Ein Jobcenter ist nicht berechtigt, wiederholt Sanktionen gegen eine psychisch erkrankte Leistungsbezieherin zu verhängen, wenn diese besondere Betreuung braucht, aber nicht erhält. Die üblichen Mittel des Jobcenters sind in diesem Fall unverhältnismäßig. So entschied das Sozialgericht Dresden und hob acht Sanktionsbescheide auf. (S 12 AS 3729/13)
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Leistungseinschränkung wegen psychischer Behinderung
Die betroffene Leistungsberechtigte arbeitete in einem geschützten Arbeitsbereich, bis sie erwerbslos wurde. Bei ihr wurde eine psychische Behinderung diagnostiziert. Ein psychologisches Gutachten erkannte eine deutliche Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit.
Nur einfache Tätigkeiten möglich
Eine Beschäftigung in ihrer ursprünglichen Qualifikation als Bürokauffrau sei nicht mehr möglich wegen inzwischen fehlender sozialer Kompetenz, Problemen beim Rechnen und mangelnder psychischer Stabilität. Zu denken sei höchstens an einfache Bürotätigkeiten mit Schwerpunkt auf Schrift und Sprache. Auch dafür sei es notwendig, die Kenntnisse aufzufrischen.
Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist ausgeschlossen
Das psychologische Gutachten empfahl eine Integration in geschützte Arbeitsbedingungen ohne Zeit- und Leistungsdruck. Die Betroffene brauche vertrauensvolle Bezugspersonen und jederzeitige Hilfe wie Unterstützung. Sie könne nicht unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes beschäftigt sein.
Bipolarität, aber keine Erwerbsminderung
Eine medizinische Stellungnahme im Dienst der Bundesagentur für Arbeit stellte zwar fest, dass die Betroffene vollschichtig tätig sein könnte, also nicht erwerbsgemindert sei.
Es gebe allerdings erhebliche Einschränkungen bedingt durch eine chronische psychische Erkrankung mit depressiven Verstimmungen und manischen Phase. Beruflich sei von einer Selbstüberschätzung auszugehen. Dieses zweite Gutachten teilte die Auffassung, dass ein geschützter Arbeitsbereich nötig sei.
Betroffene erscheint nicht bei acht Meldeterminen
Das Jobcenter lud sie innerhalb von fünf Monaten zu insgesamt acht Meldeterminen ein. Sie erschien nicht. Das Jobcenter verhängte deshalb Sanktionen, jeweils für drei Monate um zehn Prozent.
Schließlich ging die Betroffene vor das Sozialgericht.
Sie erklärte, alle Sanktionsbescheide seien rechtswidrig: „Es sei nicht ersichtlich, warum ihr Erscheinen erforderlich gewesen sei. Sie habe die Gründe des Nichterscheinens mehrfach im Verwaltungsverfahren mitgeteilt und ihr Fernbleiben entschuldigt.“
Sozialgericht steht der Betroffenen zur Seite
Das Sozialgericht Dresden stimmte der Leistungsberechtigten zu und erklärte sämtliche acht Sanktionsbescheide des Jobcenters für rechtswidrig und damit ungültig. Sie seien aufzuheben, da sie die Betroffene in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten belasteten.
Die Richter erklärten, die Bescheide „entsprechen nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Im Hinblick auf feststehende psychische/gesundheitliche Einschränkungen aufgrund psychischer Behinderung und daraus resultierenden Vermittlungshemmnissen der Klägerin liegt vorliegend keine frei bestimmte und von in ihrer Person liegenden Defiziten unabhängige Verweigerungshaltung vor.“
Kurz gesagt: Das Jobcenter unterstellte mit den Sanktionen der Betroffenen eine Willens- und Handlungsfreiheit, die sie aufgrund Ihrer psychischen Erkrankung nicht hatte.
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Fehlende Betreuung und Unterstützung
Die weiteren Ausführungen der Richter waren für das Jobcenter wie ein Eimer kalten Wassers über den Kopf. So sagte das Gericht: „Es wären zunächst einzelfallbezogene Instrumentarien der ganzheitlichen Betreuung und Unterstützung (…) erforderlich gewesen, die ohne zureichenden Grund im Verwaltungsverfahren ausgeblieben sind.
Die ohnehin knapp gefassten Meldeaufforderungen sind damit keine taugliche Grundlage für die streitgegenständlichen (rechtswidrigen) Sanktionsbescheide.“
Sozialstaat versagt bei denen, die ihn am dringendsten brauchen
Das Urteil des Sozialgerichts Dresden ist zu begrüßen. Es hat die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit psychischen Behinderungen betont, deren Schutz gesetzlich vorgeschrieben ist. Leider zeigt der Fall wieder einmal ein katastrophales Versagen der Jobcenter im Umgang mit Leistungsberechtigten, die psychisch erkrankt sind.
Ein Betroffener sagte: „Das größte Problem psychisch Kranker ist, dass von Ihnen erwartet wird, sich so zu verhalten, als ob sie gesund wären.“ Genau so verfehlt handelte in diesem Fall das Jobcenter. Statt einem Menschen mit psychischen Problemen die existentielle Betreuung und Unterstützung zu bieten, verfuhren die Mitarbeiter mit ihrer üblichen Methode: Knüppel aus dem Sack.
Einem nicht nur finanziell, sondern auch psychisch hilfebedürftigen Mensch fügte die Behörde Schaden zu statt ihn aufzufangen. Das ist leider nach wie vor viel zu oft Alltag im Jobcenter gegenüber Leistungsberechtigten, die psychische Hilfe brauchen. So versagt der Sozialstaat gerade gegenüber denjenigen, die am stärksten auf ihn angewiesen sind.