Wegweisendes Urteil durch Gericht für Merkzeichen aG

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Dieses Urteil ist eine positive Nachricht für viele Menschen, deren Mobilität erheblich eingeschränkt ist. Das Bundessozialgericht entschied, dass das Merkzeichen “außergewöhnliche Gehbehinderung” (aG) auch dann gilt, wenn sich ein Mensch (nur) in seiner vertrauten Umgebung frei bewegen kann.

Entscheidend sei in diesem Fall, dass der Betroffene in einem unbekannten Umfeld Unterstützung beim Gehen benötigt. (BSG B9 SB 8/21 R)

Definition des Merkzeichen aG

enschen, die aufgrund einer außergewöhnlichen Gehbehinderung erheblich beeinträchtigt in ihrer Mobilität sind, können das Merkzeichen „aG“ im Schwerbehindertenausweis erhalten. Dies gilt insbesondere, wenn sie sich dauerhaft nur mithilfe anderer Personen oder unter erheblichem Aufwand fortbewegen können, außer sie nutzen ein Fahrzeug. Außerdem muss ihr Grad der Behinderung (GdB) mindestens 80 betragen.

Was bedeutet erhebliche Beeinträchtigung?

Erhebliche Beeinträchtigung der Teilhabe bedeutet dabei, dass dieser Mensch sich wegen seiner Beeinträchtigung permanent nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung bewegen kann.

Das Merkzeichen aG berechtigt zu Nachteilsausgleichen, darunter dem Nutzen von Behindertenparkplätzen.

Nach zwei erfolglosen Anträgen: 14-Jähriger zieht vor Gericht

Im konkreten Fall ging es um einen 14-jährigen Jungen. Zu Hause und in der Schule, in vertrauter Umgebung, kann er sich frei bewegen. In unbekanntem Umfeld benötigt er wegen seiner psychomotorischen Störung jedoch Hilfe, entweder technisch durch einen Reha-Buggy oder einen Rollstuhl oder persönlich in Form einer Begleitung, auf deren Unterarm er sich stützt.

2014 und 2017 hatte das Landesversorgungsamt einen Antrag auf das Merkzeichen aG abgelehnt. Die Begründung lautete, die Voraussetzungen für einen Nachteilsausgleich seien nicht gegeben. Ein Widerspruch blieb erfolglos.

Die Bundesrechtsabteilung des Sozialverbandes VdK zog für den Betroffenen vor das Sozialgericht Ulm.

Musterstreitverfahren für Merkzeichen aG

Dem Sozialverband ging es dabei nicht nur um den konkreten Fall. Vielmehr sollte dieser als Musterverfahren dienen, um grundsätzlich klären zu lassen, ob außergewöhnliche Gehbehinderung nur dann gilt, wenn ein Mensch in sämtlichen Lebenslagen gehunfähig ist.

Geistige Behinderung macht fremde Hilfe nötig

Der Junge ist anerkannt schwerbehindert, mit einem Grad der Behinderung von 80. Seine Gehbehinderung hat ihre Ursache nicht in körperlich-orthopädischen Einschränkungen, sondern in einer mentalen Störung.

Der Betroffene ist aufgrund seiner geistigen Beeinträchtigung in unbekannter Umgebung derart verunsichert, dass er ohne Unterstützung auch wenige Meter nicht zurücklegen kann.

Dies ist durch ein medizinisches Gutachten belegt.

Landesversorgungsamt geht nicht auf Fakten ein

Das Landesversorgungsamt akzeptierte diese Fakten nicht. Es argumentierte, der Betroffene könne sich in der Schule ohne Unterstützung bewegen und sei deshalb nicht dauerhaft auf Hilfe Dritter oder einen Rollstuhl angewiesen.

Nach mehreren Instanzen nun Gerichtsentscheidung

Diese Blockadehaltung der Behörde führte schließlich dazu, dass der Fall durch die Instanzen bis zum Bundessozialgericht ging.

Dieses folgte im Revisionsverfahren der Position des Betroffenen und der des VdK, der den Jungen vertrat. Der 14-Jährige hat jetzt gerichtsfest einen Anspruch auf das Merkzeichen aG.

Scharfe Kritik vom Anwalt gegen die Behörde

Der Anwalt des Jungen kritisierte scharf das Trotzverhalten des Landesversorgungsamtes. So sei es nicht nachvollziehbar, dass sich ein Verfahren über Jahre und zwei Instanzen hinziehe, in dem es um den Anspruch eines Minderjährigen mit Schwerbehinderung gehe.

Wegweisendes Urteil für das Merkzeichen aG

Der VdK bezeichnet das Urteil als wegweisend. Damit sei höchstrichterlich geklärt, dass für die Zuerkennung des Merkzeichens aG der Betroffene nicht in sämtlichen Lebenslagen gehunfähig sein muss.

Wenn andere Versorgungsämter Menschen mit erheblicher Gehbehinderung erneut diese Steine in den Weg legen, können sich die Betroffenen darauf berufen, dass ihr Anspruch juristisch eindeutig geklärt ist.