In der letzten Woche hat nunmehr der Bundesrat das Aussetzen der Sanktionen im Hartz IV-System beschlossen. Einen Monat nach Verkündung wird das Sanktionsmoratorium in Kraft gesetzt. Somit werden aller Vorraussicht nach die Sanktionen ab dem 1. Juli 2022 bis zum Ablauf des Junis 2023 ausgesetzt.
Inhaltsverzeichnis
Was wird konkret ab 1. Juli 2022 für ein Jahr gelten?
- Aussetzen der Sanktionen nach § 31a SGB II gilt vermutlich ab Juli 2022 bis Juni 2023 (§ 84 Abs. 1 SGB II-N). Das dürfte auch zuvor begonnene, aber im Juli 2022 noch nicht vollständig durchgeführte Sanktionen betreffen.
- Minderungen wegen Meldeversäumnissen erst nach wiederholtem Meldeversäumnis, Bemessungszeitraum für wiederholte Meldeversäumnisse ein Jahr. Minderung auf 10 % des Regelsatzes begrenzt, das heißt mehrere 10 Prozent Minderungen übereinander sind nicht zulässig (§ 84 Abs. 3 SGB II – N).
“Jetzt tanzen uns die Hartz IV Bezieher auf der Nase herum”
“Jetzt tanzen uns die Hartz IV Bezieher auf der Nase herum”, ist sinngemäß von vielen Jobcenter-Mitarbeitenden zu hören. Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, spricht sich sogar öffentlich gegen das Sanktionsmoratorium aus.
„Ich möchte kein Jobcenter-Berater sein, der das erklären muss”, sagte Scheele gegenüber dem Handelsblatt. Der Verlust an Macht kommt in den Behörden demnach nicht gut an.
Geht jetzt die Welt unter?
Auch in der Politik wird “scharf geschossen”, als würde durch das Sanktionsmoratorium die Welt untergehen. So sagte Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU): Das Aussetzen der Sanktionen bei Hartz IV wäre ein „Schlag ins Gesicht aller Mitarbeiter in Jobcentern“.
Und die Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) mahnte: „Für einige wenige, die beharrlich eine Zusammenarbeit verweigern, braucht es weiterhin Sanktionen.“
Fakten widerlegen Befürchtungen
Fakt ist aber, dass laut Angaben der Bundesagentur für Arbeit gerade einmal 3 Prozent aller Leistungsbezieher überhaupt mit Sanktionen in der Vergangenheit ertragen mussten.
Allerdings ist der Leistungsentzug ein Mittel, die Menschen in den Nierdiglohnsektor zu drängen. Denn Jobangebote, auch wenn sie schlecht bezahlt sind, dürfen nicht abgelehnt werden. Das war zu damliger Zeit das erklärte Ziel der Agenda 2010.
Vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts konnten die Jobcenter bis zu 100 Prozent die Leistungen kürzen bzw. komplett einstellen.
Das führte in zahlreichen Fällen zur Obdachlosigkeit und Verschuldung der Betroffenen. Erst nachdem öffentlicher Druck auch zum Teil das Urteil beeinflusste, mussten die Sanktionen auf 30 Prozent reduziert werden. Unter anderem hatte die Erwerbslosenberatung “Tacheles e.V.” aus Wuppertal einen hohen Anteil daran.
Untergang des Abendlandes?
“Nein, das Abendland geht nicht unter vom Sanktionsmoratorium, mit diesen 3 Prozent „unkooperativen Leistungsbeziehenden“ wird die Gesellschaft einfach leben können und müssen. Es ist vielmehr eine große Chance von der vorherrschenden Hetze gegen Erwerbslose wegzukommen und das System der sozialen Sicherung neu auszugestalten”, bestätigt Harald Thomé in seinem aktuellen Rundbrief.
Vielmehr ist es notwendig, existenzsichernde Regelleistungen zu schaffen. Um auch in Zeiten der hoch schnellenden Teuerungsraten das Existenzminimum zu gewährleisten, müssten die Regelsätze deutlich steigen.
Regelleistungen zu niedrig
Der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil kündigte an, dass die Regelleistungen zwischen 40-50 Euro steigen werden. Nimmt man die derzeitige Unterdeckung zum Maßstab sowie eine menschenwürdige Teilhabe, müssten die Sätze allerdings zwischen 100-200 Euro im Monat steigen.
Damit allerdings nicht genug. Fördern muss in tatsächlich Fördern in Form von Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen geschehen. Bislang hat sich ein Anbieterkreis gebildet, die mehr oder weniger Sinnlosmaßnahmen anbieten. Diese Maßnahmen führen allerdings meistens nicht zur Weiterbildung, sondern nur zur Bereinigung der Arbeitslosenstatistiken. Denn Erwerslose in Maßnahmen sind dort nicht aufgeführt.
Gefahren trotz Aussetzung der Sanktionen
Thomé von Tachels e.V. sieht zwei große Gefahren, die auftreten könnten. Es könnten nachträglich Sanktionen ausgesprochen werden, wenn “ausgehend von der jetzigen Rechtslage Sanktionen nach § 31a SGB II bis sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Pflichtverletzung durchgeführt werden (§ 31b Abs. 1 S. 5 SGB II). Dann könnten ab Juli 2023 nachträglich die Strafen ausgesprochen werden.
Neben den eigentlichen Sanktionen könnten auch “bei einer Reihe von Sanktionstatbeständen ein Kostenersatz wegen vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführter Hilfebedürftigkeit nach § 34 SGB II geltend gemacht werden.”
Dieser Kostenersatz führt erst nach 3 Jahren, nach Ablauf des Jahres, für das die Leistung erbracht worden sind nach § 34 Abs. 3 S. 1 SGB II) zur Verjährung. Statt der Sanktionen ist es den Jobcentern möglich, auch einen Kostenersatzanspruch geltend zu machen.
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Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist, Sozialrechtsexperte und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht und Sozialpolitik. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.