SGB IX: Arbeitsagentur muss Auto für den Weg zum dualen Studium zahlen

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Das Landessozialgericht Baden-Württemberg entschied (L 8 AL 3484/21), dass die Agentur für Arbeit die Kosten für einen PKW eines Teilhabebeeinträchtigten übernehmen muss.

Kraftfahrzeug-Hilfe für duales Studium

Der betroffene Leistungsempfänger beanspruchte eine Kostenerstattung für ein Kraftfahrzeug, um sein duales Studium durchzuführen. Er leidet an einer belastungsabhängigen Dystonie, einer neurologisch bedingten Bewegungsstörung mit unwillkürlichen Muskelkontraktionen – und an einem Asperger-Syndrom.

Er ist teilhabebeeinträchtigt im Sinne des § 2 Abs 1 SGB IX. Der Betroffene nutzt zeitweise einen Rollstuhl mit E-Fix Antrieb. Aufgrund seiner neurologischen Erkrankung kann er keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen.

Ein nervenärztliches Gutachten bescheinigte, der Leistungsempfänger zeige vermutlich krankheitsbedingte Defizite nur bei erheblicher körperlicher Belastung – einen PKW zu fahren, sei möglich, bei entsprechend präpariertem Fahrzeug.

Der Betroffene beantragte beim zuständigen Landratsamt Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Neunten Sozialgesetzbuch in Form einer KFZ-Hilfe. Er begründete dies mit einem dualen Studium bei der Firma SAP. Er benötige das Fahrzeug, um den Studien- wie Ausbildungsplatz zu erreichen.

Bis zur Firma sind es 40 Kilometer und bis zur Hochschule rund 80 Kilometer. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln beträgt die Fahrtzeit 2,5 und drei Stunden. Der Betroffene gab an, er werde ab dem 1.9.2020 monatlich 1.025,00 Euro brutto erzielen und hätte beim Antrag ein Vermögen von 1.055,00 Euro gehabt.

Beste Chancen auf berufliche Eingliederung

Das Landratsamt (Kläger) fragte die Bundesagentur für Arbeit (Beklagte) nach einer Stellungnahme zu den Möglichkeiten der beruflichen Eingliederung nach Abschluss des Studiums. Dieser Antrag wurde nicht gemäß § 14 SGB IX weitergeleitet.

Eine Reha-Beraterin der Bundesagentur teilte dem Landratsamt mit, der Leistungsempfänger sei bei der Arbeitsagentur nicht aktenkundig. Es sei mit einem guten Abitur zu rechnen, und mit einem Informatikstudium bei SAP habe er beste Chancen auf eine berufliche Eingliederung.

Das Landratsamt finanziert den PKW

Der Betroffene begann sein Studium, legte ein Gutachten zur nötigen behindertengerechten Ausstattung eines Fahrzeugs vor, bekam vom Landratsamt eine Förderung eines Kraftfahrzeugs bewilligt – bis zur Höhe von 9.500,00 Euro (zuzüglich weiterer Umbaumaßnahmen wie eines Automatikgetriebes).

Die Höhe des Zuschusses berechnete sich nach dem voraussehbaren Einkommen, das unter der maßgeblichen Grenze von 40 Prozent der Bezugsgröße lag. Der Wagen kostete letztlich 15.840,00 Euro. Das Landratsamt stimmte dem zu, der Leistungsempfänger kaufte und nutzte den PKW.

Das Landratsamt forderte von der Arbeitsagentur die Erstattung der Kosten, da es sich hier um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben handle, für die die Arbeitsagentur zuständig sei. Im Unterschied zum wissenschaftlichen Hochschulstudium sei ein duales Studium sowohl theoretische wie betriebliche Ausbildung.

Im reinen Studium sei die Eingliederungshilfe zuständig, im dualen Studium jedoch die Reha-Träger und das Integrationsamt. Dies gelte auch für Leistungen im Rahmen der Kraftfahrzeughilfe, und deshalb forderte das Landratsamt die Erstattung von bezahlten 10.730,00 Euro.

Arbeitsagentur will nicht zahlen

Die Arbeitsagentur weigerte sich zu zahlen. Es bestehe keine Pflicht zur Erstattung, wenn der unzuständige Rehabilitationsträger (das Landratsamt) die Leistungen erbracht habe, ohne den Antrag an den zuständigen Rehabilitationsträger (die Agentur für Arbeit) weiterzuleiten. Zudem sei die Agentur nur bei einem in die Ausbildung integrierten dualen Studium zu beteiligen, welches als fachkundige Stelle eingetragen sein müsste.

Landessozialgericht entschied: Die Arbeitsagentur muss zahlen

Das Landesgericht Baden-Württemberg verpflichtete die Arbeitsagentur zur Erstattung der Kosten. Die Begründung lautete: Die Leistung stelle eine Kraftfahrzeughilfe im Rahmen der Teilhabe am Arbeitsleben dar.

Das praxisintegrierte duale Studium des Betroffenen sei einer dualen betrieblich durchgeführten Berufsausbildung gleich zu stellen. Für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sei die Agentur für Arbeit grundsätzlich der zuständige Rehabilitationsträger.

Leistungsträger muss die Kosten erstatten

Das Landessozialgericht erkannte zudem, dass das Landratsamt berechtigt sei im Sinne des § 104 Abs 1 SGB X, die Kosten erstattet zu bekommen.

Dieser besagt: „Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat (…) 2 Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre.“

Ein Fall von § 103 (nachträgliches Entfallen der Leistungspflicht) bestünde nicht. Vorrangig sei die Agentur für Arbeit zur Kraftfahrzeughilfe verpflichtet gewesen, hätte diese Leistungen jedoch nicht erbracht. Das Landratsamt hätte zudem auch die vorgeschriebenen Fristen eingehalten.

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