Digitale Jobcenter, eAkten und die neue Jobcenter-App verändern die Kontrolle über Bürgergeld-Haushalte. Spätestens 2026 sind Kontoauszüge, Meldedaten und automatische Datenabgleiche so eng verknüpft, dass Mitbewohner schnell als „heimliche Unterhaltszahler“ gelten und Leistungen massiv gekürzt werden können.
Wer in einer WG, einem Familienhaushalt oder als erwachsenes Kind bei den Eltern lebt, sollte wissen, wann das Jobcenter eine Haushaltsgemeinschaft unterstellt und wie man sich dagegen wehren kann.
Inhaltsverzeichnis
Bürgergeld 2026: Bedarfsgemeinschaft, Haushaltsgemeinschaft oder WG?
Für die Berechnung von Bürgergeld unterscheidet das Gesetz zwischen Bedarfsgemeinschaft, Haushaltsgemeinschaft und Wohngemeinschaft. Diese Kategorien entscheiden, ob Einkommen von Mitbewohnern angerechnet werden darf.
Eine Bedarfsgemeinschaft liegt in der Regel bei Partnern und ihren unverheirateten Kindern unter 25 im gemeinsamen Haushalt vor. Einkommen und Vermögen aller Mitglieder werden zusammen betrachtet; verdient eine Person gut, kann der Anspruch der anderen vollständig entfallen.
Die Haushaltsgemeinschaft nach § 9 Absatz 5 SGB II erfasst Verwandte oder Verschwägerte, die dauerhaft im selben Haushalt leben und typischerweise gemeinsam wirtschaften. Dann wird vermutet, dass die Angehörigen den Bürgergeld-Beziehenden unterstützen, soweit ihr eigenes Einkommen das zulässt.
Diese Unterhaltsvermutung ist der Hebel, mit dem Jobcenter Einkommen von Angehörigen einbeziehen – auch ohne zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch.
Nicht jeder, der mit anderen zusammenwohnt, lebt in einer Haushaltsgemeinschaft. Typische WGs von Studierenden oder Berufstätigen, die sich nur Miete und Nebenkosten teilen, gelten als Wohngemeinschaft. Entscheidend ist, ob tatsächlich „aus einem Topf“ gewirtschaftet wird oder ob jede Person für sich wirtschaftet.
Haushaltsgemeinschaft nach § 9 SGB II: Unterhaltsvermutung im Detail
§ 9 Absatz 5 SGB II enthält eine Vermutung: Leben Verwandte oder Verschwägerte mit einer hilfebedürftigen Person in einem Haushalt, wird angenommen, dass sie im Rahmen des Möglichen finanziell unterstützen. In der Praxis wird eine einfache Formel genutzt.
Zunächst wird der Bedarf der Angehörigen berechnet, also Regelbedarf, angemessener Anteil an Miete und Heizung sowie Mehrbedarfe. Nur das darüber hinausgehende bereinigte Einkommen gilt als Unterhaltspotenzial.
Dieses rechnerische Potenzial reicht häufig aus, um den Bürgergeld-Anspruch deutlich zu senken oder zu streichen. Die Unterhaltsvermutung ist aber widerlegbar. Betroffene können darlegen, dass getrennt gewirtschaftet wird und Angehörige keine laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt erbringen.
Digitale Kontrolle im Jobcenter: eAkte, App und Datenabgleich
Die Digitalisierung der Jobcenter schreitet voran. Die eAkte ersetzt die Papierakte, die Jobcenter-App bündelt Kommunikation, Dokumenten-Upload und Statusabfragen. Gleichzeitig werden immer mehr Informationen zentral gespeichert: Kontoauszüge, Mietverträge, Schriftwechsel.
Was einmal in der eAkte gelandet ist, steht bei jeder neuen Entscheidung wieder zur Verfügung und kann später bei der Prüfung einer Haushaltsgemeinschaft erneut gegen Betroffene verwendet werden.
Melderegister, Datenabgleich und Bürgergeld-Überprüfung
Zusätzlich greifen Jobcenter auf automatisierte Datenabgleiche zurück. Dabei werden Daten mit anderen Stellen abgeglichen, Beschäftigungszeiten, Renten, Kapitalerträge und andere Einkünfte werden sichtbar. Über Melderegisterabfragen kann nachvollzogen werden, wer unter derselben Adresse gemeldet ist und seit wann.
Meldedaten, Kontoauszüge und Mietunterlagen reichen vielen Sachbearbeitenden aus, um eine vermeintliche Haushaltsgemeinschaft zu konstruieren und von „verdeckten Unterhaltsleistungen“ auszugehen – selbst wenn der Alltag wie in einer WG organisiert ist.
