger und Kälte im Winter. Die schickten mich, in Fetzen umhüllt und Hunger leidend, einfach wieder weg, ohne Perso.”
In seinen Augen eine Kette der Ausweglosigkeit: “Organisier dir mal als suizidgefährdeter Obdachloser ein Passbild für einen neuen Personalausweis, der auch Geld kostet. Viel Spaß.”
Seit fünf Jahren würde er in Notunterkünften für Obdachlose und Asylbewerber “geparkt” und eine ordentliche Sozialwohnung würde ihm verweigert.
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Chronische Schmerzen
Das Leben auf der Straße erfordert, seinen Schilderungen zufolge, seinen Tribut. So sei er wegen seiner Obdachlosigkeit fast tot geschlagen worden. Er könne durch die Folgen der Gewalttat bis heute nicht lange sitzen, weil er chronische Schmerzen in der Wirbelsäule habe. Alles würde brennen halsabwärts, und das Bein fühle sich taub an.
Es wäre ihm nicht mehr richtig möglich, seinen gelernten Beruf als Programmierer mit langer Konzentration auszuüben.
Ohne Obdachlosigkeit wäre das nie passiert, meint er. Er sei Freiwild gewesen, und das Jobcenter hätte das fahrlässig in Kauf genommen. Bis heute hätte er die Verletzung medizinisch nicht behandeln lassen, da er keine Gesundheitskarte habe.
“Ich wurde kriminalisiert”
Er führt aus: “Ich wurde kriminalisiert, weil ich im Winter wegen der Kälte in meiner Not wenn alle Übernachtungsmöglichkeiten überfüllt waren in der Ringbahn schlief – ohne Ticket oftmals, ich wurde also wegen einer Geldstrafe ins Gefängnis gebracht wegen Schwarzfahren wegen Obdachlosigkeit und dort dann leider schwer gefoltert, von Insassen wie Wärtern (Nahrungsmittelentzug, Isolationshaft, Sexuelle Gewalt, usw…).”
“Existenzminimum erneut verweigert”
Aus der Haft entlassen sei ihm erneut das Existenzminimum verweigert worden, weil er als Obdachloser keine Anschrift hätte.
“Jobcenter Berlin-Treptow lehnt Anträge kategorisch ab”
Das Jobcenter hätte seine Anträge auf Hilfe kategorisch abgelehnt, von Winterbekleidung bis zu zusätzlicher Ernährung aus medizinischen Gründen: “Noch nie bekam ich was vom Jobcenter, keine Sozialwohnung, keine Bekleidung, keine Küche mit Erstausstattung, kein Smartphone. Nichts! Und das, obwohl ich mit meiner Firma jahrelang tausende Euros Steuern abgeführt habe und hier geboren bin!”
“Kein Geld zum Essen
Derzeit fehle ihm die letzte Woche im Monat Geld für Essen, weil das Jobcenter wieder monatlich 50 Euro gekürzt hätte “wegen Aufrechnung der Geldstrafe, die ich erhielt, weil das Jobcenter selbst (!) mich obdachlos gemacht hat und ich in Zügen leben musste.”
Psychisch und körperlich ruiniert
Heute sei er mit 34 Jahren im Wohnheim für Wohnungslose, als schwerbehinderter Mensch, dem Medizin fehle und eine Therapie für seine Halswirbelsäule.
Er schreibt: “Das Jobcenter hat aus mir ein psychisches und körperliches Wrack gemacht. Ich war mal voll berufstätig als Akademiker, Informatiker und Softwareentwickler.”
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.