Bürgergeld: Jobcenter muss nicht mit sehbehindertem Leistungsempfänger über das Justizpostfach kommunizieren

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Ein Bürgergeld Bezieher mit bestehender Sehschwäche hat keinen Anspruch darauf, dass ausnahmslos jede schriftliche Kommunikation mit ihm unter Verwendung seines Justizpostfachs erfolgen muss. Das gibt das Sozialgericht Nordhausen mit Urteil vom 19.08.2025 – S 13 AS 1489/24 – bekannt.

Verwaltungsverfahren ist nicht an bestimmte Formen gebunden

Nach § 9 Satz 1 SGB X ist das Verwaltungsverfahren an bestimmte Formen nicht gebunden, soweit keine besonderen Rechtsvorschriften für die Form des Verfahrens bestehen.

Nach Satz 2 ist das Verwaltungsverfahren einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen. Aus diesen Maßgaben ist abzuleiten, dass kein Rechtsanspruch auf eine bestimmte Verfahrensgestaltung besteht und der Behörde ein Verfahrensermessen eingeräumt wird. Ein Beteiligter kann damit grundsätzlich keinen Anspruch auf Kommunikation in einer bestimmten Form herleiten.

Hier hat das Jobcenter im Rahmen seines Ermessens bei der Gestaltung des Verwaltungsverfahrens davon abgesehen, mit dem Kläger über dessen Justizpostfach zu kommunizieren, und wählt stattdessen den Weg über die Briefpost. Dies begegnet nach Auffassung des Gerichts keinen Bedenken.

Kein Anspruch auf optimale Zugangsbedingungen aus Verfassungsgründen

Denn der Antragsteller ist – sehr wohl in der Lage, kleingedruckte juristische Kommentare zu lesen, sodass die Wahrnehmbarkeit der Briefpost trotz einer möglicherweise weiterhin bestehenden Sehschwäche gegeben ist. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ist mithin nicht gegeben, zumal aus der Verfassung kein Anspruch auf optimale Zugangsbedingungen erwächst (vgl. Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 27. November 2018, 1 BvR 957/18 – ).

Die Behörde bietet eine Jobcenter-App als Option an

Der Grundsicherungsträger bietet mit seiner Jobcenter-App eine niedrigschwellige Option an, mit der der Kläger elektronische Dokumente erhalten kann. Damit ist das Jobcenter im Zuge einer Ermessensreduzierung auf null auch nicht gehalten, das Justizpostfach des Klägers zu nutzen.

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Nachdem auf seiner Seite nicht sämtliche mit den Leistungsangelegenheiten des Klägers betrauten Personen über einen entsprechenden Zugang verfügen, würde die Befolgung des Begehrens des Klägers einer einfachen und zügigen Gestaltung des Verfahrens entgegenstehen, ohne dass dem ein adäquater Mehrwert beim Kläger bei der Wahrnehmung seiner sozialen Rechte gegenüberstünde.

Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist dabei nicht ersichtlich
Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Wie das Jobcenter mit anderen Behörden kommuniziert, ist mithin entgegen der Auffassung des Klägers nicht von Bedeutung, da im Verhältnis zu ihm die durch andere rechtliche und tatsächliche Umstände geprägte Kommunikation mit den Kunden zu beurteilen ist. Ebenso wenig kommt es darauf an, wie andere Behörden mit dem Kläger kommunizieren.

Anmerkung vom Bürgergeld Experten Detlef Brock: Anspruch auf barrierefreies Verwaltungsverfahren

Barrierefreie Zugänglichmachung von Bescheiden für Blinde und Sehbehinerte Bürgergeld-Empfänger, denn die barrierefreie Kommunikation innerhalb des Rechtsverhältnisses zwischen dem Kläger und dem Jobcenter steht mit der Verwaltungstätigkeit nach dem SGB II in einem engen Zusammenhang ( vgl. SG Hamburg, Urt. v. 30.06.2023 – S 39 AS 517/23 – ; ebenso Sächsisches LSG, Urteil vom 16. März 2016, L 8 SO 10/14, das auch ohne eine einfachgesetzliche (Landes-)Regelung einen Anspruch direkt aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) bejaht ).

Zur Bestimmung der geeigneten und angemessenen Maßnahmen ist die Verhältnismäßigkeit zwischen folgenden Aspekten herzustellen:

dem Stand der Technik (also das technisch Mögliche und Erprobte), den Kosten, der Art und Weise der Verarbeitung sowie den Risiken für die Rechte und Freiheiten der natürlichen Person, also dem möglichen Schaden (vorliegend zum einen die Verletzung des Grundrechts des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung nach Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG und zum anderen die Verletzung seines subjektiven Abwehrrechts aus dem Benachteiligungsverbot nach Art 3 Abs 3 S 2 GG).