Witwenrente: Schwere Entscheidung des Partners löscht alle Ansprüche

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Die Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. September 2011 (Az. L 18 KN 228/07) wirft ein grelles Schlaglicht darauf, wie folgenschwer eine scheinbar vernünftige Wahl zu Lebzeiten sein kann.

Ein marokkanischer Bergmann ließ sich 1978 seine in Deutschland gezahlten Rentenbeiträge erstatten. Vierzehn Jahre nach seinem Tod stand seine Witwe ohne jede Witwenrente da. Das Gericht bestätigte die Ablehnung der Witwenrente – weil mit der Beitragserstattung sämtliche Versicherungszeiten erloschen waren.

Hintergrund des Falls

Der Ehemann arbeitete von 1965 bis 1975 im Steinkohlenbergbau des Ruhrgebiets. Nach einem Arbeitsunfall kehrte er in seine Heimat zurück und beantragte – auf der Grundlage des damals noch geltenden Reichsknappschaftsgesetzes – die Rückzahlung seiner Arbeitnehmeranteile zur Rentenversicherung.

Die Überweisung erfolgte 1978. Als er 1993 verstarb, stellte seine Frau in Marokko erstmals einen Antrag auf große Witwenrente. Die Deutsche Rentenversicherung lehnte ab und verwies auf das „geleerte“ Versicherungskonto: Die Erstattung habe alle rentenrechtlichen Zeiten gelöscht.

Rechtlicher Rahmen: Wartezeit, § 46 SGB VI und die Wirkung der Beitragserstattung

Eine Hinterbliebenenrente setzt voraus, dass der oder die Verstorbene die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt (§ 50 SGB VI). Zudem muss zum Todeszeitpunkt ein Versicherungsverhältnis bestanden haben (§ 46 SGB VI).

Mit einer Beitragserstattung endet dieses Verhältnis: Versicherte verlieren ihre Status-eigenschaft ebenso wie alle darauf aufbauenden Ansprüche. Die Deutsche Rentenversicherung bezeichnet das ausdrücklich als „Auflösung des bisherigen Versicherungsverhältnisses“.

Vom Ablehnungsbescheid zur Berufung

Gegen den ersten Ablehnungsbescheid legte die Witwe mehrfach Widerspruch ein – zunächst unmittelbar, später über die marokkanische Verbindungsstelle.

Sie machte geltend, nie einen Nachweis über die Rückzahlung gesehen zu haben, und berief sich auf ihr Vertrauen in eine „internationale Witwenrente“. Das Sozialgericht Duisburg wies die Klage ab.

Auch in zweiter Instanz blieb sie erfolglos: Das LSG erkannte keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Kontenführung; die Rückerstattung sei ordnungsgemäß verbucht und den Ehegatten seinerzeit schriftlich bestätigt worden.

Und so begründete das Gericht die Entscheidung

Die Richter betonten, dass nach der Rechtslage des Jahres 1978 schon der Erstattungsantrag die zeitgleich bestehende Rentenanwartschaft beseitigte. Weil der Bergmann danach nicht noch einmal Pflicht- oder freiwillige Beiträge entrichtete, fehlte jede anrechenbare Versicherungszeit.

Damit war die Wartezeit definitiv nicht erfüllt, so dass ein Anspruch nach § 46 SGB VI ausscheiden musste. Ein möglicher Zusammenhang mit dem damaligen Arbeitsunfall half der Klägerin nicht: Ohne Beitragszeiten greift weder eine vorzeitige Wartezeiterfüllung noch eine Rentenart für Arbeitsunfall-Opfer.

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Internationales Sozialrecht: Warum bilaterale Abkommen nicht halfen

Deutschland und Marokko haben 1986 ein Sozialversicherungsabkommen geschlossen. Es schützt aber nur solche Zeiten, die im jeweiligen Versicherungssystem bestehen. Weil das Versicherungskonto des Verstorbenen spätestens seit 1978 leer war, gab es nichts, was das Abkommen hätte zusammenfassen oder exportieren können. Damit blieb der Weg zur sogenannten „internationalen Witwenrente“ rechtlich versperrt.

Beitragserstattung als Bumerang

Für Wanderarbeitnehmer klingt die Einmalzahlung oft verlockend: Liquidität sofort statt erst im Alter. Doch der Preis ist hoch. Eine Erstattung vernichtet das eigene Rentenanrecht, alle Ansprüche auf Rehabilitation und Erwerbsminderungsrenten, sämtliche Hinterbliebenenleistungen.

Anders als bei einer Kapitalauszahlung aus einer privaten Versicherung gibt es im gesetzlichen System keine Rückkehrmöglichkeit zu den alten Konditionen. Wer später wieder Pflichtbeiträge zahlt, beginnt bei null.

Die Geschichte zeigt, wie wichtig eine qualifizierte Beratung vor einem solchen Schritt ist – insbesondere für ausländische Beschäftigte, die das deutsche Rechtssystem nur am Rande kennen.

Und in Zukunft?

Zwischen Reformversprechen und Beratungslücken
Lange forderten Sozialverbände, die „Rentenvernichtung auf Antrag“ zu entschärfen. Auch der 2024 verabschiedete Rentenpaket-Entwurf ließ die Grundsystematik allerdings unangetastet.

Zwar sieht § 207 SGB VI inzwischen eine Rückzahlungsmöglichkeit der Arbeitgeberanteile vor, wenn Versicherte nachweisen, dass kein Anspruch auf eine Leistung mehr entstehen kann. Die Löschung der Versicherungszeiten bleibt jedoch Kern der Erstattung.

Die Deutsche Rentenversicherung hat ihre Beratungshinweise erweitert, doch viele Beschäftigte im Ausland erreichen diese Informationen nicht. Während Deutschland über digitale Rentenkonten nachdenkt, illustriert der Fall, wie stark Transparenz darüber entscheidet, ob Menschen ihre sozialen Rechte wahren können.

Was können Betroffene tun

Ehe- oder Lebenspartner*innen von Ausländerinnen und Ausländern sollten vor einer Beitragserstattung prüfen, ob künftig Hinterbliebenenleistungen benötigt werden. Dies gilt besonders, wenn Aufenthalte länderübergreifend geplant sind.

Wer bereits erstattet hat, kann fehlende Zeiten nur durch neue Pflicht- oder freiwillige Beiträge auffüllen – eine Option, die heute auch in Marokko lebende Personen nutzen können, sofern sie die Voraussetzungen zur freiwilligen Versicherung erfüllen. Konkrete Auskünfte erteilen die Beratungsstellen der Deutschen Rentenversicherung sowie die Verbindungsstellen im Ausland.

Fazit
Das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen macht unmissverständlich deutlich: Die Erstattung von Rentenbeiträgen ist keine harmlose Geldanlage, sondern die radikale Auflösung des Versicherungsverlaufs.

Mit ihr erlöschen nicht nur Ansprüche des Versicherten, sondern auch diejenigen seiner Angehörigen.

Wer die deutsche Rentenversicherung verlässt, sollte deshalb erst nach sorgfältiger Aufklärung und Abwägung seiner langfristigen Absicherung entscheiden. Für die Witwe im vorliegenden Fall kam diese Einsicht zu spät – für andere kann sie ein dringender Weckruf sein, rechtzeitig fachkundigen Rat einzuholen.