Irrsinn und kein Ende: Notwendige Anmerkungen zur sogenannten Euro- und Griechenlandkrise
von Dr. phil. Egbert Scheunemann
(20.05.2010) Es geht immer noch schlimmer. Die letzte weltweite Finanzmarktkrise, die schlimmste seit jener von 1929, ist gerade mal zwei Jahre her, der in ihrer Folge heftige Einbruch der Realwirtschaft gerade halbwegs รผberwunden โ da bricht die nรคchste Krise รผber uns herein. Diesmal heiรt sie Euro-Krise und ausgelรถst hat sie, so wird uns zumindest von tendenziell Hirntoten gesagt, ein Lรคndchen an der Peripherie Europas, das keine zwรถlf Millionen Einwohner zรคhlt und auch dessen Sozialprodukt und Nettoschuldenstand (1) eher dem eines grรถรeren deutschen Bundeslandes entspricht als irgendeiner weltwirtschaftlich auch nur andeutungsweise relevanten Wirtschaftseinheit. Gleichwohl lesen wir: โWegen der Griechenland-Krise verzeichneten die US-Aktienmรคrkte die grรถรten prozentualen Verluste seit April 2009. Der Dow-Jones-Index verlor zeitweilig sogar fast 1000 Punkte.โ (2) Und zudem: โDer Wirtschaftswissenschaftler Nรถlling hat mit vier Mitstreitern vor dem Verfassungsgericht Klage gegen die Griechenland-Hilfe eingereicht. Finanzminister Schรคubles Darstellung, freiwillige Hilfe sei erlaubt, stรผrze Deutschland in einen Abgrund.โ (3) Und schlieรlich: โDie Schuldenfalle. Wie viel Griechenland kรถnnen wir uns noch leisten?โ (4)
Die tiefe Irrationalitรคt des kapitalistischen Systems und vor allem des internationalen kapitalistischen Finanzsystems und die abgrundtiefe Unfรคhigkeit seiner Protagonisten aus Wirtschaft, Politik, Medien und sogenannter Wirtschaftswissenschaft, die wahren Ursachen der neuen heftigen Finanzmarktturbulenzen zu erkennen und adรคquate, wirksame Gegenmaรnahmen zu diskutieren oder gar, im Falle der Politik, zu ergreifen, offenbaren sich derzeit in einer Weise und Intensitรคt, die selbst langjรคhrigen Beobachtern und Kritiker des Systems โ wie mir โ schier die Sprache verschlagen.
Zur Erinnerung: die Realitรคt
Aber zum Glรผck nur zeitweise. Also: Man muss sich zunรคchst ein paar Grรถรenordnungen in Erinnerung rufen, um die Tiefe der Irrationalitรคt des Systems ermessen zu kรถnnen. Das BIP (Bruttoinlandsprodukt) Griechenlands betrug 2007 356 Milliarden Dollar, das der USA aber fast 14 Billionen (14000 Milliarden) โ also fast 40 mal mehr! (5) Die Staatsschulden Griechenlands beliefen sich im Jahr 2009 auf 365 Milliarden Dollar (108 Prozent des BIP),6 die der USA aber auf fast 13 Billionen!7 Das sind fast 36 mal mehr!
Allein das Haushaltsdefizit der USA war 2009, also in einem Jahr, mit 1,4 Billionen (8) Dollar fast viermal so hoch wie die kumulierten gesamten Staatsschulden Griechenlands! Bezieht man Griechenlands Wirtschaftsdaten auf den EU-Wirtschaftsraum, sehen die Relationen noch grotesker aus โ schon allein das EU-BIP ist um รผber vier Billionen Dollar grรถรer als das der USA.9 Und bezieht man Griechenlands Staatsschulden schlieรlich auf die Finanzmassen, die auf den internationalen Finanzmรคrkten jรคhrlich umgeschlagen werden, sehen die Verhรคltnisse vollends absurd aus: Schon 2004 war der Umsatz auf den internationalen Finanzmรคrkten etwa 40 mal grรถรer als das realwirtschaftliche Welt-BIP von damals 41 Billionen Dollar โ er betrug also unglaubliche 1600 Billionen Dollar.10 Gemessen an dieser Umsatzzahl entsprechen die 365 Milliarden Dollar, mit denen der griechische Staat in der Kreide steht, gerade mal sensationellen, bedrohlichen, Angstschweiร treibenden โ 0,02 Prozent! Selbst wenn Griechenland seinen Bankrott erklรคrt hรคtte und niemals, also auch nicht nach anschlieรenden Umschuldungsaktionen,
teilweisen Schuldentilgungen und Zinssenkungen, auch nur einen Cent zurรผckzahlen sollte, wรผrde das gesamte internationale Finanzsystem, so und so schon aufgeblรคht bis ins Absurde, gerade mal 0,02 Prozent seiner Finanzmassen verlieren.
