Der Bundesgerichtshof (BGH) hat ein wegweisendes Urteil zum Schadensersatz nach ärztlichen Behandlungsfehlern gefällt. Eine Krankenhausbetreiberin muss die behinderungsbedingten Mehrkosten einer Urlaubsreise tragen, wenn sie zuvor vertraglich zugesagt hat, alle medizinisch notwendigen Pflege- und Betreuungskosten zu übernehmen. Das Gericht stellte außerdem klar, dass ein Schmerzensgeld diese zusätzlichen Vermögensschäden nicht abdeckt. (VI ZR 316/19)
Inhaltsverzeichnis
Schwere Behinderung nach Behandlungsfehler
Der Fall begann im Jahr 1988. Bei einer Geburt kam es zu erheblichen medizinischen Fehlern, die bei dem Kind eine schwere und dauerhafte Behinderung verursachten. Später einigten sich die Familie und die Klinik auf einen Vergleich, der die Zahlung von Schmerzensgeld sowie Schadensersatz für notwendige Pflege- und Betreuungskosten regelte.
Die Klinik verpflichtete sich darin ausdrücklich, sämtliche medizinisch notwendigen Pflege- und Betreuungsaufwendungen zu übernehmen. Jahrzehnte später wurde genau diese Vereinbarung zum Kern eines neuen Rechtsstreits.
Eine Reise nach Gran Canaria und ihre besonderen Anforderungen
Im Mai 2014 reiste die inzwischen erwachsene Geschädigte eine Woche lang in ein Hotel auf Gran Canaria, das speziell auf die Bedürfnisse schwerbehinderter Menschen ausgerichtet war. Da sie eine Rundumbetreuung benötigte, begleiteten sie ihre Eltern und eine weitere Betreuungsperson.
Durch die Behinderung entstanden erhebliche zusätzliche Kosten, insbesondere für die Unterbringung und Organisation der drei Betreuungspersonen. Diese Mehrkosten wollte die Geschädigte von der Krankenhausbetreiberin ersetzt haben.
Streit zwischen Klägerin und Klinik über die Notwendigkeit
Die Krankenhausbetreiberin verweigerte die Übernahme der Kosten. Sie vertrat die Ansicht, eine Urlaubsreise sei grundsätzlich nicht medizinisch notwendig und falle damit nicht unter die vertraglichen Zusagen. Außerdem behauptete sie, das Schmerzensgeld decke alle Mehrkosten ab, die durch die Beeinträchtigung bedingt seien.
Die Klägerin widersprach und argumentierte, dass nicht die Reise selbst medizinisch notwendig sein müsse, sondern die durch die Behinderung entstehenden zusätzlichen Pflege- und Betreuungskosten. Diese fielen eindeutig unter die Verpflichtung aus dem Vergleich.
Amtsgericht und Landgericht stärken die Position der Geschädigten
Sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht Kassel gaben der Klage statt. Die Gerichte stellten klar, dass allein maßgeblich sei, ob die Mehrkosten aufgrund der Behinderung entstanden sind und ob sie zu den zugesagten Pflege- und Betreuungskosten gehören. Die medizinische Notwendigkeit der Reise spiele dagegen keine Rolle.
Beide Gerichte betonten, dass das Schmerzensgeld lediglich immaterielle Schäden abgilt. Konkret entstandene Vermögensschäden wie behinderungsbedingte Reisekosten seien hiervon nicht umfasst und müssten daher separat erstattet werden.
BGH bestätigt: Behinderungsbedingte Mehrkosten sind zu ersetzen
Der Bundesgerichtshof bestätigte diese Sichtweise vollständig. Die Richter betonten, dass es nicht darauf ankommt, ob ein Urlaub medizinisch notwendig ist. Entscheidend sei allein, dass die Mehrkosten unmittelbar aus der Behinderung resultieren und damit unter den Begriff der Pflege- und Betreuungskosten fallen, deren Übernahme die Klinik zugesagt hatte.
Der BGH stellte außerdem klar, dass das Schmerzensgeld keinen Ausgleich für konkret entstandene finanzielle Mehrbelastungen leistet. Es diene dem immateriellen Ausgleich, während behinderungsbedingte Reisekosten einen reinen Vermögensschaden darstellen.
FAQ zum BGH-Urteil (VI ZR 316/19)
Warum musste die Krankenhausbetreiberin die Mehrkosten übernehmen?
Die Klinik hatte sich in einem Vergleich verpflichtet, alle medizinisch notwendigen Pflege- und Betreuungskosten zu tragen. Die behinderungsbedingten Zusatzkosten der Reise fielen genau darunter, da sie unmittelbar durch den Betreuungsbedarf der Geschädigten entstanden.
Muss ein Urlaub medizinisch notwendig sein, damit Kosten erstattet werden?
Nach dem BGH genügt es, dass die durch die Behinderung verursachten zusätzlichen Betreuungskosten medizinisch notwendig sind. Die Reise selbst muss keine medizinische Indikation erfüllen.
Reicht das Schmerzensgeld für solche zusätzlichen Belastungen aus?
Nein. Das Schmerzensgeld kompensiert ausschließlich immaterielle Schäden wie Schmerzen und Einschränkungen in der Lebensführung. Vermögensschäden wie behinderungsbedingte Mehrkosten einer Reise gehören nicht dazu und müssen separat ersetzt werden.
Warum galten die Mehrkosten als Pflege- und Betreuungskosten?
Weil die zusätzliche Betreuung während der Reise notwendig war, um den Alltag der Geschädigten zu bewältigen. Die Mehrkosten resultierten damit direkt aus ihrer schweren Behinderung und fielen unter die vertraglich zugesagten Leistungen.
Können auch andere Freizeitaktivitäten betroffen sein?
Grundsätzlich ja. Entscheidend ist immer, ob die Behinderung zusätzliche Betreuung erforderlich macht und ob eine entsprechende Verpflichtung zur Übernahme solcher Kosten besteht.
Fazit: BGH stärkt Rechte schwerbehinderter Menschen
Das Urteil des Bundesgerichtshofs schafft klare Leitlinien für die Abgrenzung zwischen Schmerzensgeld und erstattungsfähigen Vermögensschäden. Wer aufgrund einer Behinderung auf zusätzliche Betreuung angewiesen ist, darf nicht auf den Kosten sitzen bleiben, wenn ein Schädiger sich zur Übernahme notwendiger Pflegekosten verpflichtet hat.
Die Entscheidung stärkt damit die Position betroffener Menschen und ihrer Familien und verhindert, dass Freizeit und Teilhabe am Leben durch finanzielle Hürden zusätzlich eingeschränkt werden.




