Hartz IV: Nachteile für Aufstocker & Erwerbslose

Lesedauer 6 Minuten

KOS: Geplante Änderungen bei Hartz IV: Welche Nachteile drohen Erwerbslosen und Aufstockern?

01.09.2014

Zurzeit ist ein vorläufiger Abschlussbericht einer Arbeitsgruppe bekannt, in der das Bundesarbeitsministerium, die Bundesagentur für Arbeit, die Bundesländer und die kommunalen Spitzenverbände vertreten waren (Bund-Länder-AG). Der Bericht enthält 36 Änderungsvorschläge zu Hartz IV, über die in der Arbeitsgruppe ein Konsens bestand. Das Bundesarbeitsministerium will die Vorschläge im Sommer prüfen und nach der Sommerpause einen Gesetzentwurf vorlegen.

Ja, es stimmt und soll nicht bestritten werden: Einige der Vorschläge stellen tatsächlich kleine Schritte in die richtige Richtung dar, und würden den Hartz-IV-Bezug auch im Interesse der Leistungsberechtigten vereinfachen. Dazu gehört etwa der Vorschlag, Leistungen statt für ein halbes Jahr für ein ganzes Jahr zu bewilligen. Und bei den Sanktionen ist sogar ein beachtlicher Fortschritt geplant: Die verschärften Sonderregelungen für junge Erwachsene unter 25 Jahren sollen endlich gestrichen werden!

Andererseits werden aber auch zehn Änderungen vorgeschlagen, die für Leistungsberechtigte – teils erhebliche – Verschlechterungen bedeuten.

Die meisten dieser Vorschläge betreffen komplexe Sachverhalte, viele betreffen Verfahrensfragen. Einige Vorschläge sehen zunächst unspektakulär aus und scheinen eher technischer Natur. Doch bringen sie teilweise beachtliche Nachteile für die Leistungsberechtigten.

Nachfolgend werden die Vorschläge der Bund-Länder-AG dargestellt, die gegenüber dem geltenden Recht Verschlechterungen bringen.

Weitere zeitliche Begrenzung von Überprüfungsanträgen, mit denen vorenthaltende Leistungen für die Vergangenheit geltend gemacht werden können (Nr. 761, Anwendung des § 330 SGB III / Verweis in § 40 Abs. 2 Nr. 2SGB II)

Hat ein Jobcenter Leistungen rechtswidrig vorenthalten, dann soll der Zeitraum abermals verkürzt werden, für den es das Geld nachzahlen muss.

Schon heute sind Hartz-IV-Berechtigte schlechter gestellt. Bei anderen Sozialleistungen können zu Unrecht vorenthaltende Leistungen rückwirkend für vier Jahr geltend gemacht werden, bei Hartz IV nur für ein Jahr.

Zukünftig soll ein Anspruch auf Nachzahlung ausnahmslos immer erst für den Zeitraum bestehen, nachdem das Bundessozialgericht zugunsten der Leistungsberechtigten entschieden hat. Selbst eine offensichtlich rechtswidrige Praxis der Jobcenter lässt sich dann für Zeiten vor der höchstrichterlichen Rechtsprechung mit einem Überprüfungsantrag nicht mehr korrigieren.

Die geplante Änderung könnte einige Jobcenter nahezu ermuntern, rechtlich fragwürdige Praktiken bewusst so lange fortzuführen, bis das BSG sie stoppt. Denn die Nachzahlungspflicht wäre ja sehr begrenzt.

Ausweitung der sogenannten Aufrechnung, bei der ein Teil des Leistungsanspruchs vom Jobcenter einbehalten und mit Rückforderungen verrechnet wird
(Nr. 91, § 43 SGB II)

Die Fälle, in denen das Jobcenter einen Teil des Leistungsanspruchs einbehalten darf und mit eigenen Rückforderungen gegen den Leistungsberechtigten verrechnen darf, sollen ausgeweitet werden.

1 Die Nummerierungen entsprechen denen des (vorläufigen) Berichts über die Ergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vom 2. Juli 2014, Anlage 2, Liste der konsentierten Vorschläge. In unserer Übersicht hier haben wir die Reihenfolge geändert. Es stehend die geplanten Änderungen am Anfang, die besonders nachteilig sind.

Zukünftig soll auch verrechnet werden dürfen, wenn unterschiedliche Kostenträger (Bund und Kommunen) und unterschiedliche Kostenarten (Regelsätze für den Lebensunterhalt einerseits und Leistungen für Wohnkosten andererseits) betroffen sind.

In der Folge würde die Zahl der Fälle ansteigen, bei denen der Leistungsanspruch nicht vollständig ausgezahlt und somit das Existenzminimum unterschritten wird.

