Im Mittelpunkt steht die Frage, ob eine zeitlich unbegrenzte Deckelung der Kosten der Unterkunft und Heizung nach einem nicht erforderlichen Umzug verfassungswidrig ist und ob eine solche dauerhafte Kürzung einer Dauersanktion gleichkommt.
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) hat hierzu entschieden, dass die fortgesetzte Begrenzung der anerkannten Unterkunftskosten auf die bisherigen Aufwendungen auch noch 4 bis 4 ½ Jahre nach dem Umzug rechtmäßig ist und nicht gegen das Grundgesetz verstößt (§ 22 Abs. 1 Satz 6 SGB II).
Inhaltsverzeichnis
Der Fall: Alleinerziehende Mutter mit zwei minderjährigen Kindern
Im entschiedenen Fall bezog eine alleinstehende Bürgergeldempfängerin mit zwei minderjährigen Kindern Leistungen. Das Jobcenter kürzte über einen Zeitraum von 4 bis 4 ½ Jahren die Unterkunftskosten monatlich um mehr als 20 Prozent der Regelleistung, weil es den von ihr vollzogenen Umzug als nicht erforderlich einstufte.
Die hiergegen gerichtete Klage blieb vor dem LSG NRW ohne Erfolg (LSG NRW, Urt. v. 09.10.2025 – L 19 AS 854/24).
Wann ist ein Umzug erforderlich nach § 22 Abs. 1 Satz 6 SGB II?
Nach Auffassung des Gerichts war der Umzug der Bedarfsgemeinschaft aus Mutter und zwei minderjährigen Kindern nicht erforderlich im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 6 SGB II. Die Erforderlichkeit eines Umzugs ist daran zu messen, ob der Auszug aus der bisherigen Wohnung notwendig ist oder aus anderen Gründen als zwingend anzusehen wäre.
Eine Beschränkung auf die bisherigen Kosten der Unterkunft und Heizung scheidet dann aus, wenn der Umzug notwendig ist, weil die bisherige Wohnung den Unterkunftsbedarf als Teil der verfassungsrechtlich garantierten Existenzsicherung nicht (mehr) deckt. Dazu zählen insbesondere gesundheitliche Gründe, die einen Verbleib in der bisherigen Wohnung unzumutbar machen.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat dies bereits mit Urteil vom 24.11.2011 (B 14 AS 107/10 R) klargestellt. Solche Gründe lagen im vorliegenden Fall nach Auffassung des LSG NRW nicht vor.
Plausible Gründe: Wann ein Wohnungswechsel anerkannt wird
Ein Umzug kann auch dann als erforderlich gelten, wenn ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund vorliegt, dem auch eine nicht hilfebedürftige Person gefolgt wäre. Die Klägerinnen beriefen sich unter anderem auf Konflikte mit Nachbarn, Polizeieinsätze und ein aus ihrer Sicht ungeeignetes Wohnumfeld für die Kinder.
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Bescheid prüfenDas Gericht sah es jedoch nach Auswertung der Auskünfte der Polizei, der Angaben des ehemaligen Vermieters, der schriftlichen und mündlichen Schilderungen der Klägerin sowie der Zeugenaussagen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als erwiesen an, dass diese Gründe den Umzug zwingend erforderlich machten.
Kostenexplosion nach dem Umzug: Deutliche Erhöhung von Miete und Heizkosten
Hinzu kam, dass der Umzug die Kosten deutlich erhöhte: Die Kosten der Unterkunft stiegen unmittelbar um 18 Prozent, die Heizkosten sogar um 81 Prozent. Nach Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts stellte das LSG NRW klar, dass ein derartiges Missverhältnis nicht mehr als angemessen anzusehen sei (vgl. BSG, Urteil vom 24.11.2011 – B 14 AS 107/10 R).
Keine verfassungswidrige Dauersanktion: Rechtliche Einordnung der Mietdeckelung
Die Frage, ob die langfristige Deckelung der Unterkunftskosten nach einem nicht notwendigen Umzug eine unzulässige „Dauersanktionierung“ darstellt, hat der 19. Senat des LSG NRW ausdrücklich verneint.
Die fortgesetzte Begrenzung der Kosten der Unterkunft und Heizung auf die früheren Aufwendungen, auch über einen Zeitraum von 4 bis 4 ½ Jahren nach dem Umzug, sei nicht verfassungswidrig.
Das Bundessozialgericht habe bereits entschieden, dass eine pauschale zeitliche Grenze für das Ende der Deckelung im Gesetz keine Grundlage finde und dass ein Rückgriff auf den maximalen Bewilligungszeitraum von einem Jahr nach § 41 Abs. 1 Satz 5 SGB II in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Deckelung und ihrem Zweck stehe (BSG, Urteil vom 17.02.2016 – B 4 AS 12/15 R).
Kritik aus Sicht Betroffener
Anmerkung des Verfassers: Diese Entscheidung ist kritisch zu sehen. Für eine alleinerziehende Mutter bedeutet eine monatlich rund 100 Euro geringere Übernahme der Miete eine erhebliche Belastung. Genau diese Härte zeichnet die neue Grundsicherung nach dem SGB II ab.
Verschärfungen bei Wohnkosten treffen auch Sozialhilfe und Grundsicherung
Verschärfungen bei den Wohnkosten und Nachweispflichten sind nicht nur im SGB II geplant. Die vorgesehenen Regelungen betreffen ebenso das SGB XII und damit Beziehende von Sozialhilfe sowie Grundsicherung im Alter und bei voller Erwerbsminderung – häufig Menschen, die alt, krank oder behindert sind.



