Das Sozialgericht Berlin entschied in einem konkreten Fall, dass es auch bei weniger als einem Jahr Ehe einen Anspruch auf Witwenrente gibt.
Gewöhnlich wird eine solche Rente bei einem erst kurz verheirateten Paar nur gewährt, wenn der Ehepartner durch ein unvorhersehbares Geschehen ums Leben kommt. (Az.: S 4 R 618/21) Es lohnt sich, die Begründung des Gerichts genauer anzusehen.
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Warum gibt es Hinterbliebenenrente erst ab einem Jahr Ehe?
Dass die Witwen- und Witwerrente in der Regel nur ausgezahlt wird, wenn die Ehe oder die eingetragene Lebenspartnerschaft mindestens ein Jahr bestanden, soll verhindern, dass Heiraten ausschließlich der Versorgung dienen.
Die Ausnahme ist ein Unfall
Bei einem unvorhergesehenen Geschehen wie einem tödlichen Verkehrs- oder Arbeitsunfall geht die Rentenversicherung davon aus, dass auch eine Ehe, die nur wenige Monate bestand, nicht wegen der Hinterbliebenenrente geschlossen wude.
Der Witwer oder die Witwe haben in diesem Fall einen Anspruch auf die Rente.
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Witwerrente trotz kurzzeitiger Ehe
Im Berliner Fall lag die Sachlage jedoch anders. Die Ehefrau starb nicht bei einem Unfall, sondern wegen einer Krebserkrankung. Trotzdem sprach das Sozialgericht dem Hinterbliebenen eine Witwerrrente zu. In diesem Fall konnte er belegen, dass die beiden schon seit Jahren planten, zu heiraten.
Hochzeitsplan vor Diagnose
Die Verstorbene erkrankte 2014 an Brustkrebs. Nach der Therapie schien der Krebs besiegt, dann wurde er 2019 erneut diagnostiziert. Die späteren Eheleute hatten ihre Hochzeit für Juli 2020 angemeldet.
Eine wesentlicher Punkt im Gerichtsverfahren war, dass sie ihre Hochzeit bereits vor der zweiten Diagnose angekündigt hatten. Beide wussten also zu dem Zeitpunkt, als sie ihre Heirat beschlossen, nicht, dass der Krebs wiederkam.
Im April 2020 begann eine Chemotherapie, und die beiden heirateten im Krankenhaus. Drei Monate nach der Hochzeit starb die Frau.
Rentenversicherung lehnt die Witwerrente ab
Die Rentenversicherung lehnte es ab, dem Hinterbliebenen eine Witwerrente zu bezahlen. Den Antrag darauf hatte der Witwer im November 2020 gestellt, und die Rentenkasse verwies darauf, dass die Ehe die nötige Einjahresfrist nicht erreicht hatte. 2021 klagte der Witwer vor dem Sozialgericht gegen die Rentenversicherung.
“Versorgung ist nicht der Hauptzweck der Ehe”
Das Sozialgericht gab ihm Recht. Dem Gericht zufolge solle die Einjahresfrist verhindern, dass der Hauptzweck der Ehe die Versorgung des Hinterbliebenen sei. In diesem Fall ließe sich jedoch nachweisen, dass die beiden nicht aus diesem Grund heirateten.
Das Berufungsverfahren steht aus
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und wird von der Rentenversicherung nicht akzeptiert, sondern diese legt Berufung vor dem landesgericht Berlin-Brandenburg ein. Erst nach dessen Entscheidung ist das Urteil gültig.
Es geht nicht um die Frist als solches
Der Rentenberater Peter Knöppel erläutert, dass solche besonderen Entscheidungen bei der Witwen- und Witwerrente immer Entscheidungen über Einzelfälle sind und sich auf konkrete Situationen beziehen.
Deshalb lassen sich keine allgemeinen Maßstäbe ableiten, wann genau auch bei einer Ehe, die kürzer als ein Jahr anhielt, eine Hinterbliebenenrente ausgezahlt wird.
Laut Knöppel bestehen bessere Chancen nach kurzer Ehe eine Hinterbliebenenrente zu erhalten, beim Tod durch einen Unfall oder eine plötzlichen Erkrankung.
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Fazit
Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, doch die Begründung des Gerichts können Betroffene als Argument verwenden. Demzufolge ist die Einjahresfrist bei der Hinterbliebenenrente nämlich kein Selbstzweck, sondern soll verhindern, dass Ehen nur geschlossen werden, um Hinterbliebene zu versorgen.
Lässt sich belegen, dass es sich tatsächlich um eine Liebesheirat handelte, bei der es nicht vor allem um die Witwenrente ging, dann spielt die Jahresfrist keine Rolle mehr.
Dr. Utz Anhalt ist Buchautor, Publizist und Historiker. 2000 schloss er ein Magister Artium (M.A.) in Geschichte und Politik an der Universität Hannover ab. Seine Schwerpunkte liegen im Sozialrecht, Sozialpolitik und Naturwissenschaften. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Dokumentationen für ZDF , History Channel, Pro7, NTV, MTV, Sat1.