Ausweitung der Ersatzansprüche des Jobcenters gegen Leistungsberechtigte bei „sozialwidrigem Verhalten“ – Teil 1
(Nr. 66, § 34 SGB II)

Leistungsberechtigte sollen zukünftig doppelt und noch härter als heute bestraft werden. Wer heute seine Pflichten verletzt, bekommt bereits beim ersten Mal den Regelsatz um 30 Prozent gekürzt. Zukünftig soll eine zweite Kürzung um ebenfalls 30 Prozent folgen. Denn Leistungsberechtigte sollen verpflichtet werden, die erhaltenen Leistungen zurück zu erstatten. Dies soll Personen treffen, die sich vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht genug bemühen, ihren Leistungsbezug zu beenden oder zu verringern. Da die Rückzahlungspflicht sofort beginnt, behalten die Jobcenter 30 Prozent vom Regelsatz für die „Tilgung“ ein.

Derzeit gilt die Rückzahlungspflicht nur für Personen, die ihre Hilfebedürftigkeit schuldhaft herbeigeführt haben, also bei einem Fehlverhalten aus der Vergangenheit, dass den Hartz-IV-Bezug ausgelöst hat.

Statt die Strafen zu verschärfen, ist das Gegenteil notwendig: Die Regelungen zu einer zumutbaren Arbeit müssen deutlich entschärft werden. Auch deshalb, um die Ausweitung des Niedriglohnsektors zu stoppen. Denn Hartz IV ist heute das Schmier- und Druckmittel, das Menschen in sehr niedrig entlohnte Arbeit zwingt. Bis zu einer Neuregelung müssen die Sanktionen zumindest ausgesetzt werden (Sanktionsmoratorium).

Leistungen nur als Darlehen statt als Zuschuss nach einem einmaligen, mittlerweile verbrauchten Geldzufluss (Nr. 3, § 11 Abs. 3 SGB II)

Einige Leistungen, auf die heute ein Rechtsanspruch besteht, sollen nur noch als Darlehen gewährt werden, die vom Regelsatz abgestottert werden müssen. Dies betrifft Fälle, in denen Leistungsberechtigten einmalig Geld zufließt, beispielsweise eine Steuerrückerstattung.

Die Jobcenter rechnen die Einnahme verteilt auf sechs Monate an, das heißt, sie kürzen sechs Monate lang den Leistungsanspruch. Ist die Einnahme aber bereits vorher verbraucht, dann besteht heute wieder ein Anspruch auf ungekürzte Leistungen. Dies hatte das Bundessozialgericht entschieden. Diese für die Leistungsberechtigten günstige Rechtssprechung soll nun durch die geplante Gesetzesänderung ausgehebelt werden: Die vom Bundessozialgericht durchgesetzten Ansprüche sollen nur noch als Darlehen gewährt werden, das zurückgezahlt werden muss.

Die Angemessenheitsgrenze für die Wohnkosten soll sich auf die Gesamtsumme der Kosten aus Miete und Heizung (Bruttowarmmiete) beziehen können
(Nr. 37.5, § 22 Abs. 1 SGB II)

Zukünftig sollen die Kommunen die Obergrenzen für angemessene Wohnkosten bezogen auf die Gesamtsumme aus Miete und Heizung festlegen dürfen. Bisher waren die Miete und die Heizkosten separat zu prüfen. Mit der Änderung drohen Nachteile: So entfiele der heutige Rechtsanspruch auf eine einzelfallbezogene Prüfung. Danach müssen heute auch unangemessen hohe Heizkosten erstattet werden, etwa wenn diese auf einer schlechten Wärmedämmung beruhen.

Die Änderung wäre auch ein Schritt dahin, für die Wohnkosten nur noch eine Pauschale zu zahlen. Einheitliche Pauschalen für alle passen aber nicht für die Wohnkosten, da die Preise für einfache Wohnungen selbst in einer Kommune sehr unterschiedlich sein können.

Bei einer Pauschale besteht immer die Gefahr, dass das Existenzminimum nicht gedeckt ist, eben dann, wenn die Pauschale die tatsächlich notwendigen Kosten nicht abdeckt.

Ausweitung der Ersatzansprüche des Jobcenters gegen Leistungsberechtigte bei „sozialwidrigem Verhalten“ – Teil 2
(Nr. 65, § 34 SGB II)

Die Jobcenter sollen öfter und länger Geld von Leistungsberechtigten zurückfordern können, denen „sozialwidriges Verhalten“ unterstellt wird, die also angeblich ihren Hartz-IV-Bezug schuldhaft selbst herbeigeführt haben. Konkret sollen zukünftig neben gewährten Geld- auch Sachleistungen erstattet werden und die Frist für die Rückforderung soll verlängert werden.