Die ans Hysterische grenzende Irrationalitรคt des Systems und seiner Akteure und Protagonisten: Bรถrse, Wirtschaftswissenschaftler, Medien, deutsche Politik
Und was passiert? Anfang Mai schmiert der Dow-Jones-Index, siehe oben, in kรผrzester Zeit um satte 1000 Punkte ab, und zwar nicht aufgrund des astronomischen Haushaltsdefizits der USA oder weil etwa ein weltwirtschaftlich irgendwie relevanter Staat seine Zahlungsunfรคhigkeit erklรคrt hรคtte, sondern โ wegen Griechenlรคndchen! Und was war der konkrete Grund? Hatte Griechenlรคndchen seine Zahlungsunfรคhigkeit verkรผndet oder auch nur um Zahlungsaufschub gebeten? Nichts dergleichen! Schon Anfang Februar 2010 hatte die EU-Kommission den griechischen Haushalt unter EU-Kontrolle gestellt. Wenige Tage vor dem am 7. Mai 2010 erfolgten Kurssturz in den USA, nรคmlich am 2. Mai 2010, hatte die Regierung Griechenlands, in Erfรผllung der Vorgaben der EU-Kommission, ein knรผppelhartes Sparprogramm aufgelegt (das griechische Parlament hat am 6. Mai zugestimmt). Und dass die EU seinem Mitglied Griechenland beispringen wรผrde, war auch schon vor dem Bรถrsencrash in den USA klar, nรคmlich ab Mitte April 2010, als der EU-Gipfel einen Hilfsplan fรผr Griechenland beschloss.11 Das schlieรlich 80 Milliarden Euro schwere EU-Rettungspaket fรผr Griechenland wurde dann am 8. Mai 2010 zu einem Rettungsschirm fรผr den gesamten Euro-Raum in der Grรถรenordnung von 750 Milliarden Euro ausgeweitet (der IWF trug davon 250 Milliarden und schoss noch mal Kredite fรผr Griechenland in Hรถhe von 30 Milliarden Euro hinzu),12 da inzwischen auch andere Staaten der Euro-Zone ins Visier der Bรถrsenpsychopathen und Spekulanten geraten waren โ die ebenso zynisch wie sรคuisch PIIGS (in Anlehnung an englisch pigs, also Schweine) genannten Staaten Portugal, Irland, Italien, Griechenland eben und
Spanien. (13)
Und wie reagierten die Bรถrsen, die internationalen Finanzmรคrkte, diese dem Modell des vollstรคndigen Marktes aufgrund ihrer unglaublichen Flexibilitรคt (Stichwort: Internet- und Computerhandel in Echtzeit) hochgradig nahekommenden Systeme, auf diesen eine dreiviertel Billion Euro schweren Rettungsschirm? So: โSorge um Defizite in Europa. Euro fรคllt auf tiefsten Stand seit 2006. Die Hoffnung auf einen schnellen Effekt des Rettungspakets der EU und des IWF war trรผgerisch. Die europรคische Gemeinschaftswรคhrung verlor nach kurzer Erholung weiter an Wert. Der Euro fiel inzwischen auf den tiefsten Stand seit vier Jahren und kostete nur noch 1,22 US-Dollar.โ (14)
Dass Bรถrsen verrรผckt spielen kรถnnen, dass sich auf den internationalen Finanzmรคrkten immer wieder gewaltige finanzielle Luftschlรถsser aufbauen und gigantische Finanzblasen aufwรถlben, die schlieรlich irgendwann laut zusammenbrechen oder platzen โ das kennen wir schon lange, das haben wir gerade (2008) erlebt, das hat schon der olle Marx notwendig und hinreichend analysiert und vorausgesagt. Wie aber reagieren die sogenannten Wirtschaftswissenschaftler und andere โWirtschaftsexpertenโ auf die Griechenlandhilfe und den absackenden Euro-Kurs? Wir haben es gelesen: Sie rennen zum Bundesverfassungsgericht, weil Deutschland wegen einer Kreditzusage (also nicht Finanzgeschenkzusage) von erbรคrmlichen, lรคcherlichen 22 (in Worten: zweiundzwanzig) Milliarden Euro an Griechenland in den โAbgrundโ gefรผhrt werde! Und diese Leute bekommen sogar innerhalb dreier Tage ein (zum Glรผck abschlรคgiges) Urteil des Bundesverfassungsgerichts, eines der hรถchsten Verfassungsorgane Deutschlands โ und nicht etwa eine Empfehlung, einen Psychiater aufzusuchen, oder, besser noch, eine Zwangseinweisung
ins nรคchste Irrenhaus.
