Rente: Volle Erwerbsminderung – Gericht kippt die Ablehnung – Urteil

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Ein Mann aus Baden-Wรผrttemberg erhรคlt eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Ausschlaggebend war nicht die frรผhere Tumorerkrankung, sondern der nachgewiesene Leistungseinbruch nach einem Schlaganfall am 13. Februar 2021. Die Rente lรคuft in zwei Abschnitten bis 31. August 2027.

Warum ist dieses Urteil wichtig?

Es stellt klar: Entscheidend fรผr die Erwerbsminderungsrente ist der medizinisch belegte Eintrittszeitpunkt der Leistungsminderung โ€“ nicht das Scheitern im erlernten Beruf, sondern die Fรคhigkeit fรผr einfache Tรคtigkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt.

Wer Einschnitte wie Schlaganfall oder epileptischen Anfall sauber dokumentiert, stรคrkt seinen Anspruch und verhindert falsche Frรผhdatierungen mit versicherungsrechtlichen Nachteilen. Gutachten nach ยง 109 SGG kรถnnen abweichende Bewertungen korrigieren.

Zugleich zeigt die Befristung, dass Behandlung und Reha Chancen bieten; erst spรคter kommt eine Entfristung in Betracht. Fรผr Bรผrgergeld-Beziehende und Rentenantragsteller bedeutet das: Befunde sammeln, Datum sichern, Anspruch strukturiert prรผfen.

Was das Gericht entschieden hat

Das Landessozialgericht Baden-Wรผrttemberg (L 8 R 3359/23) hat das Urteil des SG Konstanz teilweise abgeรคndert. Die Rentenversicherung muss eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gewรคhren โ€“ befristet vom 01.09.2021 bis 31.08.2024 und erneut vom 01.09.2024 bis 31.08.2027.

Soweit der Klรคger eine frรผhere Zahlung und eine unbefristete Rente wollte, blieb er erfolglos. Die Behรถrde trรคgt die Hรคlfte der auรŸergerichtlichen Kosten des Klรคgers.

Der Streitpunkt: Ab wann lag volle Erwerbsminderung vor?

Die Rentenversicherung hatte den Antrag 2020 abgelehnt. Begrรผndung: Die Erwerbsminderung sei schon viele Jahre zuvor vorhanden gewesen und damit โ€žins Erwerbsleben eingebrachtโ€œ. In diesem Fall greifen strengere Regeln.

Das SG folgte dieser Sicht und verwies auf die schwere Hirnerkrankung mit Operationen und Bestrahlung 2004/2005 sowie auf langjรคhrige kognitive Einschrรคnkungen.

Der Klรคger hielt entgegen: Der entscheidende Leistungseinbruch trat erst 2021 ein. Zuvor seien einfache Tรคtigkeiten noch mรถglich gewesen, wenn auch nicht im erlernten IT-Beruf. Der Senat hat diese Frage neu bewertet โ€“ gestรผtzt auf mehrere medizinische Quellen aus Verwaltung und Gerichtsverfahren.

Medizinische Grundlage der Entscheidung

Ein gerichtliches Gutachten aus 2021 beschrieb eine leichte bis mรครŸige kognitive Stรถrung und eine schwere organische Wesensรคnderung mit fehlendem Antrieb, mangelnder Intentionalitรคt und Problemen bei der Tagesstruktur. Das deutete auf volle Erwerbsminderung hin.

Zugleich zeigte das umfangreiche Material aus frรผheren Jahren ein anderes Bild: 2012 und 2014 wurden leichte kognitive Defizite dokumentiert, die vorrangig unter Stress und hoher Konzentrationslast auftraten. Hinweise auf ein bereits damals aufgehobenes Leistungsvermรถgen fรผr einfache, angepasste Arbeiten ergaben sich daraus nicht.

Ausschlaggebend war der Schlaganfall mit epileptischem Anfall am 13.02.2021. Ab diesem Datum stellte der Senat eine dauerhafte vรถllige Leistungsminderung fest.

Auch die Angehรถrigenberichte stรผtzen den Einschnitt: Verlust sozialer Kontakte, Aufgabe der Hobbys, kein eigenstรคndiger Alltag mehr. Damit fehlte die Basis, um selbst leichte Tรคtigkeiten zumindest drei Stunden tรคglich zu leisten.

Warum der Rentenbeginn erst am 01.09.2021 liegt

Bei Renten wegen Erwerbsminderung beginnt die Zahlung grundsรคtzlich ab dem siebten Kalendermonat nach Eintritt der Erwerbsminderung. Da der Eintritt auf den 13.02.2021 datiert wurde, lรคuft die Karenz bis Ende August 2021. Der Rentenbeginn wurde folgerichtig auf den 01.09.2021 festgesetzt.

Die Rentenversicherung bestรคtigte zudem, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen fรผr die Stichtage 01.09.2015, 14.05.2019 und 12.02.2021 erfรผllt wรคren; entscheidend blieb jedoch der medizinisch belegte Eintrittszeitpunkt im Februar 2021.

Befristung statt Dauerrente: Das steckt dahinter

Die Rente ist befristet. Fรผr eine unbefristete Rente mรผsste es sehr unwahrscheinlich sein, dass sich die Erwerbsminderung noch bessert. Diese Schwelle ist hier nicht erreicht. Der Senat folgt der รคrztlichen Empfehlung zu weiterer Behandlung einer vermuteten depressiven Stรถrung und einer spezialisierten Rehabilitation.

Damit bleiben Besserungschancen offen. Nach Ablauf der ersten Dreijahresfrist wurde unmittelbar ein weiterer Abschnitt bis 31.08.2027 bewilligt. Erst nach lรคngerer Gesamtdauer kommt eine Entfristung in Betracht.

MaรŸstab: Allgemeiner Arbeitsmarkt, nicht der erlernte Beruf

Wichtig fรผr die Einordnung: MaรŸstab ist nicht der zuletzt erlernte oder ausgeรผbte Beruf. Entscheidend ist, ob unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens drei oder sechs Stunden tรคglich gearbeitet werden kann.

Der Klรคger scheiterte im anspruchsvollen IT-Umfeld. Das allein beweist keine Erwerbsminderung. Der Senat stรผtzte sich deshalb auf funktionale Leistungsfรคhigkeit fรผr einfache Tรคtigkeiten โ€“ und stellte erst ab 2021 eine vollstรคndige Aufhebung fest.

BeweismaรŸ: Wann โ€žreichtโ€œ die รœberzeugung?

Der Eintritt der Erwerbsminderung muss im Vollbeweis stehen. Absolute Gewissheit verlangt das Gericht nicht; eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit genรผgt. Lรคsst sich der Zeitpunkt nicht sicher bestimmen, trรคgt grundsรคtzlich der Anspruchsteller das Risiko. Hier genรผgten die รผbereinstimmenden Anhaltspunkte, um den 13.02.2021 als Beginn festzulegen.