Rente: Versorgungsausgleich – So verliert man Rentenpunkte – ohne es zu merken

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Viele geschiedene Rentnerinnen und Rentner erleben beim ersten Rentenbescheid eine böse Überraschung: Die Rente fällt deutlich geringer aus als erwartet. Ursache ist oft ein sogenannter Versorgungsausgleich – also die Aufteilung der Rentenanwartschaften nach einer Scheidung.

Besonders bitter: Selbst wenn der oder die geschiedene Ex-Partnerin noch gar keine Rente bezieht, wird die eigene Rente sofort gekürzt. Ein aktuelles Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW, Az. L 18 R 287/23 vom 9. April 2024) bestätigt diese Praxis. Für Betroffene ist das häufig schwer nachvollziehbar, rechtlich aber eindeutig.

Was ist passiert?

Im verhandelten Fall hatte ein Rentner geklagt, weil seine Regelaltersrente bereits gekürzt wurde, obwohl seine geschiedene Ehefrau noch gar keine Rente erhielt. Er wollte erreichen, dass die Kürzung der Entgeltpunkte aufgeschoben wird – bis zu dem Zeitpunkt, an dem auch sie Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht.

Das Gericht lehnte ab. Maßgeblich sei allein, dass der Versorgungsausgleich vorliege und rechtskräftig sei. Die Kürzung trete daher sofort in Kraft, unabhängig davon, ob der oder die Ex-Partnerin davon derzeit profitiert oder nicht. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) habe gesetzeskonform gehandelt, so das Urteil.

Hintergrund: Versorgungsausgleich und das abgeschaffte Rentnerprivileg

Der Versorgungsausgleich ist eine familienrechtliche Regelung, die bei einer Scheidung sicherstellen soll, dass Rentenansprüche fair zwischen den Eheleuten verteilt werden. Dabei werden die während der Ehezeit erworbenen Rentenanwartschaften rechnerisch hälftig geteilt. Entgeltpunkte, also die Basis für die Rentenberechnung, werden von einem Rentenkonto auf das andere übertragen.

Früher galt das sogenannte Rentnerprivileg: Die Kürzung der eigenen Rente wurde erst wirksam, wenn der oder die geschiedene Partnerin tatsächlich in Rente ging. Dieses Privileg wurde jedoch im Jahr 2009 gestrichen. Seitdem gilt: Sobald der Versorgungsausgleich durch das Familiengericht rechtskräftig entschieden wurde, wird die Rente des ausgleichspflichtigen Ex-Partners sofort gekürzt – unabhängig vom Rentenstatus des oder der anderen.

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Was bedeutet das für Betroffene?

Für viele Menschen bedeutet das: Weniger Geld im Alter – trotz lebenslanger Erwerbsarbeit. Wer sich beim Rentenbeginn auf eine bestimmte Summe eingestellt hat, fällt mitunter deutlich darunter. Besonders dann, wenn der Versorgungsausgleich schon viele Jahre zurückliegt und kurz vor dem Renteneintritt in Vergessenheit geraten ist. Nicht selten ist die Differenz so groß, dass ein Antrag auf Grundsicherung im Alter notwendig wird. Auch Bürgergeld kann je nach Lebenslage in Betracht kommen.

Eine nachträgliche Korrektur des Rentenbescheids bei der DRV ist ausgeschlossen. Der Rechtsweg gegen den Abzug führt nicht über die Rentenversicherung, sondern – wenn überhaupt – über das Familiengericht. Dort kann eine Abänderung des Versorgungsausgleichs beantragt werden, etwa bei erheblichen Veränderungen der Lebensverhältnisse, gestützt auf § 51 Versorgungsausgleichsgesetz (VersAusglG). Solche Abänderungsverfahren sind jedoch komplex, langwierig und mit ungewissem Ausgang.

Was Sie jetzt konkret tun können

Wer bereits eine Renteninformation oder einen Rentenbescheid vorliegen hat, sollte genau prüfen, ob dort ein Versorgungsausgleich erwähnt wird. Auch Begriffe wie „Abzug von Entgeltpunkten“ oder „Übertragung auf das Versicherungskonto des geschiedenen Ehepartners“ deuten darauf hin. Für eine gezielte Prüfung empfiehlt es sich, den damaligen Scheidungsbeschluss sowie die Unterlagen zum Versorgungsausgleich zur Hand zu nehmen.

Die Deutsche Rentenversicherung erteilt auf Nachfrage Auskunft, ist aber an die Rechtslage gebunden. Sozialverbände wie der VdK oder der SoVD bieten Beratungen für ihre Mitglieder an. Wer sich unsicher ist, ob eine Abänderung des Ausgleichs denkbar wäre, sollte eine Fachanwältin für Familienrecht kontaktieren. Nur dort kann geprüft werden, ob ein gerichtlicher Antrag auf Abänderung Aussicht auf Erfolg hat.

Wenn durch die Kürzung die Existenz gefährdet ist, bleibt als letzte Möglichkeit der Antrag auf Grundsicherung nach dem Zwölften Sozialgesetzbuch. Zuständig ist in diesem Fall das Sozialamt.

Beispiel aus der Praxis: Herr K. aus Dortmund

Herr K. ist 67 Jahre alt und lebt seit vielen Jahren in Dortmund. Nach jahrzehntelanger Berufstätigkeit beantragte er im Juli 2022 seine Regelaltersrente. Die Enttäuschung kam mit dem Bescheid: Über 100 Euro monatlich fehlten. Der Grund war ein Versorgungsausgleich aus seiner Scheidung von 2005. Obwohl seine geschiedene Ehefrau noch keine Rente erhält, wurde seine Altersrente um 3,8898 Entgeltpunkte gekürzt.

Herr K. fühlte sich ungerecht behandelt, legte Widerspruch ein und klagte. Doch sowohl das Sozialgericht Dortmund als auch das LSG NRW wiesen seine Klage ab. Heute lebt Herr K. mit aufstockender Grundsicherung. Für ihn ist die Rechtslage zwar eindeutig, aber moralisch nicht nachvollziehbar.

Politischer Handlungsbedarf

Der Fall zeigt deutlich: Der Wegfall des Rentnerprivilegs kann bei niedrigen Renten in die Altersarmut führen. Vor allem ältere Männer, die nach einer Scheidung lange Alleinstehende geblieben sind, sind betroffen. Sie empfinden es als ungerecht, dass ihre Rente gekürzt wird, obwohl der Ex-Partner noch gar keine Gegenleistung erhält. Fachleute fordern daher, das Rentnerprivileg in modifizierter Form wieder einzuführen – etwa als Härtefallregelung.

Auch der Gesetzgeber wäre gefordert, Möglichkeiten zur späteren Überprüfung und Anpassung des Versorgungsausgleichs zu schaffen. Denn im derzeitigen System können sich Lebensverhältnisse stark ändern – ohne dass dies bei der Rentenberechnung berücksichtigt wird. Die Folge: zusätzliche Belastung der Grundsicherungssysteme und wachsendes Misstrauen gegenüber der staatlichen Altersvorsorge.