Ist zudem irgendeinem dieser โWirtschaftsexpertenโ (15) aufgefallen, dass der sinkende Euro-Kurs ein gigantisches Konjunkturfรถrderungsprogramm fรผr die EU-Exportwirtschaft darstellt? Und hat irgendeiner dieser โExpertenโ, oder wer sonst, im Jahre 2006, als der Euro-Kurs genauso tief lag wie derzeit, von einer Euro-Krise geschwafelt? Und unsere โSpitzenexpertenโ vom Sachverstรคndigenrat fรผr die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, wie reagieren die auf die halluzinierte Euro- und Schuldenkrise? Fordern sie, die Finanzmรคrkte endlich streng zu regulieren oder gar eine hohe Bรถrsenumsatz-, Finanztransaktions- oder Tobin-Steuer einzufรผhren, um den Spekulationen endlich den Garaus zu machen und eine fรผr die Staaten sprudelnde Einnahmenquelle (etwa fรผr die Tilgung von Staatsschulden) zu schaffen? Nein, sie reagieren so: โDeutliche Forderungen der Wirtschaftsforscher. โSparkurs wie noch nie statt Steuersenkungenโโฆ Der Staat mรผsse vor allem seine Ausgaben kรผrzen. Konkret schlagen sie vor, Steuervergรผnstigungen zu kappen. So sollte der ermรครigte Mehrwertsteuersatz fรผr
kulturelle Leistungen, fรผr den Personennahverkehr und fรผr รbernachtungsdienstleistungen abgeschafft werden โ die Koalition hatte erst zum Jahresanfang 2010 die Hoteliers entlastet. Zudem schlagen die Forscher vor, Zuschlรคge fรผr Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit kรผnftig zu besteuern. Einsparmรถglichkeiten bestรผnden auch bei den Personal- und den Sachausgaben: Hier sollten moderate Lohnanstiege vereinbart und die Effizienz im รถffentlichen Sektor gesteigert werden.โ16 Eine einzige vernรผnftige Forderung, die Abschaffung der steuerlichen Privilegierung der Hoteliers, ist also eingerahmt vom รผblichen neoliberalen Irrsinn: Schichtarbeiter sollen zusรคtzlich besteuert werden, die Bezieher von arbeitsfreiem Spekulations-, Gewinn-, Zins- oder Dividendeneinkommen aber nicht. Kulturelle Leistungen und umweltfreundlicher Personennahverkehr sollen teurer werden, Bรถrsenumsรคtze oder umweltfeindlicher und devisenfressender Autoverkehr aber nicht. Und diese asozialen, akulturellen, umweltfeindlichen Herren Sachverstรคndigen dรผrfen sich auch noch โWissenschaftlerโ nennen, ja werden sogar immer wieder als โWirtschaftsweiseโ tituliert!
