Bürgergeld Abschaffung: Wohnkosten nur unter Vorbehalt und schnell Totalsanktionen

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n der Nacht auf Donnerstag hat sich die schwarz-rote Koalition auf eine umfassende Reform der sozialen Sicherung geeinigt. Das bisherige Bürgergeld soll abgeschafft werden und die sog Neue Grundsicherung wird mit deutlich strengeren Sanktionen eingeführt.

Der Beschluss im Überblick

Kern des Pakets ist ein deutlich verschärftes Sanktionsregime: Wer drei Einladungen des Jobcenters versäumt, soll künftig mit einer vollständigen Einstellung der Leistungen rechnen. Schon der erste Verstoß gegen Mitwirkungspflichten führt zu einer Kürzung um 30 Prozent für drei Monate.

Kanzler Friedrich Merz verteidigte die Linie und betonte, die Bundesregierung bewege sich dabei „an der Grenze des rechtlich Zulässigen“. Die Botschaft ist unmissverständlich: schneller in Arbeit, weniger Dauerbezug.

Abschied vom Status quo: Strengere Bedürftigkeitsprüfung und Ende der Karenzzeit

Mit der Reform fällt die Karenzzeit bei der Vermögensprüfung weg. Vermögen soll von Anfang an geprüft werden; ein altersabhängiges Schonvermögen ist vorgesehen, die genaue Staffel will die Koalition mit dem Gesetzentwurf vorlegen. Damit rückt das System zurück zu einer strengeren Bedürftigkeitslogik, die Ersparnisse frühzeitig einbezieht.

Vermittlung erhält Vorrang: Vermitteln in jeden Job

Der bislang nicht selten gleichrangige oder sogar bevorzugte Weg über längerfristige Qualifizierungen wird wieder stärker an die unmittelbare Vermittlung in Arbeit gekoppelt. Kurzfristige Beschäftigung – auch in Helfer- oder befristeten Tätigkeiten – kann damit häufiger zur ersten Option werden; Weiterbildung bleibt möglich, wenn sie nachweislich die Chancen erhöht.

Besonders in den Blick nimmt die Koalition Unter-30-Jährige. Parallel sollen Maßnahmen gegen Schwarzarbeit und Leistungsbetrug verschärft werden.

Sanktionen mit Trittstufen: Von der Kürzung bis zur Null-Leistung

Das Sanktionsregime wird verdichtet. Bereits beim ersten Pflichtverstoß greift die 30-Prozent-Kürzung für drei Monate; bei wiederholter Verweigerung sind vollständige Leistungseinstellungen vorgesehen. Ausnahmen bei Krankheit oder wichtigen Gründen bleiben möglich, die Hürden für den Nachweis dürften jedoch steigen. Das Ziel ist klar: Einladungen wahrnehmen, Auflagen einhalten, Mitwirkungspflichten erfüllen.

Wohnkosten unter Vorbehalt: Direktzahlung und mögliches Aussetzen

Um Wohnungsverlust vorzubeugen, sollen Miete und Heizkosten bei Sanktionen zunächst direkt an Vermieter überwiesen werden. Hält die Verweigerung an, können diese Leistungen eingestellt werden.

Die Koalition setzt damit auf ein zweistufiges Vorgehen: existenzsichernde Stabilisierung, gefolgt von spürbaren Konsequenzen bei fortgesetzter Pflichtverletzung. Regierungskreise verweisen darauf, dass niemand unverschuldet obdachlos werden solle; Kritiker sehen erhebliche rechtliche Fragen – insbesondere mit Blick auf Verhältnismäßigkeit und Verwaltungsaufwand.

„Abschaffung“ oder nur ein neuer Name? Der Streit um die Begrifflichkeit

Während Regierungsvertreter aus der Union die Linie als „Abschaffung des Bürgergelds“ deuten, widersprachen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten teils dieser Lesart und sprechen von einer Neuausrichtung der Leistung unter strengeren Mitwirkungspflichten. Inhaltlich bedeutet das:

Wer kooperiert, erhält weiterhin Unterstützung; wer wiederholt Pflichten missachtet, muss mit drastischen Konsequenzen rechnen. Die politische Rahmung bleibt umkämpft, die praktische Wirkung dürfte jedoch spürbar sein.

