6 Monate früher in Rente gehen

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Die Aussicht, einige Monate oder sogar Jahre vor dem eigentlichen Rentenbeginn aus dem Berufsleben auszuscheiden, klingt für viele verlockend. Tatsächlich ist es so, dass sich die Arbeitslosigkeit als Übergang in den Ruhestand in bestimmten Fällen finanziell lohnen kann, wie der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt bestätigt.

Doch wie genau funktioniert dieses Modell, und welche Chancen, aber auch Risiken, sind damit verbunden? Um diese Fragen zu klären, lohnt ein genauer Blick auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die Höhe des Arbeitslosengeldes (ALG) und die unterschiedlichen Auswirkungen auf die spätere Rentenhöhe.

Früher in Rente? Geht das so leicht?

Die Regelaltersgrenze hat sich in den vergangenen Jahren schrittweise nach hinten verschoben. Aber es gibt die Möglichkeit, mit Abschlägen oder unter bestimmten Voraussetzungen schon früher aus dem Berufsleben auszuscheiden. Hier kommt das Thema Arbeitslosengeld 1 ins Spiel, denn unter bestimmten Bedingungen lässt sich der Beginn der Rente mit einer maximal zweijährigen Phase der Arbeitslosigkeit verknüpfen.

Wie funktioniert Arbeitslosengeld 1 kurz vor der Rente?

Die Voraussetzungen für den Bezug des Arbeitslosengeldes 1 sind klar geregelt. Wer mindestens 58 Jahre alt ist und in den vergangenen vier Jahren insgesamt 48 Monate in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis stand, erhält – sofern keine Sperrzeit aufgrund eigener Kündigung oder anderer Gründe hinzukommt – bis zu 24 Monate lang Arbeitslosengeld 1.

Damit kann die Zeit bis zum offiziellen Renteneintritt überbrückt werden. “Wichtig ist, dass die Höhe des ALG 1 von den letzten zwölf Monaten des Nettogehalts abhängt, meist etwa 60 Prozent des vorherigen Nettoverdienstes beträgt und weitere Einkommens- oder Vermögensverhältnisse nicht berücksichtigt werden. Für Personen mit Kindern steigt dieser Satz oft auf rund 67 Prozent”, mahnt Dr. Utz Anhalt, Sozialrechtsexperte von “Gegen-Hartz.de”.

Diese Regelung führt in manchen Fällen dazu, dass das Arbeitslosengeld 1 sogar höher ausfällt als die reguläre Rente. “Insbesondere bei Menschen, die in den letzten Jahren vor Renteneintritt ein gutes Gehalt erzielen, kann das ALG 1 als Zwischenschritt attraktiver sein, als direkt in Rente zu gehen – vor allem wenn diese Rente nach einer langen Versicherungsbiografie niedriger ausfällt, als man erwarten würde”, so Anhalt.

Wann lohnt sich die Arbeitslosigkeit für den Rentenverlauf?

Neben der Höhe des Arbeitslosengeldes spielt noch ein weiterer Punkt eine Rolle: Während des Bezugs von Arbeitslosengeld 1 werden Sozialversicherungsbeiträge durch die Agentur für Arbeit entrichtet.

Bis zu zwei Jahre vor dem regulären Renteneintritt kann diese Zeit daher auf die Versicherungsjahre angerechnet werden. Wer beispielsweise noch die letzten nötigen Monate benötigt, um auf 35 oder 45 Beitragsjahre zu kommen und damit früher abschlagsfrei oder zumindest mit geringeren Abzügen in Rente gehen kann, kann von dieser Regelung profitieren.

Allerdings gibt es Einschränkungen: “Ab zwei Jahre vor dem offiziellen Rentenbeginn werden die Zeiten der Arbeitslosigkeit nur noch dann angerechnet, wenn die Arbeitslosigkeit auf eine Insolvenz oder eine Betriebsaufgabe beim Arbeitgeber zurückzuführen ist. Für andere Fälle entfällt ab diesem Zeitraum die Möglichkeit, die Versicherungszeiten weiter anzurechnen”, sagt der Experte.

Warum kann sich das Modell „Arbeitslosigkeit statt Rente“ rentieren?

Wer früher in Rente gehen möchte, muss meist Abschläge hinnehmen. Abhängig vom Geburtsjahr sind bis zu 3,6 Prozent pro Jahr des vorzeitigen Renteneintritts üblich – und das ein Leben lang. Geht man zum Beispiel mit 63 Jahren anstelle von 65 oder 66 in Rente, führt das zu entsprechenden Rentenkürzungen.

Meldet man sich jedoch zwei Jahre vor dem geplanten Rentenbeginn arbeitslos, lassen sich die „verlorenen“ Jahre unter Umständen so überbrücken, dass keine dauerhaften Kürzungen anfallen.

