Sehbehinderte Menschen kรถnnen in einem Gerichtsverfahren nicht pauschal und voraussetzungslos verlangen, dass fรผr sie alle Verfahrensdokumente auf Audio-CDs รผbertragen werden. Ist der Streitstoff รผbersichtlich, kann der Sehbehinderte darauf verwiesen werden, sich die Unterlagen von seinem Anwalt vorlesen und erlรคutern zu lassen, entschied das Bayerische Landessozialgericht (LSG) in kรผrzlich verรถffentlichten Beschluss vom 16. Januar 2025 (Az.: L 2 U 313/24 B ER). Dies gelte erst recht in Eilverfahren, da die Erstellung aller Verfahrensdokumente in Audioform sehr zeitaufwendig sei und der Eilbedรผrftigkeit nicht Rechnung trage, so die Mรผnchener Richter.
Das war vorgefallen
Im konkreten Fall ging es um den Anspruch auf ein Persรถnliches Budget fรผr behinderte Menschen. Die Beschwerdefรผhrerin wollte diesen im Eilverfahren gerichtlich durchsetzen und hatte ein รคrztliches Attest vorgelegt, wonach sie aufgrund einer Hornhauterkrankung faktisch blind sei.
Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren beantragte die anwaltlich vertretene Frau, dass ihr sรคmtliche Verfahrensdokumente der ersten und zweiten Instanz auf Audio-CDs รผbermittelt und ihr auf diese Weise barrierefrei zur Verfรผgung gestellt werden.
Beschrรคnkter barrierefreier Zugang fรผr Blinde zu Gerichtsdokumenten
Das LSG wies die Frau ab und berief sich dabei unter anderem auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundessozialgerichts (BSG).
So hatten die Verfassungsrichter bereits mit Beschluss vom 10. Oktober 2014 entschieden, dass sehbehinderte Menschen unter Umstรคnden zwar Prozessunterlagen in Blindenschrift einfordern kรถnnten (Az.: 1 BvR 856/13). Sie kรถnnten sich dabei auf das im Grundgesetz verankerte Benachteiligungsverbot berufen. Menschen mit Behinderung mรผssten so gestellt werden, โdass ihnen gleichberechtigte Teilhabe wie Menschen ohne Behinderung ermรถglicht wirdโ.
Ein Anspruch auf รbermittlung von Prozessunterlagen in Blindenschrift bestehe jedoch nicht, wenn der Rechtsstreit nicht besonders kompliziert sei und der Anwalt die Akten โgleichwertigโ vermitteln kรถnne.
รhnlich hatte auch das BSG am 18. Juni 2014 entschieden (Az.: B 3 P 2/14 B). Blinde und sehbehinderte Menschen hรคtten danach einen Anspruch auf โbarrierefreie Zugรคnglichmachung von Dokumenten im gerichtlichen Verfahrenโ, wenn ihr Anwalt den Streitstoff nicht gut vermitteln kรถnne. Die Betroffenen hรคtten in einem solchen Fall ein Wahlrecht, ob sie die Schriftsรคtze in Blindenschrift, als Hรถrkassette, in Groรdruck oder auch in elektronischer Form erhalten wollen.
LSG Mรผnchen: Prozessunterlagen nicht pauschal als Audio-CD
Diese Grundsรคtze gelten auch nach der รnderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 1. Juli 2014 weiter, stellte das LSG klar. Zwar sei im Gesetz beim Anspruch auf barrierefreie Zugรคnglichmachung von Schriftsรคtzen und Dokumenten die Formulierung gestrichen worden, dass dies fรผr das Verfahren โerforderlichโ sein mรผsse.
Dies bedeute aber nicht, dass sehbehinderte Menschen nun pauschal und voraussetzungslos Verfahrensdokumente auf Audio-CDs verlangen kรถnnten. Im vorliegenden Fall handele es sich um einen รผbersichtlichen Rechtsstreit, so dass der Anwalt der Beschwerdefรผhrerin den Streitstoff problemlos erlรคutern kรถnne. Auf Audio-CDs รผbertragende Verfahrensdokumente seien nicht erforderlich. Dies wรผrde auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu einer erheblichen Verfahrensverzรถgerung fรผhren und der Eilbedรผrftigkeit nicht gerecht werden.