Schwerbehinderung: Warum GdB 50 oft unerreichbar bleibt

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Das Landessozialgericht Baden-Wรผrttemberg hat den Antrag eines Beschรคftigten auf Erhรถhung seines Grades der Behinderung (GdB) von 40 auf 50 abgelehnt (Urteil vom 9. Dezember 2021, Az. L 6 SB 2855/20).

Obwohl der Mann รผber dauerhafte Schmerzen, eine leichte Depression und weitere Leiden klagte, sah das Gericht keine โ€žwesentlichen ร„nderungenโ€œ seines Gesundheitszustands. Die Entscheidung zeigt: Ohne belastbare Befunde und nachvollziehbare Teilhabe-Einschrรคnkungen bleibt der ersehnte Schwerbehindertenstatus hรคufig auรŸer Reichweite.

Ein Mann klagt auf mehr Anerkennung

Der Klรคger, Mitte 40, arbeitet in Vollzeit, treibt gern FuรŸball, Rad- und sogar Ski, lebt allein und kommt laut Gutachten im Alltag gut zurecht. Sein bisheriger Gesamt-GdB lag bei 40. Mit Verweis auf chronische Rรผckenschmerzen, eine leichtere Depression, Asthma, Bluthochdruck und Nierensteine beantragte er, als โ€žschwerbehindertโ€œ im Sinne des ยง 2 SGB IX anerkannt zu werden โ€“ das bedeutet einen GdB von mindestens 50.

Sowohl das Sozialgericht Reutlingen (Urteil vom 5. August 2020) als auch das nรคchsthรถhere Landessozialgericht wiesen die Klage ab und legten dem Mann zusรคtzlich seine auรŸergerichtlichen Kosten auf.

Was das Gericht sah โ€“ und was nicht

Psyche: Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsรคtzen, einer Art amtlicher Tabelle, wird ein GdB 50 erst bei โ€žschweren psychischen Stรถrungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeitenโ€œ vergeben. Die Richter stuften die Depression des Klรคgers aber nur als โ€žleicht bis mittelgradigโ€œ ein.

Wirbelsรคule und Schmerz: Bildgebende Verfahren zeigten zwar VerschleiรŸ, jedoch nur geringe Bewegungseinschrรคnkungen. Weder Bandscheibenvorfรคlle noch neurologische Ausfรคlle wurden festgestellt.

Weitere Erkrankungen: Asthma, Bluthochdruck und das wiederkehrende Nierensteinleiden waren laut Befund jeweils leicht ausgeprรคgt โ€“ deshalb erhielten sie keinen eigenen GdB-Zuschlag.

Teilhabe: Besonders gewichtig war die aktive Lebensfรผhrung des Klรคgers: Vollzeitjob, regelmรครŸiger Sport, selbststรคndiger Haushalt. Das Gericht wertete diese Punkte als starken Hinweis darauf, dass alltรคgliche Aktivitรคten kaum eingeschrรคnkt sind.

Unter dem Strich sahen die Richter โ€žkeine wesentliche ร„nderungโ€œ seines Gesamtzustands, die eine Anhebung um mindestens zehn Punkte rechtfertigen wรผrde โ€“ das ist die gesetzliche Mindestschwelle fรผr eine Neufeststellung.

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Lehren fรผr andere Betroffene

Das Urteil unterstreicht einen harten Fakt: Selbst wer Schmerzen und seelische Belastungen tรคglich spรผrt, muss sie gegenรผber der Behรถrde oder dem Gericht beweisen kรถnnen. Subjektiver Leidensdruck allein genรผgt nicht.
Hinzu kommt, dass Aktivitรคt hรคufig als Gegenargument gilt. Ein Vollzeitjob dient vielen zum Lebensunterhalt โ€“ doch vor Gericht kann er als Signal gewertet werden, dass gravierende Funktionsstรถrungen fehlen.

Fรผnf Schritte, die deine Chancen verbessern

Beginnen Sie damit, ein mรถglichst genaues Schmerz- und Aktivitรคtstagebuch zu fรผhren: Notieren Sie tรคglich, wann und wo die Schmerzen auftreten, welche Belastungen sie auslรถsen oder verstรคrken und wie stark sie sind.

Parallel dazu sollten Sie sich frรผhzeitig aussagekrรคftige Facharzt- sowie Reha-Berichte sichern, denn nur objektive Befunde belegen gegenรผber Versorgungsamt oder Gericht, wie stark Ihre Funktionsfรคhigkeit eingeschrรคnkt ist.

Lassen Sie auรŸerdem psychische Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Angststรถrungen fachรคrztlich diagnostizieren und konsequent behandeln, damit Sie spรคter belastbare Gutachten von Psychiater*innen vorlegen kรถnnen.

Wichtig ist auch, dass Sie nicht nur Beschwerden schildern, sondern konkrete Teilhabeprobleme herausstellen โ€“ etwa Fehlzeiten im Job, Unterstรผtzung im Haushalt oder Hilfe bei der Kinderbetreuung.

Und stellen Sie einen neuen Antrag auf Hรถherstufung Ihres GdB erst dann, wenn sich Ihr Gesundheitszustand wirklich messbar verschlechtert hat, beispielsweise durch ein frisches MRT, einen stationรคren Krankenhausbericht oder andere aktuelle Befunde.

Kritik: Hohe Hรผrden trotz spรผrbaren Leidens

Die Entscheidung zeigt den enormen Nachweisdruck fรผr chronische Schmerzpatient*innen. Zwar sollen die Versorgungsmedizinischen Grundsรคtze bundesweit vergleichbare Entscheidungen sichern, doch sie bilden lange Leidenswege oft nur unzureichend ab. Gerade chronische Schmerzen verรคndern das Leben meist schleichend.

Dass Sport-Hobbys oder ein nรถtiger Arbeitsplatz als โ€žGegen-Indizโ€œ fรผr schwere Einschrรคnkungen gelten, fรผhrt Betroffene in ein Dilemma: Wer sich trotz Schmerzen bewegt, um beweglich zu bleiben oder Geld zu verdienen, riskiert schlechtere Anerkennung.

Zudem bleibt offen, ob die Tabellen der VersMedV ausreichend Raum fรผr komplexe Mehrfachbelastungen bieten. Fachverbรคnde fordern seit Langem, psychosomatische Zusammenhรคnge stรคrker zu berรผcksichtigen und nachvollziehbare Kriterien fรผr Schmerzsyndrome zu entwickeln.

Hilfe holen und Fristen wahren

Beratung: Unabhรคngige Sozialrechts-Beratung bieten zum Beispiel der VdK (www.vdk.de) und der SoVD (www.sovd.de). Beide Verbรคnde vertreten Mitglieder notfalls auch vor Gericht.

Widerspruch: Gegen einen Ablehnungsbescheid kรถnnen Betroffene innerhalb eines Monats schriftlich Widerspruch erheben. Danach bleibt nur die Klage beim Sozialgericht (Frist: ein weiterer Monat nach Widerspruchsbescheid).

Kosten: Wer kein Verbandsmitglied ist, kann fรผr das Gerichtsverfahren Prozesskostenhilfe beantragen, wenn die eigenen Mittel gering sind.