Bisweilen schaffen es Bürgergeld-Bezieher, mit ihrem Anliegen vor dem Bundesverfassungsgericht zu ziehen und kommen dort sogar zum Erfolg. So legte eine Leistungsberechtigte Verfassungsbeschwerde gegen eine Kostenentscheidung eines Sozialgerichts ein. (1 BvR 311/22)
Es lohnt sich, den Fall genau anzusehen, denn viele Bürgergeld-Berechtigte haben mit ähnlichen Entscheidungen zu kämpfen, die Sie als Willkür ansehen. Sie können sich auf dieses Urteil berufen.
Widerspruch gegen bewilligte Leistungen
Das Jobcenter bewilligte der Betroffenen im Oktober 2020 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II, damals also Hartz IV, und heute Bürgergeld.
Sie legte Widerspruch ein, denn im Bescheid war das Einkommen zu hoch berechnet worden. Der Widerspruch führte zum Erfolg.
Im Abhilfebescheid des Jobcenters stand ausdrücklich, dass die Betroffene die Kosten des Widerspruchsverfahrens von der Behörde erstattet bekäme.
Der Bevollmächtigte der Leistungsberechtigten stellte daraufhin beim Jobcenter einen Kostenfestsetzungsantrag.
Keine Entscheidung nach 6 Monaten
Es passierte erst einmal ein halbes Jahr nichts. Nach sechs Monaten hatte das Jobcenter immer noch keine Entscheidung über die Kostenfestsetzung getroffen.
Untätigkeitsklage vor dem Sozialgericht
Die Leistungsberechtigte legte deshalb beim zuständigen Sozialgericht eine Untätigkeitsklage gegen das Jobcenter ein.
Sie beantragte, das Jobcenter zu verpflichten, über ihren Kostenfestsetzungsantrag zu entscheiden. Das Jobcenter kam dem nach. Beide Beteiligten erklärten den Rechtsstreit für erledigt.
Doch jetzt entstand ein Konflikt mit dem Sozialgericht.
Kostenerstattung wird aufgrund Verhaltens der Klägerin abgelehnt
Die Leistungsberechtigte beantragte beim Gericht jetzt die Erstattung der außergerichtlichen Kosten.
Das Sozialgericht lehnte dies ab. Eine Kostenerstattung sei nicht billig. Die Begründung lautete, dass regelmäßig die formalen Voraussetzungen der Zulässigkeit und Begründetheit einer Untätigkeitsklage vorlägen.
Um die Beklagtenseite nicht zu benachteiligen, müsse geklärt werden, ob diese (das Jobcenter) durch ihr Verhalten und eine eventuelle Mutwilligkeit Veranlassung zur Klage gegeben habe.
Doch die Klägerin habe sich vor der Klage nicht mehr an das Jobcenter gewandt und damit nichts zur Schadensminderung beigetragen.
Das hätte sich durch ein einfaches Anwaltsschreiben mit Fristsetzung und dem Hinweis auf eine mögliche Rechtsfolge erledigen lassen.
Vielmehr erscheine die Klage mutwillig, denn von Anfang an hätte die Betroffene den kostspieligeren Weg gewählt. Verständig wäre hingegen der kostengünstigere Weg gewesen, also eine Nachfrage beim Jobcenter oder ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Gegen diese Entscheidung legte die Betroffene Verfassungsbeschwerde ein und bezog sich dabei auf eine Verletzung des Willkürverbots nach Artikel 3, Absatz 1 im Grundgesetz.
BSG kann Weigerung nicht nachvollziehen
Das Bundesverfassungsgericht stimmte ihr zu und bezeichnete die Entscheidung des Sozialgerichts als Verletzung des Willkürverbots.
Die Anwendung des Paragrafen 193 im Sozialgerichtsgesetz sei in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewandt worden.
Es sei zwar bei einer Untätigkeitsklage nicht ausgeschlossen, dass das Gericht eine Kostenerstattung ablehne.
Diese Weigerung sei jedoch nicht nachvollziehbar aus geltendem Recht abgeleitet worden. Es gebe keine Stütze im Gesetz dafür, dass eine Pflicht bestünde, die Behörde nach Ablauf der gesetzlichen Wartefrist erst einmal auf die anstehende Entscheidung aufmerksam zu machen und die Klageerhebung anzukündigen.
Es gebe auch keine Basis bei den Begründungsansätzen des Sozialgerichts. Eine Pflicht, vor einer Untätigkeitsklage den Sachstand zu erfragen, bestünde nicht generell, sondern nur unter besonderen Umständen.
Auch eine generelle Mutwilligkeit ließe sich aus dem Unterlassen einer erneuten Fristsetzung nicht ableiten.
Das Sozialgericht hätte nicht dargelegt, warum die Leistungsberechtigte missbräuchlich gehandelt hätte. Es hätte keine Besonderheiten des Falls genannt, die ein missbräuchliches, unredliches oder sittenwidriges Verhalten erkennen ließen.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.