Zudem steigt bei einem höher angesetzten Vergleichsnettogehalt oft das Arbeitslosengeld über den Betrag der berechneten Rente. Wer also beispielsweise kurz vor seinem 63. Geburtstag mit gutem Gehalt ausscheidet und ALG 1 bezieht, bekommt häufig mehr als die eigentlich früh beginnende Rentenzahlung. Erst wenn das Rentenalter erreicht ist oder die Grenze zur abschlagsfreien Rente (beispielsweise nach 45 Jahren) näher rückt, lohnt es sich, den Rentenantrag zu stellen.

Welche Risiken und Nachteile gibt es?

Obwohl das Modell verlockend erscheint, gibt es wichtige Punkte zu bedenken. Wer direkt selbst kündigt, riskiert eine Sperrzeit von derzeit drei Monaten. In dieser Zeit läuft nicht nur kein Arbeitslosengeld, sondern auch die Gesamtbezugsdauer kann sich dadurch um diese drei Monate verkürzen. Man muss also ausreichend finanzielle Rücklagen für diese Phase haben.

Außerdem zahlen Arbeitnehmer während ihres Berufslebens Rentenbeiträge auf Basis von 100 Prozent des Gehalts. Bei Arbeitslosigkeit übernimmt die Agentur für Arbeit zwar weiterhin Beitragszahlungen, aber nur auf Basis von 80 Prozent eines fiktiven Gehalts. Das verringert die späteren Rentenansprüche.

Außerdem kann es unangenehm sein, sich während der Arbeitslosigkeit regelmäßig mit der Agentur für Arbeit auseinandersetzen zu müssen, Terminpflichten einzuhalten und verfügbar zu sein. Rentnerinnen und Rentner bleiben hingegen in dieser Hinsicht deutlich unabhängiger.

Darüber hinaus spielt für viele Betroffene das Thema Abfindung eine Rolle. Wird man gekündigt oder einigt sich per Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitgeber, ist oft ein finanzieller Ausgleich in Sicht.

“Dieser kann jedoch zu einer Sperrzeit beim Arbeitslosengeld führen, wenn er als Umgehung einer ordentlichen Kündigungsfrist gewertet wird”, sagt der Arbeitsrechtler und Jurist Christian Schulze gegenüber unserer Redaktion.

“Andererseits kann die Abfindung auch eingesetzt werden, um mögliche Rentenabschläge durch Sonderzahlungen an die Rentenkasse auszugleichen und so die spätere Rente zu erhöhen. Dieser Schritt kann sich, je nach individueller Steuerlast, positiv auf die Einkommenssituation auswirken, sollte aber gut durchgerechnet werden”, sagt Anhalt hingegen.

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Wie berechnet man die eigene Situation am besten?

Wer die verschiedenen Möglichkeiten zwischen Arbeitslosigkeit und frühzeitigem Renteneintritt ausloten möchte, benötigt vor allem einen Überblick über die eigenen Rentenansprüche. Auf dem jährlichen Rentenbescheid, den die Deutsche Rentenversicherung verschickt, finden sich erste Anhaltspunkte über die zu erwartenden Zahlungen bei regulärem und frühzeitigem Renteneintritt.

Um konkret zu entscheiden, ob sich eine Phase der Arbeitslosigkeit lohnt, kann ein Online-Rechner der Bundesagentur für Arbeit hilfreich sein, der eine grobe Schätzung des künftigen ALG-1-Anspruchs liefert.

Kombiniert mit der Kenntnis über Rentenabschläge oder Bonuszeiten lassen sich erste Faustformeln aufstellen. Idealerweise sollte man zudem eine persönliche Rentenberatung bei der Deutschen Rentenversicherung in Anspruch nehmen und den individuellen Fall detailliert prüfen lassen. Auch die Bundesagentur für Arbeit und Sozialverbände sind gute Anlaufstellen, um umfassende Informationen zu erhalten und Fehler bei der Antragstellung zu vermeiden.

Sinnvoll oder nicht?

Die Option, kurz vor dem Ruhestand arbeitslos zu werden und damit die eigene Rente zu optimieren, ist keineswegs ein „moralisch fragwürdiger Trick“. Es handelt sich vielmehr um eine legale Gestaltungsvariante innerhalb der bestehenden Gesetzgebung. Unter bestimmten Umständen kann Arbeitslosigkeit vor der Rente tatsächlich sinnvoll sein, um Abschläge zu vermeiden und gleichzeitig finanziell von einem relativ hohen ALG-1-Satz zu profitieren.

Allerdings sollte niemand vorschnell den eigenen Arbeitsplatz aufgeben, ohne die möglichen Risiken wie Sperrzeiten, niedriger ausfallende Rentenansprüche oder die Abhängigkeit von Behördenterminen zu beachten. Eine sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile ist entscheidend. Um das Beste aus der jeweiligen Lebenssituation herauszuholen, empfiehlt sich eine professionelle Beratung durch die Rentenversicherung und die Agentur für Arbeit.

Wer dieses Vorgehen sauber plant und auf die Details achtet, kann einen reibungsloseren Übergang in den Ruhestand gestalten – womöglich mit sechs Monaten oder sogar zwei Jahren Vorsprung auf die reguläre Altersgrenze.