Kontoauszüge beim Bürgergeld: Rechte und Grenzen der Mitwirkung
Die Vorlage von Kontoauszügen ist Routine bei Anträgen und Weiterbewilligungen. Jobcenter dürfen Einsicht in die letzten Monate verlangen, um Einkommen, Vermögen und Zahlungsströme zu prüfen.
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Bescheid prüfenBetroffene sind aber nicht rechtlos. Nicht leistungsrelevante Informationen – etwa sensible Verwendungszwecke oder Namen Dritter – dürfen geschwärzt werden, solange Buchungsdatum, Betrag und Zahlungsart erkennbar bleiben. Das Jobcenter braucht nur das, was für die Leistungsberechnung erforderlich ist, nicht das komplette Konsumprofil.
Kritisch sind Forderungen nach Kontoauszügen von Angehörigen oder Mitbewohnern, die selbst keine Leistungen beantragen. Sie sind grundsätzlich nicht zur Mitwirkung verpflichtet. Wird Bürgergeld nur deshalb abgelehnt, weil Dritte ihre Konten nicht offenlegen wollen, lohnt sich ein Widerspruch und gegebenenfalls ein Eilantrag beim Sozialgericht.
Bürgergeld und WG: Wenn Mitbewohner arm gerechnet werden
Häufig betroffen sind Haushalte, in denen Hilfebedürftige mit Angehörigen zusammenleben, die eigenes Einkommen haben. Ein erwachsenes Kind zieht nach Jobverlust zu den Eltern, eine Alleinerziehende zurück zu ihrer Mutter, ein pflegebedürftiger Angehöriger wird im Haushalt der Familie versorgt.
In diesen Fällen unterstellen Jobcenter gerne eine Haushaltsgemeinschaft, sobald Meldedaten und Kontoauszüge darauf hindeuten, dass gemeinsam gewirtschaftet werden könnte.
Auch reine WGs geraten in den Fokus. Gemeinsame Verträge für Internet oder Strom, eine gemeinsame Haftpflichtversicherung oder ein einziges Konto, von dem die Miete überwiesen wird, werden schnell als Beleg für eine Wirtschaftsgemeinschaft interpretiert.
Wenn Betroffene nicht belegen, wie Kosten tatsächlich aufgeteilt werden, verfestigt sich in der eAkte ein Bild, das später nur schwer zu korrigieren ist.
Strategien 2026: So schützen Sie sich vor falscher Haushaltsgemeinschaft
Wer Bürgergeld bezieht und mit anderen zusammenlebt, sollte auf klare Geldflüsse achten. Eigene Girokonten, individuelle Miet- oder Untermietzahlungen mit eindeutigem Verwendungszweck sowie getrennte Überweisungen für Strom, Internet und andere Fixkosten sprechen für eine Wohngemeinschaft.
Familienunterstützung sollte, wenn sie über gelegentliche Hilfe hinausgeht, schriftlich geregelt werden, damit keine fiktive Dauerleistung konstruiert werden kann.
Mietvertrag, Untermiete und WG-Vertrag sauber regeln
Ein schriftlicher Untermietvertrag ist ein wichtiges Argument gegenüber dem Jobcenter. Er sollte festhalten, welches Zimmer genutzt wird, wie hoch Miete und Nebenkostenanteil sind und wie gezahlt wird.
Wichtig ist, dass diese Vereinbarung gelebt wird und sich in den Kontoauszügen wiederfindet. In klassischen WGs helfen einfache Vereinbarungen zur Kostenaufteilung und dokumentierte getrennte Einkäufe oder Kühlschrankbereiche.
Widerspruch, Überprüfungsantrag und Datenschutz nutzen
Wird Einkommen von Mitbewohnern angerechnet, obwohl keine Unterstützung erfolgt, sollten Betroffene fristgerecht Widerspruch einlegen. Eine genaue Schilderung der Haushaltsführung, ergänzt um Kontoauszüge und Verträge, ist dabei hilfreich.
Nach Ablauf der Widerspruchsfrist kommt ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X in Betracht, um falsche Anrechnungen rückwirkend zu korrigieren.
Wer den Eindruck hat, dass Jobcenter mehr Daten sammeln oder länger speichern, als nötig ist, kann sich an den Landesdatenschutzbeauftragten wenden. Die Mischung aus Jobcenter-App, eAkte und Datenabgleich macht Bürgergeld-Haushalte transparenter.
Wer seine WG-Strukturen, Haushaltsführung und Geldflüsse nicht klar dokumentiert, kann schnell zur angeblichen Haushaltsgemeinschaft werden – und Mitbewohner unfreiwillig arm gerechnet bekommen.




