Regelbedarfsstufe 2 in der Sozialhilfe für Leistungsberechtigte in besonderen Wohnformen verfassungswidrig? Ein Wegweisendes Urteil
Bezieht ein Schwerbehinderter sowohl Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII bzw. nach dem SGB IX als auch der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel SGB XII und wohnt in einer besonderen Wohnform, hat er nur Anspruch auf die Regelbedarfsstufe 2.
Die Zugrundelegung der Regelbedarfsstufe 2 für Bewohner besonderer Wohnformen im Sinne des § 42a Abs. 2 S 1 Nr. 2 SGB XII begegnet aufgrund der anderweitig sichergestellten Bedarfsdeckung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken ( so aktuell das LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 22.04.2025 – L 15/8 SO 210/21 – ).
Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 für Leistungsberechtigte in besonderen Wohnformen
Das Gericht kann weder einen Verstoß gegen das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG oder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums erkennen.
Auch verletzt die Geltung der Regelbedarfsstufe 2 für die Bewohner besonderer Wohnformen nicht das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums.
In besonderen Wohnformen gilt laut dem Gesetzgeber die Regelbedarfsstufe 2
Zwar beträgt der Regelsatz nach der Regelbedarfsstufe 2 lediglich 90 % des Regelsatzes nach der Regelbedarfsstufe 1. Deren Geltung für Menschen, die in besonderen Wohnformen leben, ist allerdings dem Umstand geschuldet, dass dort Kosten, die üblicherweise aus dem Regelbedarf zu tragen sind, nicht anfallen, sondern bereits über die Unterkunftskosten abgedeckt sind, die vom Grundsicherungsträger als Bedarf zu berücksichtigen sind (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. September 2022 – L 15 SO 46/22 NZB – ; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. November 2021 – L 9 SO 225/21 B – ).
Überschreitung der Kosten der Unterkunft möglich bis zu 25%
Selbst wenn die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung die Höhe der durchschnittlichen angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Warmmiete von Einpersonenhaushalten um bis zu 25 % überschreiten, werden sie als Bedarf anerkannt, wenn der Leistungsberechtigte die höheren Aufwendungen durch einen Vertrag mit bestimmten gesondert ausgewiesenen zusätzlichen Kosten nachweist.
Dies betrifft insbesondere die Möblierung des persönlichen Wohnraums (§ 42a Abs. 5 Satz 4 Nr. 1 SGB XII in der seit dem 10. Juni 2021 geltenden Fassung [n. F.]),
- Den Haushaltsstrom,
- die Instandhaltung des persönlichen Wohnraums
- der Räumlichkeiten zur gemeinschaftlichen Nutzung sowie die
- Ausstattung mit Haushaltsgroßgeräten (§ 42a Abs. 5 Satz 4 Nr. 3 SGB XII n. F.)
- sowie Gebühren für Telekommunikation und für den Zugang zu Rundfunk, Fernsehen und Internet (§ 42a Abs. 5 Satz 4 Nr. 4 SGB XII n. F.).
Keine Absenkung des Regelbedarfs nach § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB XII bei anderweitiger Bedarfsdeckung
Gleichzeitig verbietet § 27a Abs. 4 Satz 5 SGB XII bei Leistungsberechtigten, die in einer besonderen Wohnform leben, eine Absenkung des Regelbedarfs nach § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB XII, auch soweit der Bedarf anderweitig – nämlich über die Unterkunftskosten – gedeckt sein sollte.
Dagegen bleibt eine höhere Regelbedarfsfestsetzung im Einzelfall nach § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB XII möglich, soweit entsprechende Bedarfe bestehen.
Anmerkung vom Sozialrechtsexperten Detlef Brock
Verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Geltung der Regelbedarfsstufe 2 für Bewohner besonderer Wohnformen hat die Rechtsprechung bis jetzt verneint.