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Rechtlicher Rahmen und Verwaltungspraxis: Was Jobcenter künftig leisten müssen

Auch im neuen System bleibt die Verwaltung in der Pflicht, Sanktionen formal sauber zu begründen und Ausnahmen bei triftigen Gründen zu prüfen.

Bereits heute sind pauschale Leistungseinstellungen ohne belastbare Grundlage angreifbar – die Rechtsprechung setzt hier Grenzen. Die geplante Verschärfung dürfte die Beweisführung in der Praxis nicht einfacher machen, erhöht aber den Druck auf pünktliche Kommunikation und dokumentierte Mitwirkung.

Zeitplan

Der Gesetzentwurf soll zeitnah vorgelegt werden. In Kraft treten kann die Reform erst nach Beratungen in Bundestag und Bundesrat. Flankierend hat die Koalition zusätzliche Milliarden für Verkehrsinfrastruktur angekündigt und die Einführung einer Aktivrente zum 1. Januar 2026 vereinbart.

Diese erlaubt älteren Erwerbstätigen steuerfreie Hinzuverdienste bis zu 2.000 Euro pro Monat und soll Anreize für längeres Arbeiten setzen. Für den Straßenbau sind laut Kanzleramtskreisen zusätzliche drei Milliarden Euro vorgesehen, Genehmigungsverfahren sollen beschleunigt werden.

Folgen für Betroffene: Was jetzt wichtig wird

Für Neuanträge entfällt die Schonfrist beim Vermögen. Antragstellende müssen früh belegen, welche Rücklagen vorhanden sind und ob diese innerhalb des künftig altersabhängigen Schonvermögens liegen. Für laufende Leistungsbeziehende steigt die Bedeutung verlässlicher Kommunikation mit dem Jobcenter.

Wer Termine aus wichtigen Gründen nicht wahrnehmen kann, sollte dies frühzeitig melden und belegen.

Die Aussicht auf Direktzahlungen der Unterkunftskosten kann kurzfristig stabilisieren, ersetzt aber nicht die Pflicht zur Mitwirkung. Qualifizierung bleibt möglich, wenn sie messbar in Arbeit führt; vielerorts dürfte jedoch der schnelle Übergang in Beschäftigung Vorrang haben.

„Fordern“ und verfassungsrechtliche Grenze

Befürworter sprechen von einem notwendigen Kurswechsel, der Leistungsbereitschaft belohnt und Missbrauch eindämmt. Kritiker aus Opposition und Verbänden warnen vor unverhältnismäßiger Härte, vor allem mit Blick auf vulnerable Gruppen und psychisch Erkrankte.

Juristinnen und Juristen verweisen auf die verfassungsrechtlich garantierte Sicherung des Existenzminimums, die auch bei Sanktionen gewahrt bleiben muss. Der Gesetzgeber wird nachjustieren müssen, damit die anvisierten Null-Leistungen in engen Grenzen rechtssicher bleiben.

Vergleich: Bisherige Regeln und die Einigung zur neuen Grundsicherung

Bereich Bisher Einigung neue Grundsicherung
Erste Pflichtverletzung Kürzungen ab 10 Prozent, stufenweise 30 Prozent Kürzung für drei Monate
Mehrfaches Nichterscheinen Gestuft bis 30 Prozent Nach drei Terminen Leistung auf null, Kosten der Unterkunft ggf. einbezogen
Kosten der Unterkunft In der Regel weiter gezahlt Zunächst Direktzahlung an Vermieter, bei fortgesetzter Verweigerung Stopp möglich
Vermögensprüfung Karenzzeit zu Beginn Keine Karenzzeit, altersabhängiges Schonvermögen
Vermittlung vs. Qualifizierung Teilweise Vorrang für Qualifizierung Vermittlung hat Vorrang; Ausnahmen bei nachweislichem Nutzen

Hinweis: Das Gesetzespaket tritt erst nach parlamentarischer Beratung und Beschluss in Kraft. Änderungen an Details – etwa bei Schonvermögen, Ausnahmetatbeständen und Verwaltungsabläufen – sind bis dahin möglich.