Schwerbehinderung: Behörden müssen über Sozialleistungen aufklären – Urteil

Lesedauer 2 Minuten

Sozialrecht ist ein Labyrinth. Mal ist die eine Behörde zuständig, dann wieder eine andere. Allzu oft beziehen Betroffene zu niedrige Leistungen, weil sie nicht wissen, dass ihnen höhere zustehen. Müssen die Behörden Betroffene darauf hinweisen, auf welche Leistungen sie Anspruch haben? Ein Urteil des Bundesgerichtshofs klärt auf (III ZR 466/16).

Kein eigenes Einkommen dafür Grundsicherung

Der Kläger hat einen Grad der Behinderung von 100 und kann seinen Lebensunterhalt nicht durch eigenes Einkommen bestreiten. Seine Mutter fungiert als Betreuerin und erstritt erfolgreich Leistungen der Grundsicherung für den Leistungsberechtigen.

Volles Recht auf Erwerbsminderung

Da der Betroffene weniger als drei Stunden pro Tag arbeiten kann, gilt er als voll erwerbsgemindert. Außerdem hat er die für eine Erwerbsminderungsrente nötigen Versicherungszeiten erfüllt, durch eine Förderschule für geistig behinderte Menschen, berufsbildende Maßnahmen und eine Tätigkeit in einer beschützenden Werkstatt. Mit diesen erfüllten Anforderungen hat er das Recht auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Zu späte Aufklärung über Rentenanspruch

Auf den möglichen Rentenanspruch wies eine Sachbearbeiterin des zuständigen Landratsamtes erst im Jahr 2011 hin. Sie sagte, der Betroffene solle sich von der Deutschen Rentenversicherung beraten lassen.

Betroffener fordert entgangene Rente ein

Der Betroffene bestand darauf, dass ihm durch den erst spät erfolgten Hinweis des Landratsamtes zehntausende von Euro an Rente entgangen seien. Er forderte von der Behörde 50.322,61 EUR plus Zinsen. Dieses wäre die Differenz zwischen Grundsicherung und Erwerbsrente für die entsprechende Zeit.

Er argumentierte, das Landratsamt sei verpflichtet gewesen, ihn beim Stellen des Antrags auf Grundsicherung auf die Möglichkeit einer Erwerbsminderungsrente hinzuweisen.

Anspruch auf Beratungspflicht über die Rente

Das Landgericht gab ihm recht, das Oberlandesgericht sah in der Berufung hingegen keinen Anspruch auf Schadensersatz. Es ging bis vor den Bundesgerichtshof. Dieser stimmte dem Kläger grundsätzlich zu.

Es sei bereits beim Antrag auf Grundsicherung ein Hinweis auf eine mögliche Erwerbsunfähigkeitsrente nötig gewesen, ebenso eine Beratung durch die Rentenkasse.

System der Sozialleistungen funktioniert nur mit Beratung

Denn das System der Sozialleistungen werde immer komplizierter, und könnte nur mit umfassender Beratung funktionieren. Ein Wissen darüber könne eine Behörde nicht voraussetzen.

Es reiche also nicht aus, lediglich auf Fragen und Anträge des Betroffenen zu reagieren, sondern die Behörde müsse von sich aus auf mögliche Nachteile seines Anliegens hinweisen.

Es reicht nicht, nur über den eigenen Bereich zu beraten

Das Sozialrecht sei gerade deswegen so kompliziert, weil sich die verschiedenen Sicherheiten verknüpfen. Demzufolge beschränkte sich die Beratungspflicht nicht auf Normen des betreffenden Leistungsträgers.

Kurz gesagt: Der Landkreis hätte nicht nur bei der Grundsicherung eine Beratungspflicht, sondern auch beim Rentenrecht. Er hätte aufklären müssen über eine notwendige Beratung durch die Rentenversicherung.

Es gibt ein Recht auf Schadensersatz bei zu später Beratung

Der Bundesgerichtshof verwies den Fall zurück an das Oberlandesgericht, aber lediglich, damit dieses die Höhe des Schadensersatzes bestimmte. Der Grundsatz ist klar. Es besteht eine Beratungspflicht, und das Recht auf Schadensersatz, wenn diese Beratung zu spät erfolgt.