Und die Medien? Nun, was man in letzter Zeit in der Bรผrgerpresse โ vom โSpiegelโ รผber den โFocusโ bis hin zur โZeitโ โ bezรผglich Griechenland an kulturrassistischem, arrogantem, wirtschaftsimperialistischem Dreck zu lesen bekam, hat ein Niveau erreicht, das man bislang nur von der โBild-Zeitungโ kannte. Ich will diesen Dreck hier aus Grรผnden publizistischer Hygiene nicht wiederholen.17 Nur so viel: Selbst in einer Satiresendung des betulich konservativen Staatssenders ZDF war neulich im Kontext der EU-Griechenlandhilfe zu hรถren, man kรถnne den Eindruck gewinnen, die Zeitung, deren Lektรผre bekanntlich verblรถdet oder nur bereits Verblรถdeten ertrรคglich ist, werde von โSchimpansenโ geschrieben.18
Und die deutsche Politik schlieรlich? Deutschland, zumindest das wurde in der Bรผrgerpresse hier und da kleinlaut festgestellt, ist der Profiteur des Euro. Die via Lohndumping und Sozialabbau im eigenen Lande geschaffenen deutschen Exportรผberschรผsse19 sind ganz wesentlich fรผr das Handelsdefizit anderer Staaten und vor allem anderer EULรคnder (deutsche Exporte gehen zu etwa 70 Prozent in den EU-Raum) verantwortlich โ auch und vor allem Griechenlands. Weil Deutschland, pro Kopf der Bevรถlkerung gerechnet, noch immer der Exportweltmeister aller Klassen ist,20 hat seine konservativneoliberale Regierung sich lange Zeit gegen ein gemeinsames Vorgehen der EU gegen die spekulativen Angriffe auf den Euro und vor allem auf die, siehe oben, PIIGS gewehrt โ mit der Folge, dass Griechenland fรผr neue Kredite (um alte ablรถsen zu kรถnnen) Zinsen zahlen musste und muss, die ein Mehrfaches jener betragen, die Deutschland und andere wirtschaftlich starke EU-Staaten zahlen mรผssen. Die deutsche konservativneoliberale Regierung trรคgt also die Hauptverantwortung dafรผr, dass es รผberhaupt zur Griechenland- und Euro-Krise kommen konnte! Noch vor wenigen Tagen wurde gemeldet: โKeine Transaktionssteuer und kein Mindestlohn. Merkels klares Nein beim DGBKongress. Reden der Kanzlerin beim DGB-Bundeskongress waren fรผr Merkel nie ein Heimspiel โ wachsende Staatsschulden und Finanzkrise machen den diesjรคhrigen Auftritt aber noch schwieriger. Sie blieb bei ihrem Nein zur Transaktionssteuer. Einzig neue Finanzmarktregeln kรถnne sie sich vorstellen.โ21 Keine Transaktionssteuer und kein Mindestlohn โ also keine wirkliche Bekรคmpfung der Spekulation und keinerlei Abgehen von der Politik der Exportfรถrderung via Lohndumping!
Nun wurde nur zwei Tage spรคter Folgendes berichtet: โEuro-Lรคnder fรผr Transaktionssteuer. Der Plan fรผr eine Steuer auf Finanztransaktionen bekommt in Europa neuen Schwung. Die Eurozone wolle sich auf internationaler Ebene dafรผr einsetzen, den Finanzsektor stรคrker an der Krisenbewรคltigung zu beteiligen, sagte der Vorsitzende der Euro-Finanzminister, Juncker, nach Beratungen in Brรผssel.โ (22) Und schlieรlich kurz darauf, quasi fast zeitlich parallel zur Ausformulierung dieser Zeilen: โKoalition fordert Finanzmarktsteuer. รberraschende Einigung in der Koalition: รber die geplante Bankenabgabe hinaus wollen Union und FDP die Finanzkonzerne mit einer Steuer an den Kosten der Krise beteiligen. Die Forderung lรคuft auf die von den Liberalen bislang abgelehnte Finanztransaktionssteuer hinaus.โ (23) Die deutschen Hampelfrauen und -mรคnner des Kapitals Merkel, Westerwelle & Co. wehrten sich lange gegen die Vernunft. Jetzt haben sie dem massiven Druck aus der EU nachgegeben โ in bester FDP-Umfallermanier. Aber womรถglich haben sie nur deswegen zugestimmt, um auf eine Transaktionssteuer zu drรคngen, deren homรถopathische Grรถรenordnung den Spekulanten maximal ein mรผdes Lรคcheln abringen wird.
