Ein Sanitär‑ und Heizungsbauer wollte seinen Grad der Behinderung (GdB) von 30 auf 50 erhöhen. Das Landessozialgericht (LSG) Baden‑Württemberg wies die Berufung ab. Entscheidend: stabile Gewichtswerte, fehlende entzündliche Aktivität im Darm und kein nachweisbarer Morbus Crohn. Für Menschen mit vergleichbaren Symptomen zeigt das Urteil, welche Belege Gerichte verlangen – und wo häufige Fehler liegen. (Az: L 6 SB 1875/24)
Warum das Urteil über den Einzelfall hinaus wichtig ist
Viele Leser von gegen‑hartz.de kämpfen mit dauerhaften Gesundheitsproblemen. Der Sprung von 30 auf 50 GdB bringt große Vorteile: Zusatzurlaub, besserer Kündigungsschutz, Steuererleichterungen, unter Umständen früherer Renteneintritt. Das aktuelle Urteil erklärt, warum selbst gravierende Alltagseinschränkungen nicht automatisch zur Schwerbehinderung führen.
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Sachverhalt in Kürze
Der 1963 geborene Kläger beantragte 2021 erstmals eine Feststellung des GdB. Nach umfangreicher Dünn‑ und Dickdarmresektion erhielt er 20 GdB. Widerspruch und Klage vor dem Sozialgericht erhöhten den Wert auf 30. Frühere Herz‑ und Gefäßprobleme änderten daran nichts. Vor dem LSG verlangte der Mann 50 GdB. Er verwies auf bis zu zehn Toilettengänge täglich, Inkontinenz und Schlafstörungen. Zwei medizinische Gutachter kamen jedoch zu deutlich unterschiedlichen Einschätzungen.
Die zentralen Prüfsteine des Gerichts
1. Kräfte‑ und Ernährungszustand
Das LSG orientierte sich an den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG). Danach rechtfertigt erst eine „erhebliche“ Minderung von Kräften oder Gewicht einen GdB ≥ 40. Hier stabilisierten sich die Pfunde bei 68–73 Kilogramm. Für die Richter fehlte damit ein Schlüsselkriterium.
2. Aktivitätsnachweis der Grunderkrankung
Obwohl Ärzte früher einen Morbus Crohn vermuteten, zeigten aktuelle Koloskopien keine Entzündung. Damit entfiel ein weiteres Argument für einen höheren GdB.
3. Schwere der Durchfälle
Häufigkeit allein genügt nicht. Die Kammer wertete Durchfall und Inkontinenz zwar als belastend, stufte sie aber nur als „mittelschwere Auswirkungen“ ein. Das VG sieht dafür maximal 30 GdB vor, solange keine Folgeschäden wie starke Abmagerung auftreten.
4. Zusätzliche Diagnosen
Ein alter Herzinfarkt mit Stent und eine pAVK wurden lediglich mit Teilwerten von 10 veranschlagt. Sie erhöhten den Gesamt‑GdB nicht, weil sie sich nach Auffassung des Gerichts funktionell kaum auswirkten.
Was Betroffene aus dem Urteil lernen können
- Aktuelle Befunde sind Trumpf: Endoskopien, MRT‑Berichte und Laborwerte müssen den momentanen Zustand belegen. Alte Diagnosen ohne moderne Bildgebung überzeugen kaum.
- Dokumentation von Gewichtsverläufen: Regelmäßiges Wiegen und ärztlich bestätigte Ernährungseinschränkungen helfen, eine „erhebliche“ Minderung nachzuweisen.
- Relevanz mehrerer Leiden richtig einschätzen: Teil‑GdB‑Werte addieren sich nicht. Nur wenn sich Erkrankungen gegenseitig verstärken, steigt der Gesamt‑GdB.
- Vergleichsangebote prüfen: Ein früh akzeptierter Vergleich spart Zeit, Geld und Nerven, wenn objektive Befunde für höhere Einstufungen fehlen.
Diese Punkte können Betroffene direkt bei Beratungsstellen, Sozialverbänden oder Schwerbehindertenvertretern ansprechen.
Einordnung: Strenge Linie der Rechtsprechung
Das LSG folgt der aktuellen Tendenz, rein subjektive Beschwerden nur dann höher zu bewerten, wenn sie objektivierbar sind. Selbst zehn tägliche Stuhlentleerungen gelten nicht als „schwerwiegend“, solange sie nicht zu Mangelernährung oder drastischem Kräfteverlust führen. Für Betroffene bedeutet das: Ohne harte Daten bleiben Klageaussichten gering.
Praxistipp: So steigern Sie Ihre Erfolgschancen
- Lassen Sie vor dem Antrag alle relevanten Organsysteme erneut untersuchen.
- Sammeln Sie Befunde in einem einheitlichen Format und legen Sie sie gebündelt bei.
- Beschaffen Sie, wenn möglich, unabhängige Gutachten z. B. aus Unikliniken.
- Führen Sie mindestens drei Monate lang ein detailliertes Symptomtagebuch.
Dieser strukturierte Ansatz erspart oft jahrelange Prozesswege und Kosten.




