5,5 Millionen Bürgergeld-Faulenzer?

Lesedauer 3 Minuten

Das Bürgergeld ist eines der meist diskutierten sozialen Themen in Deutschland. Rund 5,5 Millionen Menschen beziehen diese Grundsicherungsleistungen.

Doch allzu oft wird die öffentliche Debatte von Vorurteilen dominiert: Es geht um vermeintlich „faule“ Menschen, die „nicht arbeiten wollen“.

Aber wer sind die Menschen, die tatsächlich auf das Bürgergeld angewiesen sind? Welche Lebensrealitäten verbergen sich hinter diesen Zahlen? Ein genauer Blick zeigt: Das Bürgergeld sichert das Überleben vieler Menschen, die unter schwierigen Umständen leben.

Wer sind die Empfänger des Bürgergeldes?

Ein weit verbreitetes Missverständnis ist, dass Empfänger des Bürgergeldes nicht arbeiten wollen. Doch die Realität ist differenzierter:

  • Aufstocker: Über 800.000 Bürgergeldempfänger sind berufstätig. Ihre Einkommen aus regulärer Arbeit reichen jedoch nicht aus, um den Lebensunterhalt zu sichern. Diese Gruppe zeigt, dass auch Vollzeitbeschäftigung nicht immer vor Armut schützt.
  • Kinder und Jugendliche: Mit 1,5 Millionen machen Kinder und Jugendliche eine große Gruppe der Bürgergeldempfänger aus. Sie sind nicht arbeitsfähig und tragen keinerlei Verantwortung für ihre wirtschaftliche Lage.
  • Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen: Viele Betroffene können aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen keine oder nur eingeschränkte Arbeit aufnehmen.
  • Ältere Menschen: Für viele Rentner reicht die Altersrente nicht aus, um die Grundbedürfnisse zu decken. Sie sind auf Grundsicherung im Alter angewiesen.
  • Arbeitsuchende mit besonderen Herausforderungen: Menschen, die trotz intensiver Bemühungen keinen Job finden, sind oft auf Bürgergeld angewiesen. Gründe sind Diskriminierung, mangelnde Barrierefreiheit oder familiäre Verpflichtungen.

Bürgergeld bedeutet leben am Rande der Armut

Die Lebensrealitäten vieler Bürgergeldempfänger sind von schwierigen und oft unverschuldeten Umständen geprägt.

1. Steigende Lebenshaltungskosten

Ein Beispiel, das die Belastung durch steigende Stromkosten verdeutlicht, ist ein Vater, der vom Bürgergeld lebt und um seine Erwerbsminderungsrente kämpft. Wegen unbezahlbarer Stromrechnungen wurde ihm der Strom mehrfach abgestellt. Nur durch die Hilfe des Jobcenters konnte er die Schulden begleichen, die er nun jedoch mühsam abstottern muss.

2. Belastung von Alleinerziehenden

Alleinerziehende, vor allem Frauen, stehen unter einer Mehrfachbelastung. Sie müssen Kinderbetreuung, Haushalt, Pflege von Angehörigen und oft noch Berufstätigkeit unter einen Hut bringen. Viele Ex-Partner leisten keinen Unterhalt, wodurch die finanzielle Last allein auf den Schultern der Mütter ruht.

3. Bildung und Teilhabe von Kindern

Kinder aus Familien, die Bürgergeld beziehen, sind besonders betroffen. Wenn schon Geld für grundlegende Dinge wie Lebensmittel oder Kleidung fehlt, sind Ausgaben für Schulsachen, Hobbys oder Freizeitaktivitäten oft undenkbar. Dies führt zu einer sozialen Ausgrenzung der Kinder und mindert ihre Zukunftschancen.

Warum ist das Bürgergeld ein Menschenrecht?

Das Bürgergeld ist mehr als eine finanzielle Leistung – es ist ein Ausdruck des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass diese Grundsicherung ein Menschenrecht darstellt. Die Gewährleistung dieses Rechts ist nicht nur eine Aufgabe des Staates, sondern auch ein Zeichen gesellschaftlicher Solidarität.