Die wahren Ursachen der Krise โ und was dagegen zu tun wรคre
Zunรคchst: Das schlechterdings Erschรผtternde ist, dass selbst politisch links orientierte Autoren und Wirtschaftswissenschaftler die letzte Ursache der immer wieder รผber uns hereinbrechenden groรen kapitalistischen Wirtschaftskrisen, denen immer noch viel grรถรere Finanzmarktkrisen vorausgehen, mit keinem Wort benennen: den Geldschรถpfungsmodus via Kredit. (24) Wohlgemerkt, ich spreche nicht (primรคr) von einer zur Krise fรผhrenden Aufblรคhung der Kreditmรคrkte, einem Zuviel an Krediten (durch Verlรคngerung von Kreditschรถpfungsketten, durch Verbriefung von Kreditpaketen als โSicherheitโ fรผr neue Kredite etc.), sondern von Krediten der Zentralbank an die Geschรคftsbanken als Form der Schaffung neuen Geldes รผberhaupt. Man kann nur aufblรคhen, was grundsรคtzlich schon da ist!
Betrachten wir es zunรคchst so: Im Gefolge der Finanz- und Realwirtschaftskrise haben die Industriestaaten, so das Kieler Institut fรผr Weltwirtschaft, insgesamt unglaubliche โ3 Billionen Dollar staatlicher Hilfen ausgegeben, um den Absturz der Weltwirtschaft abzubremsenโ (25) โ geschรถpft aus neuen Krediten! Wie wurde also das Platzen der Finanzblase 2008, Auslรถser der folgenden Realwirtschaftskrise, bekรคmpft? Durch die Schรถpfung neuer Kredite in astronomischen Dimensionen, durch die Ersetzung der privaten, eben verpufften Kreditforderungen durch staatliche Kredite โ durch รถffentliche Verschuldung also! Und was passierte? Genau das, was ich unter der Zwischenรผberschrift โStaatsschulden โ nicht das eigentliche Problem, aber Induktionskern einer neuen Kreditblaseโ haarklein vorausgesagt habe!26 รberrascht hat mich nur die Geschwindigkeit, mit der die nรคchste Finanzmarktkrise, diesmal Euro-Krise genannt, รผber uns hereinbrach โ nur ein gutes Jahr nach der letzten. Ansonsten erfolgte sie aber zwingend, weil am Geldschรถpfungsmodus via Kreditschรถpfung grundsรคtzlich nichts geรคndert
wurde.
Weil sich der neoliberale Irrsinn immer wieder und bis zur Bewusstlosigkeit wiederholt, erlaube auch ich mir, mich kurz selbst zu wiederholen: โWelche Mรถglichkeiten hat der Staat aber, aus dem Staatsdefizit und aus der Krise herauszukommen jenseits des Auftรผrmens โimmer gigantischererโ Staatsschulden?
Nun, er kann sich zum Ersten das Geld der Reicheren und Reichen, das er momentan in Form von Krediten einsammelt, auch einfach direkt รผber Steuererhรถhungen abholen, indem er (vor allem hรถhere und hohe) Einkommen, Zinsen, Dividenden, Kursgewinne, realwirtschaftliche Gewinne, Vermรถgen und Erbschaften weit hรถher besteuert als bislang. Damit wรผrde er beilรคufig auch die Masse an Geld verringern, die Anlage suchend immer wieder die internationalen Finanzmรคrkte aufblรคht. Wenn er zusรคtzlich eine saftige Umsatzsteuer auf alle Finanzgeschรคfte (Handel mit Aktien, allen anderen Wertpapieren und auch mit Devisen) einfรผhrt, wรผrde er zusรคtzlich Geld einnehmen und hysterische Aufschaukelungsprozesse an den Bรถrsen unterbinden.
Die zweite Mรถglichkeit fรผr den Staat, schuldenfrei an Geld zu kommen, um das Staatsdefizit und die Wirtschaftskrise zu รผberwinden, ist oder wรคre (nach entsprechenden gesetzlichen รnderungen), dass Zentralbankgeld (รผber den Umweg privater oder รถffentlich-rechtlicher Banken) nicht in Form von verzinslichen Krediten in die Staatskassen geleitet wird, sondern nach dem Muster, nach dem schon heute Gewinne der Zentralbank zins- und schuldenfrei direkt auf die Konten des Staates รผberwiesen werden.
Derzeit wird neues Geld (im Rahmen der Vorgaben der EZB) von den Zentralbanken in Form einer Kreditgewรคhrung an die Geschรคftsbanken geschaffen bzw. โgeschรถpftโ. Jedes neue Geld kommt im gegebenen System also als neue Schuld ins Leben.