Die Pflicht zur Erstattung von Leistungen beginnt bereits während des Leistungsbezugs. Dazu werden 30 Prozent vom Regelsatz direkt einbehalten und gar nicht ausgezahlt, das heißt, das Existenzminimum wird permanent unterschritten.

Und: Wer kann überhaupt darüber richten, ob eine Notlage selbstverschuldet ist?

Ersatz des pauschalen Freibetrags in Höhe von 200 € für Einnahmen aus einem Ehrenamt durch einen Freibetrag in Höhe der tatsächlichen Einkünfte aus dem Ehrenamt (Nr. 12, § 11b Abs. 2 Satz 3 SGB II)

Derzeit gibt es für Einnahmen aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit einen besonderen Freibetrag von pauschal 200 €. Dieser soll nun auf die tatsächliche Höhe der Einnahme aus dem Ehrenamt – die ja auch unter 200 € liegen kann – begrenzt werden. Je niedriger die Freibeträge, desto mehr Einkommen wird angerechnet und desto weniger Hartz-IV-Leistungen werden ausgezahlt.

Der bisherige Freibetrag von pauschal 200 € brachte Vorteile für Personen, die ehrenamtlich tätig und gleichzeitig erwerbstätig waren. Sie konnten laut Gesetz statt der üblichen 100-€-Grundpauschale 200 € von ihren Einkünften anrechnungsfrei behalten. Für diese Personen ist die geplante Änderung eine Leistungskürzung.

Lückenlose Deckelung der Wohnkosten bei einem nicht erforderlichen Umzug auf die bisherigen Kosten
(Nr. 35a, § 22 Absatz 1 Satz 2 SGB II)

Will ein Hartz-IV-Leistungsberechtigter umziehen, dann bekommt er für die neue Wohnung vom Jobcenter nur die bisherigen Kosten erstattet. Dies gilt auch dann, wenn die neue Wohnung zwar etwas teuerer ist, aber immer noch unter den Mietobergrenzen liegt, die eine Kommune als angemessene Kosten festgelegt hat. Diese Deckelung macht Umzüge in Orten nahezu unmöglich, in denen bezahlbare Wohnungen äußerst knapp sind. Die Deckelung gilt immer dann, wenn ein Leistungsberechtigter umziehen will, der Umzug aus Sicht des Jobcenters aber nicht zwingend erforderlich ist.

Zukünftig soll diese Deckelung lückenlos gelten, bisher waren nicht alle denkbaren Fälle erfasst.

Zum Erwerb von Genossenschaftsanteilen sollen Darlehen mit Soforttilgung vergeben werden
(Nr. 43, § 22 Abs. 6 SGB II)

Zukünftig soll im Gesetz ausdrücklich geregelt werden, dass die Jobcenter auch Genossenschaftsanteile finanzieren können, wenn dadurch eine neue Wohnung angemietet werden kann. Diese Klarstellung ist gut. Aber: Es soll nur ein Darlehen geben, das sofort mit 10-prozentigen Raten aus dem Regelsatz abgestottert werden muss. Das ist nicht akzeptabel. Denn dann stehen ja die ohnehin viel zu niedrigen Regelsätze gar nicht mehr vollständig für den Lebensunterhalt zur Verfügung.
Auch Darlehen für Mietkautionen müssen aus der derzeitigen Pflicht zur Soforttilgung herausgenommen werden.

Zahlung eines Vorschusses, der im Folgemonat den Leitungsanspruch kürzt
(Nr. 83, neu einzuführende Regelung)

Leistungsberechtigte sollen einen Vorschuss erhalten können: Bis zu 30 Prozent der Regelleistung, auf die im Folgemonat ein Anspruch besteht, soll vorab als Vorschuss gezahlt werden können. Im Folgemonat soll der Vorschuss vollständig verrechnet werden, also ein entsprechend gekürzter Regelsatz ausgezahlt werden.

Der Vorschlag ist zwiespältig, weil im Folgemonat nur ein um den Vorschuss gekürzter Geldbetrag für den Lebensunterhalt zur Verfügung steht.

Heute werden in ähnlichen Fällen Darlehen gewährt, die in Raten über mehrere Monate aus dem Regelsatz abgestottert werden müssen.

Leistungsberechtigte sollten zumindest wählen können, ob sie einen Vorschuss oder ein Darlehn beantragen wollen.

Die Ursache für eine völlige Mittellosigkeit liegt in den viel zu niedrig bemessenen Regelsätzen. Diese müssen deutlich erhöht werden. Ein ausführlicheres Papier (9 Seiten) der KOS, das stärker auf die Einzelheiten der geplanten Änderungen eingeht und die Hintergründe erläutert, steht auf www.erwerbslos.de (Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Erwerbslosengruppen)

Bild: Dr. Klaus-Uwe Gerhardt / pixelio.de

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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