Behinderung: “Vorteile” bei Prüfungen als Ausgleich in Anspruch nehmen

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Als Mensch mit Schwerbehinderung haben Sie das Recht auf Nachteilsausgleiche, um am gesellschaftlichen und beruflichen Leben teilzuhaben. Dazu gehören auch für Sie gültige Sonderregeln bei Prüfungen, ob es sich um ein Studium, Schule, eine Ausbildung oder Industrie und Handwerk handelt.

Solche Sonderregeln bei Prüfungen können auch gelten, wenn Ihr Grad der Behinderung niedriger als 50 ist.

Tabelle: Alle Ausgleiche bei Prüfungen bei einer Schwerbehinderung

Nachteilsausgleich bei Prüfungen für behinderte Menschen Beispiele
Verlängerte Arbeitszeit +10 – 50 % Bearbeitungszeit, abhängig von Beeinträchtigung und Prüfungsform
Zusätzliche Ruhe‑/Toilettenpausen Pausen werden nicht von der Prüfungszeit abgezogen
Aufteilung in Teil‑Prüfungen Eine lange Klausur wird in mehrere kürzere Abschnitte zerlegt
Flexible Terminierung / Verschiebung Prüfung kann vor‑ oder nachgeschrieben, abend- oder blockweise absolviert werden
Einzel‑ oder Kleingruppenraum Ruhige Umgebung ohne Ablenkung, Stress‑ oder Reizreduktion
Barrierefreier Prüfungsraum Rollstuhlgerechte Tische, ausreichende Bewegungsflächen, höhenverstellbare Pulte
Assistive Technologien Bildschirmlese‑Software, Braillezeile, Vergrößerungs­systeme, Spracherkennung
Computer statt Handschrift Arbeiten per Laptop/PC; ggf. spezielles Prüfungsnetz oder Offline-Gerät
Spezielle Eingabegeräte Ergonomische Tastaturen, Joysticks, Kopf‑ oder Augensteuerung
Gebärdensprach‑ oder Schriftdolmetscher Bei Hörbehinderung; auch für mündliche Prüfungen oder Präsentationen
Vorlesekraft / Audioaufnahme Aufgaben werden vorgelesen; Diktat der Antworten möglich
Schreibassistenz (Scribe) Prüfung wird diktiert und von einer Hilfsperson handschriftlich protokolliert
Aufgaben in alternativem Format Braille, Groß‑ oder Hochkontrast­druck, Leichte Sprache, elektronische Datei
Bewertungsmodifikation Rechtschreibung wird bei Legasthenie nicht oder geringer gewichtet
Ersatzprüfung (andere Prüfungsform) Mündliche statt schriftlicher Klausur, Portfolio statt Präsentation u. Ä.
Verlängerung von Abgabefristen Für Haus‑ und Abschlussarbeiten; ggf. mehrere Wochen/Monate
Zusätzliche Prüfungsversuche Wiederholungsversuch ohne Anrechnung auf Regelversuche bei behinderungs­bedingtem Nichtbestehen
Mitführen von Hilfsmitteln / Medikation Blutzuckermessgerät, Asthma‑Inhalator, Trinkflasche oder Servicehund im Raum
Anpassung der Prüfungsumgebung Regulierung von Licht, Geräusch, Temperatur; Sitzposition nach Bedarf
Ausgleich bei Präsentationen Verzicht auf Augen‑/Kamerakontakt, Nutzung assistiver Kommunikations­geräte

Hinweise

  • Grundlage sind u. a. Art. 3 GG, UN‑BRK, § 126 SGB IX (angemessene Vorkehrungen) sowie die jeweiligen Prüfungs‑ und Studienordnungen der Länder, Hochschulen, Kammern oder Schulverwaltungen.
  • Antragstellung erfolgt stets vor der Prüfung – gewöhnlich beim Prüfungs‑ oder Prüfungsausschuss; medizinische oder fachärztliche Nachweise sind beizufügen.
  • Art und Umfang des Ausgleichs werden individuell festgelegt: Er muss die Behinderung kompensieren, darf aber keine Bevorzugung darstellen.
  • Bei Zweifel oder Ablehnung können Schwerbehindertenvertretung, Behindertenbeauftragte der Einrichtung, Integrationsamt oder ggf. Rechtsmittel helfen.

Sie werden nicht besser beurteilt

Welche Nachteilsausgleiche Sie genau erhalten, das hängt von der Art und Schwere Ihrer Einschränkung ab, und die Ausgleiche gelten ebenso bei Zwischen- wie bei Abschlussprüfungen. Zum Beispiel könnten Sie bei einer Leseschwäche eine längere Zeit für Textaufgaben erhalten oder einen Prüfungstext in einfacher Sprache.

Achtung: Viele verstehen einen wichtigen Punkt falsch. Nachteilausgleiche bedeuten gerade nicht, dass Sie wegen einer Behinderung oder Einschränkung besser beurteilt werden. Sie bekommen vielmehr die nötige Unterstützung zugesprochen, um dieselebe Prüfung mit denselben fachlichen und qualitativen Anforderungen zu schreiben wie Ihre Mitschüler, Kollegen oder Kommilitonen.