Und genau das muss nicht sein. Die Zentralbanken kรถnnten das neue Geld auch einfach schuld- und zinsfrei an den Staat รผberweisen. Solange das im Rahmen der weiter und allein von den Zentralbanken betriebenen restriktiv-inflationsvermeidenden Geldmengenpolitik betrieben werden wรผrde (solange der Staat also nicht einfach selbstherrlich neues Geld bei der Zentralbank anfordern kรถnnte), bestรผnde keine grรถรere Inflationsgefahr als heute auch.โ (27)
Da nun nicht zu erwarten ist, dass die eben zitierte vernรผnftige Politik in absehbarer Zeit verwirklicht werden wird โ das verhindern die in politischen Diensten des Kapitals stehenden Hampelmรคnner und -frauen EU- und weltweit โ, sei hier noch eine andere Mรถglichkeit genannt, wie die sogenannte Griechenlandkrise hรคtte gelรถst werden kรถnnen, ohne neue Berge staatlicher Schulden aufzutรผrmen, ja bei massiver Schleifung der gegebenen! Um es so zu formulieren: Wรคre ich Redenschreiber des griechischen Ministerprรคsidenten, hรคtte ich ihm folgenden Text formuliert, den er anstelle des Anfang Mai 2010 verkรผndeten drastischen Sparprogramms (oder, von mir aus, auch zusรคtzlich dazu) hรคtte vorlesen sollen:
โMeine sehr verehrten Damen und Herren, die Spekulationen auf den internationalen Finanzmรคrkten haben zu einer unertrรคglichen Zinsbelastung fรผr griechische Staatsanleihen gefรผhrt. Die griechische Regierung stellt bis auf Weiteres die Tilgung seiner Schulden und die Zahlung der darauf fรคlligen Zinsen ein. Dieses Zahlungsmoratorium erfolgt so lange, bis die Zinsen fรผr Kredite an den griechischen Staat wieder einem normalen Niveau entsprechen. In der Zwischenzeit auflaufende Zinsschulden erkennt die griechische Regierung nicht an und wird sie niemals begleichen. Ich danke fรผr Ihre Aufmerksamkeit und wรผnsche Ihnen noch einen schรถnen Tag!โ
Was wรคre passiert? Nichts! Oder besser: nur Positives! Nach dem zu erwartenden รผblichen Aufschrei der รผblichen dementen Verdรคchtigen aus Politik, Medien und sogenannter Wirtschaftswissenschaft โ dass nun natรผrlich, wenn nicht gleich die ganze Welt untergehen, so doch die Weltwirtschaft zusammenbrechen werde โ, wรผrde man sich zusammensetzen, Griechenland einen Berg an Schulden erlassen und die verbleibenden Schulden vernรผnftig umgruppieren und verzinsen. Es wรผrde genau das eintreten, was eintrat, als Mexiko (28) oder Argentinien (29) Mitte der 1990er Jahre bzw. Anfang der 2000er Jahre einfach ihre Zahlungen einstellten und sich dem mรถrderischen Druck der internationalen Finanzmรคrkte einfach nicht mehr beugten: โArgentinien hat 2002 rund 70 Prozent der Schulden gestrichen.โ30 Was folgte? Folgte eine Weltwirtschaftskrise oder auch
nur eine Lateinamerikakrise? Nichts dergleichen! Es folgte der wirtschaftliche Wiederaufstieg Argentiniens und des gesamten Subkontinents! Wenn ich also nur Redenschreiber wรคreโฆ (Weiteres zur Person Dr. phil. Egbert Scheunemann: www.egbert-scheunemann.de)
Quellen:
1 Die Nettoschulden sind die Differenz, also der Saldo zwischen allen Schulden und Vermรถgen, die ein
Land im Ausland hat. Der gesamte staatliche Schuldenstand Griechenlands geht in diesem Jahr in
Richtung 121 Prozent des griechischen Sozialprodukts, die Nettoschulden betragen aber nur rund 76
Prozent. Vgl. den Wikipedia-Artikel โGriechische Finanzkrise 2009/10โ, der sich รผbrigens durch (im
gegebenen Kontext) seltene nรผchterne Sachlichkeit, schlรผssige Ursachenanalyse und vorbildliche
Quellennachweise auszeichnet: http://de.wikipedia.org/wiki/Griechische_Finanzkrise_2009/10
2 www.tagesschau.de; 7. Mai 2010.
