Die Vermutung, den Betriebsrat รผber die Bewerbung eines Schwerbehinderten nicht informiert zu haben, reicht, um eine Diskriminierung anzunehmen. So entschied das Bundesarbeitsgericht (Aktenzeichen 8 AZR 136/22).
Der konkrete Fall โ Klรคger verlangt Entschรคdigung
Der Betroffene ist studierter Wirtschaftswissenschaftler und bewarb sich auf eine Stelle als โScrum Master Energy (m/w/d)โ. Er bekam eine Absage vom Arbeitgeber. Deshalb verlangte er von diesem eine Entschรคdigung nach dem Paragrafen 15 Absatz 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).
Der Arbeitgeber lehnte dies ab. Er erklรคrte, er hรคtte die Bewerbung abgewiesen, weil der Betroffene nicht den Anforderungen an die Stelle entsprรคche. Der Wirtschaftswissenschaftler verlangte jetzt, ihm nachzuweisen, dass alle Bewerber in Hinsicht auf die Auswahlkriterien gleichbehandelt wurden. Eine Antwort des Arbeitgebers blieb aus.
Die Sache ging vor das Arbeitsgericht und letztlich bis zum Bundesarbeitsgericht (BAG). Dort argumentierte der Bewerber, der Arbeitgeber habe den Betriebsrat nicht unmittelbar รผber die Bewerbung informiert. Er sagte aber ausdrรผcklich, dass er dies nicht sicher wรผsste, sondern nur vermute.
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Indizien reichen fรผr ein Urteil in Sinne des Klรคgers aus
Obwohl der Bewerber nur eine Vermutung รคuรerte, entschied das Bundesarbeitsgericht in seinem Sinne. Nach ยง 22 ff. des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) muss die Partei, die Entschรคdigung verlangt, lediglich Indizien fรผr eine mรถgliche Diskriminierung aufzeigen.
Ein Verstoร gegen die Verpflichtung, den Betriebsrat รผber eingehende Bewerbungen schwerbehinderter Menschen zu informieren, gilt als solches Indiz. Wรคhrend die bisherige Rechtsprechung hierfรผr einen konkreten Beweis verlangte, reicht dem Bundesarbeitsgericht nun bereits eine Vermutung.
Dem Urteil zufolge genรผgt es also, wenn ein schwerbehinderter Bewerber lediglich vermutet, dass der Betriebsrat nicht unterrichtet wurde.
Argumentation des Gerichts?
Das Gericht fรผhrte aus, dass der Betriebsrat zum Verantwortungsbereich des Arbeitgebers gehรถre und der Bewerber folglich keinen Zugang zu seinen internen Ablรคufen habe. Daher kรถnne er seine Vermutung nicht belegen, da ihm ein Einblick in diese Sphรคre nicht zuzumuten sei.
รberdies liege es nicht in der Verantwortung des Bewerbers, sich nach einer mรถglichen Unterrichtung des Betriebsrats zu erkundigen. Ebenso wenig sei er verpflichtet gewesen, vorab zu verlangen, dass die relevanten Informationen an den Betriebsrat weitergeleitet werden.
Die Rechte schwerbehinderter Menschen werden gestรคrkt
Das Urteil stรคrkt eindeutig die Rechte von Menschen mit Schwerbehinderung beim Arbeitsrecht. Das Bundesarbeitsgericht stellte nรคmlich einen wichtigen Aspekt klar. Es ist real unmรถglich fรผr Bewerber mit Schwerbehinderungen, Kenntnis zu erlangen รผber interne Kommunikation und Ablรคufe innerhalb des Unternehmens, bei dem er sich um eine Stelle bewirbt.
Die Beweislast liegt deshalb beim Arbeitgeber, so das Bundesarbeitsgericht. Denn dieser kรถnne nachweisen, ob eine Information korrekt erfolgt ist oder nicht.
Das Bundesarbeitsgericht unterstรผtzt deshalb Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung, denn es sorgt so dafรผr, dass Sie ein Recht, das Ihnen zusteht, auch praktisch umsetzen kรถnnen.