Was muss sich ändern?

Die Debatte um das Bürgergeld sollte sich stärker an den tatsächlichen Lebensrealitäten orientieren. Es geht nicht um Barmherzigkeit, sondern um  die Wahrung grundlegender Menschenrechte.

  1. Abbau von Vorurteilen: Medien und Politik sollten differenzierter berichten und die Vielfalt der Betroffenen sichtbar machen.
  2. Nachhaltige Reformen: Löhne müssen so gestaltet sein, dass Arbeit auch ohne zusätzliche Unterstützung ein Leben ohne Armut ermöglicht.
  3. Stärkung sozialer Strukturen: Der Ausbau von Kinderbetreuung, barrierefreien Arbeitsplätzen und Unterstützung für Alleinerziehende ist entscheidend, um langfristig Abhängigkeit von Bürgergeld zu reduzieren.

Beispiel aus der Praxis: Der alleinerziehende Vater

Herr M., ein 43-jähriger alleinerziehender Vater aus Nordrhein-Westfalen, ist auf Bürgergeld angewiesen, um den Alltag für sich und seine 12-jährige Tochter zu bewältigen. Nach einem schweren Arbeitsunfall, der zu einer dauerhaften gesundheitlichen Einschränkung führte, kann Herr M. nur noch eingeschränkt arbeiten. Sein Antrag auf Erwerbsminderungsrente wird seit zwei Jahren geprüft, und währenddessen bleibt ihm nichts anderes übrig, als vom Bürgergeld zu leben.

Eine Alltagssituation im Bürgergeld-System

Vor einigen Monaten stiegen die Strompreise erheblich. Herr M., der ohnehin knapp kalkulieren muss, konnte die Rechnungen nicht mehr begleichen. Innerhalb weniger Wochen wurde ihm der Strom abgestellt.

Ohne Licht, Kühlschrank und Warmwasser waren er und seine Tochter auf Notlösungen angewiesen. Schließlich griff das Jobcenter ein und übernahm die Stromschulden. Doch diese Unterstützung war kein Geschenk: Herr M. muss den Betrag nun in kleinen Raten aus seinem ohnehin knappen Bürgergeld zurückzahlen.

Zusätzliche Belastungen

Kurz darauf ging das Fahrrad seiner Tochter kaputt – ihr einziges Verkehrsmittel, um zur Schule zu gelangen. Neue Reifen waren jedoch unerschwinglich. Die Alternative: Ein langwieriger Antrag beim Jobcenter für eine Sonderzahlung. Während dieser Zeit musste die Tochter zu Fuß zur Schule gehen, was zu Verspätungen und Stress führte.

Belastungen und gesellschaftliche Hürden

Die Situation wirkt sich nicht nur finanziell, sondern auch psychisch belastend aus. Herr M. fühlt sich oft stigmatisiert, wenn er versucht, für seine Tochter das Nötigste zu ermöglichen.

„Man wird behandelt, als würde man immer nur etwas wollen, obwohl ich mir nichts sehnlicher wünsche, als wieder unabhängig zu sein“, sagt er. Gleichzeitig leidet seine Tochter unter den sozialen Einschränkungen. Hobbys, Schulausflüge oder neue Kleidung – viele Dinge, die für ihre Mitschüler selbstverständlich sind, bleiben ihr verwehrt.

Bürgergeld als Garant für Würde

Das Bürgergeld ist kein Luxus, sondern eine Absicherung für Millionen Menschen in Deutschland am Rande der Armut. Die Diskussion darüber sollte sich von Klischees lösen und den Fokus auf die Menschen richten, die dahinterstehen. Als Gesellschaft tragen wir die Verantwortung, niemanden zurückzulassen – denn ein menschenwürdiges Leben ist kein Privileg, sondern ein Recht.