LSG Essen sieht kein „unentschuldbares Verhalten”
Wer wegen häufigen unentschuldigten Fehlens seinen Ausbildungsplatz verliert, verliert dadurch nicht seinen kompletten Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen. Die Hürde hierfür liegt deutlich höher als für normale Sanktionen, wie das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen in einem am Donnerstag, 20. Dezember 2018, bekanntgegebenen Urteil entschied (Az.: L 7 AS 1331/17). Eine Leistungskürzung um 30 Prozent ist danach allerdings nicht ausgeschlossen.
Der damals 24-jährige Kläger hatte 2014 eine außerbetriebliche Berufsausbildung zum Fachlageristen begonnen. Nach einem halben Jahr fehlte er mehrfach unentschuldigt. Er erhielt zunächst eine Abmahnung und dann die Kündigung.
Das Jobcenter bewilligte ihm ein vorübergehend um 30 Prozent gekürztes Arbeitslosengeld II. Später verlangte es dann die komplette Rückzahlung dieser Leistungen. Denn mit den unentschuldigten Fehltagen habe er seine Kündigung und damit auch seine Hilfebedürftigkeit vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig selbst herbeigeführt.
Der Arbeitslose klagte nicht gegen die Kürzung, wohl aber gegen die Rückforderung. Während das Sozialgericht Gelsenkirchen ihn noch abwies, gab das LSG Essen der Klage nun statt.
Zur Begründung betonte das LSG, die Voraussetzungen für eine komplette Streichung der Hartz-IV-Leistungen wegen „sozialwidrigen Verhaltens” seien deutlich strenger als die für Sanktionen, also für die Kürzung um 30 Prozent. Schließlich diene das Arbeitslosengeld II der Wahrung des Existenzminimums. Eine komplette Streichung oder Rückforderung sei daher nur bei erheblichen Pflichtverstößen zulässig.
Hier habe der Kläger nach eigenen glaubhaften Angaben festgestellt, dass ihm der mit der Ausbildung angestrebte Beruf nicht liege. Die Wahl des Berufs und der Ausbildungsstätte sei aber durch die Berufsfreiheit verfassungsrechtlich geschützt. Zwar rechtfertige die Einsicht in die falsche Berufswahl nicht das bloße Fernbleiben von der Ausbildung. Ein „unentschuldbares Verhalten”, das die komplette Streichung der Hartz-IV-Leistungen rechtfertige, liege darin aber nicht. Das verbleibende Fehlverhalten sei mit der Leistungskürzung um 30 Prozent ausreichend sanktioniert worden.
Gegen dieses auch bereits schriftlich veröffentlichte Urteil vom 11. Oktober 2018 ließ das LSG wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundessozialgericht in Kassel zu. mwo/fle
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