100.000 Klagen wegen Hartz IV

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Über 100.000 Klagen wegen Hartz IV und die Klagewelle nimmt kein Ende
Derzeit sind etwa 100.000 Klagen an deutschen Sozialgerichten zum Komplex Hartz IV anhängig. Im Jahr 2005 waren es bundeswert noch ca. 52.000 Verfahren. Die Klagewelle hat inzwischen auch die letzte Instanz, das Bundessozialgericht erfasst. Hier ergingen die ersten Urteile im November letzten Jahres. Im März folgte die zweite Entscheidungsrunde. Natürlich ist es ganz normal, dass angesichts der erweiterten Kompetenzen der Soziagerichtsbarkeit die Personaldecke auch bei der Richterschaft erweitert wird. Auch das BSG wurde Ende März um zwei Richter aufgestockt. Ob die reichen werden, wird sich erweisen müssen und das hängt sicherlich auch von den Hürden ab, die künftig für Erwerbslose vor den Sozialgerichten aufgebaut werden.1

Dessen ungeachtet ist die Zunahme an Klagen im Rahmen der Grundsicherung eklatant. Allein beim bundesweit größten Sozialgericht in Berlin gingen 2006 12.000 Klagen und Eilverfahren gegen Hartz IV ein. Die „Hartz IV-Quote” lag hier bei fast 50 Prozent aller Sozialgerichtsklagen.2 In Niedersachsen nahmen Sozialgerichtsklagen insgesamt im ersten Jahr nach der Reform um gut ein Drittel zu. In NRW sind 2006 die Klagen allein zu Hartz IV um 77 Prozent auf mehr als 16.300 Klagen gestiegen. Hier wird in aktuellen Meldungen von einer Erfolgsquote für Betroffene von 35 Prozent berichtet.3 Das beziffert die gewonnenen Klagen, sagt aber nur wenig darüber aus, wie viele Verfahren eingestellt wurden und wie hoch der Anteil der Vergleiche vor Gereicht ist, denn auch hier liegen meist fehlerhafte Behördenentscheidungen zugrunde.

Das Ende der Fahnenstange ist wohl noch lagen nicht erreicht: Die Bundesagentur für Arbeit meldete diese Woche, dass im ersten Quartal 2007 die Zahl der Widersprüche um 12,4 Prozent auf 187.700 angewachsen ist. Die Zahl der Klagen stieg in diesem Zeitraum sogar um 42,6 Prozent auf rund 22.000 bundesweit an. Ein ganz interessantes Detail dieser Meldung ist, dass 40 Prozent der eingereichten Widersprüche bereits von der Behörde selbst stattgegeben wird, weil die dort fehlerhaft gearbeitet wurde.4

Die strittigen Punkte bei den Klagen zu Hartz IV ziehen sich quer durchs Leistungsrecht und deuten darauf hin, dass die Alg II-Behörden in der Breite das Recht falsch anwenden. Es sei erst einmal dahingestellt, ob dies aus Unwissenheit, aufgrund unzureichender Qualifikation geschieht oder per Order von oben. Wir haben uns jedenfalls angewöhnt in solchen Fällen stets von „Missbrauch” zu sprechen. Der wird dann auf der „anderen Seite des Schreibtisches” begannen und zwar in den meisten Fällen wohl vorsätzlich. Diese Art des organisierten Missbrauchs ist viel weiter verbreitet als bei den Betroffnen selbst. (Obwohl führende PolitikerInnen da ja bekanntlich anderer Auffassung sind.) Leider ist es der Öffentlichkeit immer noch sehr schwer begreiflich zu machen, dass von deutschen Behörden das Recht systematisch gebrochen wird, allein um die eigenen Sparauflagen zu erfüllen.

Die Klagen richten sich gegen die Anrechnung von Einkommen an das Arbeitslosengeld II, gegen die Einstufung von Vermögenswerten, die Verrechnung von Partnereinkommen, wenn eine Einstandsgemeinschaft angenommen wird, aber auch gegen Sanktionen.5 Im Bereich der Kosten für Unterkunft und Heizung geht es häufig um die angemessene Miete oder um Angemessenheit des Eigenheims sowie um die Höhe der zu erstattenden Heizkosten. Nach unserer Einschätzung wird es noch Jahre dauern, bis sich eine geltende Rechtsprechung etabliert hat und die vielen offenen und anhängigen Fragen durch bundesgerichtliche Urteile geklärt sind.

Es wird demnach noch einige Zeit ins Land gehen, bis an den Sozialgerichten eine gewisse Normalität einkehren wird, wenn der Gesetzgeber dem bunten „Treiben” in den Gerichtssälen nicht ein Ende setzt. (Frank Jäger; Tacheles e.V.- veröffentlicht Mai 2007)

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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