Rems-Murr-Kreis weiterhin in der Kritik
Offener Brief der Linkspartei zur Debatte im Sozialausschuss über Hartz IV im Rems-Murr-Kreis
Sehr geehrter Herr Landrat Fuchs,
das Diakonische Werk Württemberg hat im Januar des Jahres eine Langzeituntersuchung zur Umsetzung der Hartz -IV- Reform mit ca. 2.400 Ratsuchenden in ihren Beratungsstellen von 14 Stadt- und Landkreisen veröffentlicht. Hierbei wies der Rems-Murr-Kreis im Kreisvergleich besonders schlechte Werte bei fehlender Existenzsicherung und der Sicherung der Wohnung aus.
Auf die Anfrage der SPD-Kreistagsfraktion haben Sie eine mangelhafte Praxis der Betreuung von Hartz- IV- Empfängern im Landkreis in Abrede gestellt und eine rechtskonforme Praxis herausgestellt. Aus unserer Beratungsarbeit mit Betroffenen können wir dies leider nicht bestätigen. Es kommt zu zahlreichen Rechtsverweigerungen, unzumutbaren Bearbeitungszeiten mit teilweise massiver Existenzbedrohung und völlig unzulänglicher Beratung. Die Praxis Ihrer Behörde, an der Sie Mitverantwortung tragen, muss im Interesse schuldlos verarmter Menschen dringend nachgebessert werden. Diesem Anliegen dürfen Sie sich einfach nicht verschließen.
Wir möchten Ihnen deshalb die zentralen Probleme aus unserer Beratungsarbeit darlegen und hoffen auf Ihr offenes Ohr:
1. Das größte Problem besteht in der unzureichenden Sicherung der Wohnungen. Mit den realitätsfremden Mietobergrenzen werden Betroffene in Wohnungen gezwungen, die es am Wohnungsmarkt kaum gibt. Sie erlauben Mieten, die seit 2002 unverändert festgelegt wurden und sich an den Mietspiegelwerten der Baujahrsklassen 1969 – 1976 orientieren. Wir glauben nicht, dass Ihr Gehalt, mit dem Sie die Preise von 2007 begleichen müssen, seit 2002 unverändert blieb. Deshalb sollte dies auch Arbeitslosen nicht zugemutet werden.
Weiterhin sollten Sie prüfen, ob es diese Preise im Wohnungsangebot überhaupt gibt, dies ist die Vorgabe des Bundessozialgerichts. Selbst Altbauten werden bei Neuvermietung nicht im untersten Preisniveau des Mietspiegels angeboten, weil höhere Preise erzielt werden können und die meisten älteren Wohnungen durch Modernisierung in jüngere Baujahrsklassen hochsteigen. Es ist auch unverantwortlich, alle Arbeitslose in Wohnungen ab 1977 und jünger zum Umzug zu zwingen.
Die Betroffenen finden also keine Wohnung zu Ihren Vorgaben, bekommen gleichzeitig die Miete vom Amt gekürzt und müssen sich mit Ihren Kindern die fehlende Miete aus dem unzureichenden Existenzminimum vom Mund abhungern.
Es spricht für sich, dass Sie die SPD-Frage nach der Anzahl der gekürzten Mieten und die Folgen für die betroffenen Menschen nicht beantwortet haben. Trotz den selben Softwareproblemen, auf die Sie verweisen, haben viele andere Kreise diese Zahlen erhoben.
2. Die vorgeschriebene Frist zur Kostensenkung (was i.d.R. den Auszug bedeutet) wird in uns vorliegenden Fällen nicht eingehalten. So teilte die Arge z.B. in einem konkreten Fall mit, dass die tatsächliche Miete nur 6 Monate bezahlt werde, kürzte diese aber bereits nach 58 Tagen.
3. Für Stromzahlungen bleiben Alleinstehenden nach Abzug der Warmwasserenergie gerade mal 15 Euro monatlich. Es kommt fast zwangsläufig zu Rückständen oder hohen Nachzahlungen. Hier gibt es keine weitere Hilfe und selbst Darlehen werden in zahlreichen der uns vorliegenden Fälle abgelehnt.
Wird im Einzelfall mal ein Darlehen gewährt, werden zur Rückzahlung generell die maximal zulässigen 10% aus dem Regelsatz abgezogen und dies nicht nur bei den Antragstellenden, sondern auch ihren Kindern. Zudem verweisen die SachbearbeiterInnen auf eine Vorgabe der Verwaltung, stets den Höchstsatz abziehen zu müssen. Das gesetzlich vorgeschriebene Ermessen wird also rechtswidrig außer Kraft gesetzt.
4. Warmwasser darf laut Gesetz nicht pauschaliert werden. Eine Pauschalierung ist deshalb rechtswidrig. Im übrigen ist der Differenzbetrag von Warm- und Kaltwasser im Regelsatz enthalten. Es wird aber in der Regel ein Pauschalbetrag für Warmwasser bei den Nebenkostenabrechnungen abgezogen. Was die Nebenkostenabrechnungen betrifft, so erhält man grundsätzlich keinen detaillierten Bescheid, um überhaupt die Nebenkostenberechnungen der Argen nachvollziehen zu können.
5. Eingereichte Rechnungen gehen oft verloren, offiziell wird häufig mitgeteilt, es sei nichts eingegangen. Die Bearbeitungszeiten liegen dann häufig bei mehreren Monaten, was z.B. bei Nebenkostennachzahlungen zu erheblichen Problemen mit dem Vermieter bis hin zur Kündigungsdrohung führt.
Dies ist nur eine kleine Auswahl der täglich auflaufenden Probleme, mit denen Hilfebedürftige in ihrer Existenz bedroht und gedemütigt werden. Die Feststellung der Diakonie von abnorm hohen Problemen fehlender Existenzsicherung und der Wohnkosten können wir voll bestätigen. Auch in die Massenarbeitslosigkeit geratene Menschen gehören zu Ihren Bürgern und sind auf Ihre Fürsorge in besonderer Weise angewiesen. Folgende Maßnahmen müssten als erster Notbehelf sehr rasch umgesetzt werden:
– Anhebung der Mietobergrenzen auf marktgerechtes Niveau. Das sind insbesondere baujahrsgerechte Mietspiegelwerte.
– Einrichtung einer Ombudsstelle, an die sich die Betroffenen wenden können und die bei den Argen rasch intervenieren kann.
– Aushandlung eines Sozialrabatts für den Strombezug und öffentliche Verkehrsmittel.
Weiterhin muss auch die Beratung der Betroffenen sowie die Kompetenz der Mitarbeitenden durch geeignete Qualifizierungsmaßnahmen wesentlich verbessert werden. Die beste Qualifizierung für die Leitungskräfte – so sagen Betroffene – wäre Selbsterfahrung auf Hartz-IV-Niveau für mindestens drei Monate. (26.04.07, Linkspartei Rems-Murr-Kreis)
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