Ein komplizierter Fall beschäftigte das Hessische Landessozialgericht. Die Betroffene hatte schon vor Jahren eine russische Altersrente bewilligt bekommen, doch diese wurde ihr zeitweise nicht ausgezahlt.
Aufgrund ihres Alters und ihrer Erwerbsfähigkeit hätte sie Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II beziehen können. Doch sie hatte keinen Antrag darauf gestellt, und bekam am Ende überhaupt nichts. (L 4 SO 87/23)
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Russische Staatsbürgerin in Deutschland
Die Betroffene ist russische Staatsbürgerin und hat ihren Wohnsitz in Deutschland. Von November 2020 bis März 2021 bezog sie kein Einkommen. Die 1960 geborene Frau hatte bereits 2016 eine russische Altersrente bewilligt bekommen.
Sie musste nachweisen, dass sie nicht tot war
Diese wurde ihr zwischenzeitlich nicht ausgezahlt, denn sie hatte eine sogenannte Lebensbescheinigung nicht eingereicht. Sie musste also nachweisen, dass sie nicht tot war. Dieser Nachweis wird oft von ausländischen Rentnern verlangt. Bis März 2020 bezog sie die Rente, und erst im April 2021 bekam sie dann eine Nachzahlung.
Sozialamt verweist auf das Jobcenter
Die Frau war akut hilfebedürftig, denn sie bezog in der Zeit, als die Rente ausblieb, überhaupt keine Mittel, um sich das Existenzminimum zu sichern. Deshalb stellte sie beim Sozialamt einen Antrag auf Sozialhilfe.
Damit begann das bürokratische Hickhack darum, welche Behörde für diesen Fall zuständig war. Das Sozialamt schob den Anspruch der Betroffenen zum Jobcenter.
Die Begründung dafür lautete: Sie beziehe keine laufende Rente und habe auch die Regelaltersgrenze nicht erreicht. Sie sei grundsätzlich erwerbsfähig, und darum gelte für sie Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II. Es bestehe kein Anspruch auf Sozialhilfe.
War das Sozialamt für die Rentnerin zuständig?
Die Betroffene legte Widerspruch gegen die Ablehnung ihres Antrags ein. Sie argumentierte, sie sei Rentnerin, und die Rentenzahlung sei nur vorübergehend gestoppt. Deshalb sei für sie das Sozialamt zuständig. Das Sozialamt wies den Widerspruch zurück, und deshalb klagte die Betroffene vor dem Sozialgericht, und in der Berufung ging die Angelegenheit vor das Landessozialgericht Hessen.
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Landessozialgericht sagt, das Sozialamt hat Recht
Das Landessozialgericht hielt erst einmal fest, dass die Betroffene tatsächlich Anspruch auf Grundsicherung habe. Sie verfüge weder Eigentum noch über Vermögen, sei also hilfebedürftig und insofern berechtigt, Grundsicherung zu beziehen. Allerdings sei das Sozialamt für sie der falsche Ansprechpartner.
Sie lebe dauerhaft in Deutschland und sei unter 65 Jahre alt. Damit gelte sie in Deutschland als grundsätzlich erwerbsfähig. Zuständig sei also das Sozialgesetzbuch II und damit das Jobcenter – nicht das Sozialamt.
Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II
Sie hätte also einen Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II gehabt. Da sie aber beim Jobcenter keinen Antrag gestellt hätte, hätte sie auch die Leistungen nicht bekommen. Diese könnten erst ab Antragstellung ausgezahlt werden. Im Sinne des Sozialgesetzbuches II gelte sie nicht als Rentnerin, da sie keine laufenden Rentenleistungen erhielt.
Wie ging es aus?
Laut dem Landessozialgericht wäre das Jobcenter zuständig gewesen. Trotz des grundsätzlichen Anspruchs für den entsprechenden Zeitraum auf Leistungen nach Sozialgesetzbuch II bekam sie trotzdem überhaupt nichts. Denn sie hatte beim Jobcenter keinen Antrag gestellt.
Unter die Räder gekommen
Dieser Fall erfüllt mit Trauer für die Betroffene, denn diese Frau brauchte reale Hilfe. Sie hatte in einem Zeitraum von vielen Monaten keinerlei Mittel, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Sie kannte die Irrungen und Wirrungen der deutschen Bürokratie nicht ausreichend, um zu wissen, wer zuständig war, und an wen sie sich wenden konnte.
Zuerst einmal schickte sie ihre Lebensbescheinigung nicht ein, also den Nachweis, dass sie nicht gestorben war und deshalb weiterhin Anspruch auf ihre Rente hatte. Dann ging sie davon aus, dass sie wegen ihrer bewilligten Rente unter Sozialhilfe fiel, nicht aber unter das Sozialgesetzbuch II (früher Hartz IV, heute Bürgergeld, demnächst neue Grundsicherung).
Beim Erreichen des Rentenalters gilt Grundsicherung im Alter
Dies kann nämlich nur jemand beanspruchen, der als erwerbsfähig gilt, also keine Altersrente bezieht. Beim Erreichen des Rentenalters gilt dann die Grundsicherung im Alter, und das Sozialamt ist zuständig.
Bei grundsätzlicher Erwerbsfähigkeit gilt Bürgergeld
Nun war ihre Rente zwar bewilligt, wurde aber nicht ausgezahlt. Zudem hatte sie das deutsche Rentenalter noch nicht erreicht. Damit galt sie in Deutschland als grundsätzlich erwerbsfähig, fiel also unter das Sozialgesetzbuch II. Die dafür vorgesehenen Leistungen erhielt sie aber nicht, weil sie keinen diesbezüglichen Antrag gestellt hat.
Suchen Sie Rechtsberatung
In diesem Behördendschungel fand sie sich nicht zurecht und bekam am Ende gar nichts. Ein trauriger Fall und ein Armutszeugnis für einen Sozialstaat, in dem gerade diejenigen unter die Räder kommen, die ihn am nötigsten brauchen.
Wir können nur raten, in einer so komplizierten Situation unverzüglich Rechtsberatung zu suchen – entweder bei Sozialverbänden oder bei einem auf Sozialrecht spezialisierten Anwalt.