3 Ebd.
4 Der Spiegel, Nr. 19 vom 10. Mai 2010, Titel.
5 Vgl. Statistisches Bundesamt
6 http://de.wikipedia.org/wiki/Griechenland#Staatshaushalt
7 www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,694153,00.html
8 Ebd.
9 http://de.wikipedia.org/wiki/Europ%C3%A4ische_Union#Wirtschaft
10 Zu Quellennachweisen vgl. www.egbert-scheunemann.de/Realsatire-internationale-Fianzmarktkrise-
Scheunemann.pdf, S. 8.
11 http://ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/9099_de.htm
12 http://de.wikipedia.org/wiki/Griechische_Finanzkrise_2009/10#Rettungspaket_von_EU_und_IWF
13 http://de.wikipedia.org/wiki/PIIGS
14 www.tagesschau.de; 17. Mai 2010.
15 Man gebe รผbrigens in meiner โChronik des (nicht nur) neoliberalen Irrsinnsโ des Jahres 2009 den
Suchbegriff โExperteโ ein und erfreue sich an der Fehleinschรคtzungsquote unserer โWirtschaftsexpertenโ
โ sie liegt bei nahezu 100 Prozent! Vgl. www.egbert-scheunemann.de/Chronik-des-Neoliberalen-
Irrsinns-5.pdf
16 www.tagesschau.de/wirtschaft/fruehjahrsgutachten108.html; 15. April 2010.
17 Man kann ihn etwa hier nachlesen: www.bildblog.de/18326/leitfaden-wie-hetze-ich-gegen-ein-landauf,
oder hier: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32551/3.html
18 Ich zitiere hier aus dem Gedรคchtnis. Besagte โheute showโ lief, wenn ich es recht erinnere, Anfang
Mai 2010.
19 Mit Datum des 10. Mai 2010 lesen wir etwa: โAuรenhandel รผberwindet offenbar Krise. Deutsche Exporte
legen krรคftig zu. Mit dem stรคrksten Monatsplus seit 18 Jahren gegenรผber dem Vormonat haben
die deutschen Exporte im Mรคrz krรคftig angezogen. Der Wert der Ausfuhren stieg um 10,7 Prozent auf
85,6 Milliarden Euro, wie das Statistische Bundesamt berichtete. Das war der hรถchste Betrag seit
Oktober 2008, als Waren im Wert von 88,7 Milliarden Euro das Land verlieรen. Danach brachen die
Einfuhren in der Folge der Finanzkrise ein.โ (www.tagesschau.de/wirtschaft/export134.html)
20 Die Exporte eines 80-Millionen-Volkes (Deutschland) mit denen eines 1,3-Milliarden-Volkes (China)
zu vergleichen, ist natรผrlich genauso intelligent oder โ besser โ dumm, wie Deutschlands Exporte mit
den Exporten eines adรคquat bevรถlkerungsreichen Wirtschaftsgebietes zu vergleichen, etwa Nord- und
Sรผdamerikas zusammen oder Afrikas insgesamt!
21 www.tagesschau.de; 16. Mai 2010.
22 www.tagesschau.de; 18. Mai 2010.
23 Ebd.
24 Vgl., um nur wenige Beispiele zu nennen, folgende Beitrรคge, deren Lektรผre ansonsten (cum grano
salis) durchaus zu empfehlen ist:
Thomas Konicz: Krisenmythos Griechenland (www.heise.de/tp/r4/artikel/32/32551/1.html),
Eberhard Rondholz: โNichtstuer, Schieber und Korrupteureโ, in: konkret, Nr. 4/2010, S. 27 ff.,
Jรถrg Kronauer: Komm, schenk mir ein! Griechenland auf Hartz IVโฆ, in: konkret, Nr. 4/2010, S. 24
ff.,
Hermannus Pfeiffer: Griechische Tragรถdie. รber Staatsverschuldung und die Zรคhmung der Finanzmรคrkte,
in: Blรคtter fรผr deutsche und internationale Politik, Nr. 4/2010, S. 79 ff.,
Joachim Bischoff: Griechenland war nur der Anfang (www.sozialismus.de; 11. Mai 2010).
25 www.ifw-kiel.de/medien/pressemitteilungen/2009/pm1-04-09
Weiteres zur Person Dr. phil. Egbert Scheunemann: www.egbert-scheunemann.de