Schwerbehinderung: Landessozialgericht kippt Hoffnung – Frau geht trotz Merkzeichen G leer aus

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Die Hรผrden fรผr eine Erwerbsminderungsrente sind hoch. Selbst Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung, deren Gehfรคhigkeit erheblich eingeschrรคnkt ist, kรถnnen nicht damit rechnen, Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente zu haben. Das zeigt eine Entscheidung des Landessozialgerichts Hamburg (L 3 R 75/19).

Schwerbehindert mit Merkzeichen G

Die Betroffene arbeitete versicherungspflichtig in verschiedenen Bereichen, und zuletzt als Kรผchenhilfe. Seit August 2015 war sie krankgeschrieben, und am 11. Januar 2016 beantragte sie eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Seit Mรคrz 2021 ist bei ihr โ€žwegen der operativen Versteifung von Wirbelsรคulenabschnitten und eines chronifizierten Schmerzsyndroms einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie das Merkzeichen G (erhebliche Gehbehinderung) anerkannt.โ€œ

Den Antrag auf Erwerbsminderung begrรผndete sie damit, dass sie sich seit 1986 fรผr erwerbsgemindert halte wegen einer Operation ihres Kopfes, ihres Rรผckens und ihrer Beine.

Reha-Bericht sieht keine Erwerbsminderung

Im Februar und Januar 2016 nahm sie an einer medizinischen Rehabilitation in einer Klinik teil. Der Entlassungsbericht vermerkte โ€žlumbale und sonstige Bandscheibenschรคden mit Radikulopathie sowie das Vorhandensein von anderen funktionellen Implantatenโ€œ.

Der Entlassungsbericht sah sie zwar als (aktuell) arbeitsunfรคhig, jedoch als leistungsfรคhig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt fรผr sechs Stunden oder mehr. Damit entfรคllt ein Anspruch auf Erwerbsminderung.

Nur qualitative Einschrรคnkungen

Einschrรคnkungen bei der Erwerbsbeschรคftigung sahen die Mitarbeiter der Klinik qualitativ, nicht von der Menge zu leistender Arbeitsstunden. So sollte sie auf bรผckende, kniende Tรคtigkeiten ebenso verzichten wie auf das Tragen von mittelschweren bis schweren Lasten wie auch auf andauerndes รœberkopfarbeiten.

Beauftragter Radiologe sieht ebenfalls keine Erwerbsminderung

Die Rentenversicherung beauftragte einen Facharzt fรผr Radiologie, um die Leistungsfรคhigkeit einzuschรคtzen. Auch dieser hielt einen tรคgliche Arbeitszeit von sechs oder mehr Stunden pro Tag fรผr mรถglich. Die Rentenkasse holte Befundberichte der behandelnden ร„rzte ein und entschied schlieรŸlich, das keine Erwerbsminderung vorliege.

Widerspruch wird zurรผckgewiesen

Die Betroffene legte gegen diese Entscheidung Widerspruch ein. โ€žMit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch machte die Klรคgerin geltend, die schmerzhaften Einschrรคnkungen der Beweglichkeit und Belastbarkeit der Wirbelsรคule seien so stark, dass sie bis ins linke Bein ausstrahlten, was auch zu Bewegungseinschrรคnkungen des linken Beins fรผhre. Die Schmerzen ertrage sie nur durch die Einnahme starker schmerzlindernder Medikamente.โ€œ

Die Rentenkasse holte jetzt weitere Befundberichte ein und beauftragte einen Facharzt fรผr Chirurgie und Unfallchirurgie fรผr ein Gutachten. Der erkannte eine Spinalkanalstenose mit muskulรคren Defiziten und einer funktionellen Einschrรคnkung. AuรŸerdem diagnostizierte er eine chronische Schmerzstรถrung. Daraufhin wies die Rentenkasse der Widerspruch zurรผck.

Er kritisierte eine fehlende Mitarbeit der Klรคgerin und รคuรŸerte erhebliche Zweifel, ob sie tatsรคchlich so in ihren Bewegungen und Funktionen eingeschrรคnkt sei wie sie behaupte. โ€žDie zumutbare Gehstrecke sei nicht beeintrรคchtigt. Die Klรคgerin sei leistungsfรคhig fรผr leichte bis gelegentlich mittelschwere kรถrperliche Tรคtigkeiten wechselrhythmisch im Gehen, Stehen und vorwiegend im Sitzen unter Vermeidung von wirbelsรคulenbelastenden Tรคtigkeiten, ohne Steigen auf Leitern und Gerรผste fรผr sechs Stunden und mehr tรคglich. Mehr als 500 Meter kรถnne die Klรคgerin mindestens viermal tรคglich zu FuรŸ innerhalb von 20 Minuten zurรผcklegen.โ€œ

Es geht vor Gericht

Trotz dieser zwei Gutachten, die ihr keine Erwerbsminderung zuschrieben, ging sie vor das zustรคndige Sozialgericht und war hier erfolgreich. Die Richter bestellten einen weiteren Facharzt. Dieser erkannte zusammen mit dem Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsรคule und eines Bandscheibenschadens auch einen Missbrauch von Schmerzmitteln. So sei sie von opiathaltigen Mitteln abhรคngig geworden.

Dieser Facharzt sah eine regelmรครŸige Arbeit lediglich fรผr weniger als drei Stunden pro Tag vor. Damit erklรคrte er die Betroffene fรผr voll erwerbsgemindert. Sie sei nicht wegefรคhig und nicht in Lage, Hemmungen gegenรผber einer Arbeitsleistung zu รผberwinden. Das Sozialgericht erklรคrte Anspruch auf volle Erwerbsminderung.

Berufung beim Landessozialgericht

Die Deutsche Rentenversicherung ging in Berufung vor dem Landessozialgericht, und dieses hob das vorherige Urteil auf nach dem Gutachten eines Orthopรคden. Dieser erkannte, dass bei ihr zwar verschiedene gesundheitliche Stรถrungen vorlegen. Diese seien aber qualitativ und wรผrden nicht die Arbeitszeit mindern.

โ€žDies gelte zunรคchst fรผr die geklagten Nackenschmerzen und damit verbundene Bewegungseinschrรคnkungen der Halswirbelsรคule, denn es bestรผnden weder lokale Muskelspannungsstรถrungen noch neuroorthopรคdische UnregelmรครŸigkeiten im Bereich der oberen GliedmaรŸen. Die aufgrund der strukturellen Fehlstatik der Brust- und Lendenwirbelsรคule (Skoliose) durchgefรผhrten Versteifungsoperationen seien zwar zulasten der Beweglichkeit gegangen, mit maรŸgeblichen Schmerzen gehe dieses Leiden jedoch nicht einher.โ€œ

Keine Erwerbsminderung nachgewiesen

Die Richter fรผhrten aus, dass beim Anspruch auf Erwerbsminderungsrente der Antragsteller die objektive Feststellungslast trifft. โ€žZweifel am AusmaรŸ der geklagten Funktionseinschrรคnkungen, die sich aufgrund des demonstrativen Verhaltens und der dargelegten Inkonsistenzen ergeben, zulasten der Klรคgerin.โ€œ

Die Einschรคtzungen des Versorgungsamtes spielten dabei keine Rolle, so die Richter.