Ausgleich der benötigten Zeit

Abhängig von Ihrer Einschränkung können Ihnen zeitliche Anpassungen helfen, diese auszugleichen. Diese reichen von mehr Zeit für die Prüfung selbst über mehr Zeit für die Vorbereitung bis zu flexibel gestalteten Pausen.

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Angepasste Räume

Weitere Nachteilsausgleiche betreffen die Räumlichkeiten. Auch hier ist wieder die Art Ihrer Einschränkung entscheidend. Viele Menschen mit Besonderheiten aus dem Autismus-Spektrum können zum Beispiel nur effektiv arbeiten, wenn Sie allein sind und außerdem nicht durch Geräusche gestört werden.

Möglich ist zum Beispiel das Ablegen der Prüfung in einem separaten Raum des Prüfungsgebäudes, aber auch das Ablegen der Prüfung in Ihrer vertrauten Umgebung, am eigenen Arbeitsplatz oder zuhause.

Ein wichtiger Nachteilsausgleich sind auch barrierefreie Sanitäranlagen und Versorgung, von behindertengerechten Toiletten bis zu Pflegepersonal.

Angepasste Aufgabenstellungen

Je nach Art der Einschränkung können Sie auch einen Anpassung der Aufgaben beanspruchen. Dazu gehören zum Beispiel das Stellen der Aufgaben in Leichter Sprache, oder bei Legasthenikern das Ignorieren von Rechtschreibfehlern. Bei Sehschwäche und anderen Erkrankungen haben Sie Anspruch auf eine vergrößerte Schrift.

Sie haben auch das recht, sich Aufgaben vorlesen, erklären und protokollieren zu lassen, und Soe können Verständnisfragen stellen.

Auch die mündlichen und schriftlichen Prüfungen lassen sich als Nachteilsausgleich flexibel gestalten, und praktische Teile von Prüfungen lassen sich reduzieren.

Technische Hilfen

Auch technische Hilfen sind ein Nachteilsausgleich bei Prüfungen. Zum Beispiel haben Sie Anspruch auf barrierefreie Software. Je nach Beeinträchtigung können Sie zum Beispiel auf Sehhilfen, elektronischen Schreibhilfen oder digitalisierten Aufgaben bestehen.

Bei handwerklichen Prüfungen haben Sie Anspruch auf nötige Maschinen oder Werkzeuge, die Sie mit Ihrer Einschränkung bedienen können.

Persönliche Unterstützung

Abhängig von Ihrer Einschränkung kann auch eine persönliche Unterstützung gewährt werden. Das reicht von Assistenz beim Schreiben bis zu einem Gebärdendolmetscher und dem Zulassen einer vertrauten Person, die die Prüfungsaufgaben stellt oder sich zumindest mit im Raum befindet.

Sie können möglicherweise auch einen Anspruch geltend machen, den Prüfer vor der Prüfung kennen zu lernen. Sie können auch darauf bestehen, die Prüfung einzeln statt in einer Gruppe durchzuführen.

Nachteilsausgleiche im Studium

Beim Studium bedeuten Nachteilsausgleiche zum Beispiel längere Fristen, um Haus- und Abschlussarbeiten abzugeben oder mehr Zeit, sich für eine Prüfung anzumelden. Wenn Sue wegen Ihrer Behinderung von einer Prüfung zurücktreten, wird dies nicht berücksichtigt. Sie können auch eine längere Regelstudienzeit in Anspruch nehmen.

Müssen Sie für diese Nachteilsausgleiche schwerbehindert sein?

Im Unterschied zu vielen anderen Nachteilsausgleichen müssen Sie nicht schwerbehindert sein, um bei Prüfungen diese Ausgleiche beanspruchen zu können. Nötig ist hingegen eine medizinische Einschätzung, also ein ärztliches Attest.

Wo beantragen Sie einen Nachteilsausgleich?

Nachteilsausgleiche beantragen Sie beim Studium beim Prüfungsamt, bei einer Ausbildung bei der zuständigen Kammer (Handelskammer, Handwerkskammer oder Landwirtschaftskammer). Diese entscheiden nach Aktenlage über den jeweiligen Einzelfall.

Was muss der Antrag enthalten?

In Ihrem Antrag notieren Sie Ihren Name und Ihre Anschrift, die Bezeichnung des Ausbildungsberufes, den Namen und Ort des Ausbildungsbetriebs beziehungsweise der beruflichen Einrichtung sowie den Prüfungstermin.

Dann beschreiben Sie Ihre Einschränkung / Behinderung, wenn möglich, mit ärztlichen Belegen. Dann schreiben Sie, welchen konkreten Nachteilsausgleich Sie beanspruchen.
Vergessen Sie am Ende nicht Ihre Unterschrift, sonst ist der Antrag ungültig.